Österreich

Prozess um versuchten Mord wird zur Komödie

Ein Streit zwischen mehreren Jugendlichen endete mit einem Messerstich. Versuchter Mord lautet die Anklage. Doch die Aussagen sorgten für Verwirrung.

Heute Redaktion
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Nicht nur der Angeklagte verstrickte sich in Widersprüche.
Nicht nur der Angeklagte verstrickte sich in Widersprüche.
Bild: Sabine Hertel

Der 17-jährige Afghane Hamidullah H. soll am 22. Juli am Matzleinsdorferplatz (Favoriten) im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen seinem Kontrahenten Osama A. einen Stich in den Unterarm versetzt haben. Grund war angeblich verletzter Stolz und übertriebenes Ehrgefühl der Beteiligten.

Die Verletzung war nicht lebensgefährlich – der mutmaßliche Täter sitzt dennoch wegen versuchten Mordes auf der Anklagebank. Er sagt: "Das tut mir alles so leid, das wollte ich nicht. Mit dem Messer wollte ich meinen Gegnern nur Angst einjagen."

"Leid getan" haben ihm auch zwei Raubüberfälle, welche im Rahmen der Gerichtsverhandlung Gegenstand der Befragungen waren. Die Raubüberfälle standen in keinem Zusammenhang zur Schlägerei am Matzleinsdorferplatz, kündigten aber eine unfreiwillge Prozess-Posse an.

Der Beginn einer Farce: Zwei Mal die gleiche Person überfallen

Der Angeklagte soll am 15. April Markus N. (16) ein teures Smartphone unter Androhung von Gewalt abgenommen haben. Vor Gericht zeigte er sich geständig, fügte jedoch hinzu: "Er hat mir so leid getan, ich hab ihm gesagt, dass ich ihm das Handy wieder geben werde."

Wie N. selbst schilderte, suchte ihn Hamidullah H. nach drei Monaten wieder auf – um ihm ein zweites Mal auszurauben. Wieder ein teures Galaxy S7.

Richterin Dr. Beate Matschnig fragte den Beschuldigten, ob es richtig sei, dass er das Raubopfer beim ersten Mal mit einem Messer bedroht hätte. "Nein, da war kein Messer", so die Antwort von Hamidullah H. "Sie haben doch ihrem Anwalt gesagt, dass sie ein Messer bei sich hatten", entgegnete Richterin Matschig in strengem Ton. Verteidiger Reichenbachs fokussierter Blick zu seinem Mandanten kaschierte seine Verwirrung, die er in diesem Moment empfunden haben dürfte.

Vier Aussagen, vier unterschiedliche Versionen

Richtig grotesk wurde es, als die Gerichtsverhandlung nach über 40 Minuten endlich zum eigentlichen Anklagepunkt kam: Den Auseinandersetzungen am Matzleinsdorferplatz soll laut Angeklagten ein Streit um eine "Gaspistole" voran gegangen sein. Das Opfer würde H. jedoch weder kennen, noch wüsste er, wie er überhaupt in das Zentrum des Raufhandels geraten ist: "Ich habe meinem Freund Said gesagt, er soll sich nicht wegen seiner Gaspistole streiten. Wenn er sie von Osama nicht wieder kriegt, dann ist das so... Später hörte ich, dass er (das Opfer) mich zum Kampf herausgefordert hat. Dann bin ich mit einem Messer hin, weil Said meinte, ich sollte lieber aufpassen, die sind sicher bewaffnet. Auf Stress war ich aber nicht aus", so der Angeklagte.

Said, sein Begleiter an diesem Abend, sagte hingegen aus: "Eine Gaspistole? Ich weiß nichts von einer Gaspistole. Der Streit fing eigentlich in der früh in einem Park an. Da haben sich zwei aus unserem Bekanntenkreis geprügelt. Ich weiß nur, dass danach Drohungen telefonisch ausgetauscht wurden. Hamidullah hatte mit diesem Streit nichts zu tun soweit ich weiß, aber er und Osama A. kennen sich seit etwa einem Jahr."

Fragezeichen über den Köpfen von Richtern und Geschworenen

Je mehr Fragen Richter und Geschworene stellten, um so verworrener wurde es. Hamidullah H., der sich im Minutentakt in Widersprüche verwickelte, sagte vor Gericht aus, er wäre in einer Gruppe mit 3-4 Personen gewesen (Zahlen änderten sich im Laufe der Verhandlung). Die andere Gruppe, die sich am Matzleinsdorferplatz eingefunden hat, wäre eine 15 Mann starke Truppe gewesen. Stichopfer Osama A. behauptete genau das Gegenteil.

Fast krampfhaft versuchten die Beisitzenden Andreas Böhm und Daniel Potmesil, sich einen Reim aus den Aussagen zu machen. Sie blickten intensiv an die Decke und fassten sich zuweilen ungläubig am Kopf oder sahen sich fragend an. Das Publikum im Gerichtssaal musste sich das Lachen verkneifen. Fest steht nur der Stich in den Unterarm des Opfers. Unklar bleibt, wie er zustande gekommen ist und wieso die zwei Gruppen aufeinander losgegangen sind. Die Beteiligten schienen an der Aufklärung nicht interessiert zu sein.

Zumindest konnten sich Geschworene und Richter einigen. Das Urteil: Acht Monate Gefängnis für Hamidullah H. wegen schwerer Körperverletzung und Raub. Das Urteil ist rechtskräftig.