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Prügelnde Eltern vor allem aus dem Balkan

In Familien aus Balkanländern wird besonders oft massive Gewalt ausgeübt. Zwei Experten, die selbst ehemals von dort stammen, haben Erklärungen.

Heute Redaktion
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"Schläge waren Bestandteil der Erziehung".
"Schläge waren Bestandteil der Erziehung".
Bild: iStock

Prügelnde Eltern findet man vor allem bei Familien aus dem Balkan und Portugal. So lautet das Zwischenergebnis einer groß angelegten Befragung von rund 10.000 17-jährigen Jugendlichen in der Schweiz, das die "Aargauer Zeitung" publizierte. Prügel oder schwere Gewalt bedeutet, dass die Eltern mit der Faust oder einem Gegenstand zuschlugen oder ihre Kinder mit den Füßen traten.

Keine Grenzen setzen, alles bieten und dann schlagen

Für Sefika Garibovic, Expertin für Nacherziehung, hat die Gewalt in den Familien aus dem Balkan nichts mit ihrer Kultur, sondern mehr mit ihrer Art, mit Kindern umzugehen, zu tun. "Viele Eltern vom Balkan bauen keine Beziehung zu ihren Kindern auf und setzen ihnen keine Grenzen, sondern stellen vor allem das Materielle sicher", sagt sie.

Oft würden diese Eltern ihre Kinder extrem verwöhnen und ihnen alles geben – von Markenkleidern über Spielsachen bis hin zum Essen. "Wenn die Kinder dann nicht dankbar sind und sich respektlos benehmen, setzt es Schläge."

"Eltern engagieren Nannys und verlieren den Zugang zum eigenen Kind"

Aus der Sicht von Garibovic haben Eltern vom Balkan oft wenig Ahnung von Erziehung. "Sie sind es gewohnt, dass die Kinder in einer großen Sippe aufwachsen und viele mithelfen bei der Erziehung." Sich plötzlich ganz allein um die Kinder und deren Erziehung kümmern zu müssen, überfordere sie.

Ivica Petrui ist Jugendbeauftragter des Kantons Zürich und lebte bis ins Teenageraalter im ehemaligen Jugoslawien.

Viele, die aus besseren Verhältnissen kommen, holten sich laut Garibovic für wenig Geld eine Nanny vom Balkan, um sich von der Erziehungsaufgabe zu entlasten. "Dann verlieren die Eltern den Zugang zum eigenen Kind total, die Beziehung ist zu wenig stark, und es kommt so viel schneller zu Gewalt."

Sefika Garibovic ist Expertin für Nacherziehung und stammt selbst aus Montenegro.

"Balkan-Eltern sind zu wenig Vorbilder"

Auch wenn Garibovic überzeugt ist, dass Gewalt kein Problem von Balkan-Familien ist, sieht auch sie, dass dort bei Auseinandersetzungen harte Worte sehr schnell in Gewalt übergehen. Der Grund seien die Hierarchien, die in diesen Familien zu wenig klar seien.

Die Eltern müssten verlässlich sein, die Kinder lieben, ihnen aber auch vorleben, wo es durchgehe und wie man miteinander umzugehen habe. "Die Eltern haben aber oft keine Beziehung zum Kind und sind zu wenig Vorbilder."

"In der Schule gab es Schläge, wenn man Fehler machte"

Ivica Petrusic, Jugendbeauftragter des Kantons Zürich und im ehemaligen Jugoslawien aufgewachsen, sieht dies ein wenig anders. Für ihn spielt eine große Rolle, dass Gewalt auf dem Balkan länger ein anerkanntes pädagogisches Mittel war. "Schläge waren Bestandteil der Erziehung, so gab es in der Schule Schläge, wenn man Fehler machte", sagt er.

Wenn eine Institution wie die Schule das mache, dann sei das gesellschaftlich anerkannt. Entsprechend habe man Schläge auch zu Hause erlebt. "Man wusste, wenn man etwas Blödes macht, waren Schläge in der Regel die Konsequenz." Man müsse sich aber auch bewusst sein, dass dies in der Schweiz vor nicht allzu langer Zeit genauso war.

"Unterschiede bleiben nicht"

Petrusic ist zudem sicher, dass derzeit auch im Bereich Gewalt in der Erziehung eine große Veränderung stattfindet. "Die heutigen Eltern, die aus dem Balkan stammen, gehen sicher ganz anders mit ihren Kindern um als ihre Eltern vor über zwanzig Jahren mit ihnen." Auch wenn die Veränderung offenbar noch nicht ganz gegriffen habe, sei er überzeugt, dass die Unterschiede nicht mehr lange so bleiben.

Wichtig findet Petrusic in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Kinder in Migrationsfamilien. "Ich habe meinen Eltern alles übersetzt, von der Frauenarzt-Rechnung bis hin zum Brief aus der Schule." Die Eltern würden hinter den Kindern herhinken. "Das kann gut gehen oder kippen und sich sehr negativ auswirken – besonders hinter verschlossenen Türen."

"Man muss Licht ins Dunkel des Privaten bringen"

Darum bemühe man sich in der Jugendarbeit, Licht ins Dunkle dieses privaten Bereichs zu bringen. Auch wenn dies heikel sei und es niemand gern habe, weder der Schweizer noch Menschen aus anderen Kulturen, müsse man es angehen. Petrusic: "Wir müssen häuslicher Gewalt entgegenwirken und uns für Gewaltfreiheit engagieren." (ann)