Ukraine

Star-Psychiater enthüllt: So tickt Wladimir Putin

Nach bald 8 Monaten Krieg wagt der Psycho-Experte Reinhard Haller einen Fernblick in Wladimir Putins Kopf. Was der Psychiater da sieht, verstört.

Roman Palman
Der österreichische Psychologe Reinhard Haller (l.) analysiert Wladimir Putins Geisteszustand.
Der österreichische Psychologe Reinhard Haller (l.) analysiert Wladimir Putins Geisteszustand.
picturedesk.com, Reuters

234 Tage tobt nun schon der Krieg in der Ukraine. Doch der Mann, der ihn ausgelöst hat, lässt sich weiterhin nicht in die Karten schauen. Wladimir Putin gibt weiter mit eiserner Hand hinter den verschlossenen Türen des Kreml die Befehle, auch wenn die letzten Wochen und Monate für ihn und seine Armee an der Front nicht gerade mit Erfolgen gekürt waren – im Gegenteil.

Doch was treibt den eben erst 70 Jahre alt gewordenen Russland-Despoten an? Ist er schon völlig durchgedreht, oder lässt er die tödlichen Bomben weiter mit eiskaltem Kalkül auf die Ukraine niederhageln? Star-Psychologe Reinhard Haller, der als Gerichtsgutachter bereits über Serienmörder Jack Unterweger und Bombenbauer Franz Fuchs urteilte, wagt nun gegenüber der "Krone bunt" aus Vorarlberg eine Fernanalyse des russischen Präsidenten.

Vorweg: eine psychische Erkrankung kann der erfahrene Analyst nicht ausmachen. "Er ist nicht geisteskrank, wie es viele auf den ersten Blick vermuten", stellt Reinhard Haller klar. Allerdings habe es in Putins Persönlichkeit in den letzten Jahren einen Besorgnis erregenden Wandel gegeben. 

"Bösartiger Narzissmus" nennt der 71-Jährige den Gemütszustand des Kreml-Herrschers: "Putin ist KGB-geschult, hat seine Empathie ausgeschaltet, Kritiker aus seiner Umgebung entfernt, und er umgibt sich nur noch mit Ja-Sagern." Um sein Ziel, die Wiedererrichtung des großrussischen (Zaren-)Reichs zu erreichen, seien "ihm alle Mittel recht". "Er befindet sich in einem narzisstischen Höhenrausch", lautet Hallers pointierte Analyse.

Und das ist brandgefährlich, denn Kränkungen könnten Narzissten zum Explodieren bringen. Dass Ex-US-Präsident Barack Obama Russland nach der Annexion der Krim 2014 als bloße "Regionalmacht" bezeichnet habe, dürfte für Putin ein persönlich schwerer Schlag gewesen sein. Auch, dass die NATO am Baltikum 2004 bis an die Grenzen Russlands herangerückt ist, hat dem russischen Präsident ganz offensichtlich nicht geschmeckt.

"Mit allen Mitteln"

Nach Hallers Hypothese wäre Putin von alledem zutiefst gekränkt worden, was sich im Februar diesen Jahres in der Ukraine-Invasion entlud. Der Psychiater betont dabei: "Das ist ausdrücklich keine Täter-Opfer-Umkehr. Schuld ist Putin – er hat den Krieg begonnen. Und der ist grauenhaft." Der Westen habe jedoch Fehler im Umgang mit dem narzisstischen Herrscher in Moskau gemacht: "Aus Putins Sicht sind ihm westliche Politiker nicht auf Augenhöhe begegnet und haben seine Ehre verletzt."

Deswegen könne Putin, auch wenn seine Armee tief in der Krise steckt, nicht einfach aufhören. Sein übersteigertes Selbstbewusstsein lasse nur einen Sieg zu – koste es, was es wolle. "Gegen eine Niederlage wehrt sich ein Narzisst mit allen Mitteln. Daher schürt Putin gezielt Ängste vor dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen", warnt Haller.

Doch sind das nur leere Drohungen, oder muss man ernsthaft mit einer Atom-Eskalation rechnen? "Grundsätzlich neigen Narzissten nicht zum Suizid – sie wollen ihre Großmachtfantasien nicht zerstören. Das Drücken des roten Atomknopfes könnte allerdings bei absoluter Hoffnungslosigkeit stattfinden; wenn sich Putin in die Enge getrieben fühlt."

"Narzissmus ist nicht heilbar"

Die westliche Welt stecke in einer Zwickmühle: "Einerseits muss man der Ukraine helfen und darf nicht zulassen, dass Putin das nächste Land kapert. Andererseits soll man den Konflikt nicht befeuern."

Aus rein psychologischer Sicht könne es nur eine Antwort geben: Friedensgespräche zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski. "Sie ist das urmenschlichste Konfliktlösungsmittel, wäre hohe politische Kunst und nobelpreiswürdig. Die Lösung kann nur Frieden sein – das ist kein naiver Pazifismus. Die Frage ist nur: ob mit oder ohne 100.000 Tote."

Das wäre für niemanden leicht. "Narzissten frustrieren ihr Gegenüber, siehe Emmanuel Macron. Sie sind verletzend und abwehrend", sagt Haller. Doch ohne eine ihn zufriedenstellende Lösung würde Putin auf ewig in seiner Narzissmus-Spirale weiter eskalieren. "Narzissmus ist nicht heilbar – es gibt keine Therapie."

Endet Krieg nur mit Wladimir Putins Sturz?

Eine gänzlich anderes Szenario für das Ende des Krieges zeichnet derweil der renommierte Historiker Timothy Snyder. Viel wahrscheinlicher, als dass in der Ukraine Atomwaffen zum Einsatz kommen, wäre in seinen Augen ein Umsturz in Moskau.

Historiker und Osteuropa-Experte Timothy Snyder unterrichtet an der Yale University.
Historiker und Osteuropa-Experte Timothy Snyder unterrichtet an der Yale University.
REUTERS

"Den [russischen] Atom-Erpressungen nachzugeben, würde den konventionell geführten Krieg in der Ukraine nicht beenden. Es würde stattdessen die Chance auf einen zukünftigen Atomkrieg sehr wahrscheinlicher", warnt der Yale-Professor. Zu kuschen, würde Diktatoren rund um den Globus zeigen, dass sie nur eine Atombombe bräuchten, um mit Drohungen zu bekommen, was sie wollen. Das würde auch die atomare Aufrüstung in anderen Staaten vorantreiben.

Angstgespenst aus dem Kreml

Putin wolle, dass der Westen genau das glaube, was auch Haller anspricht: Das Bild eines Kriegstreibers, der in die Ecke getrieben nur einen Ausweg – den Atomknopf – habe, sei genau das Angstgespenst, das der Kreml in unsere Köpfe projizieren wolle. Wenn alleine die Aussicht auf eine Niederlage Motivation genug wäre, hätte Putin längst das nukleare Arsenal eingesetzt, argumentiert Snyder.

"Wenig kann mehr beschämend für ihn sein, als die russische Niederlage bei Kiew, einen Monat nach Kriegsbeginn. Der Kollaps in Charkiw war ebenso ein Schock". Und: Die russischen Streitkräfte würden nirgends mit dem Rücken zur Wand stehen. "Sie sind sicher, wenn sie sich nach Russland zurückziehen."

Moskau wichtiger als Kiew

Putin müsse nicht in der Ukraine siegen, denn was wirklich zähle, sei seine Macht in Moskau zu erhalten. "Wenn Putin versteht, dass der Krieg verloren ist, wird er seine Position in der Heimat überdenken." Bis zum Sommer hätte der Kreml-Despot noch einfach den Krieg aus einer Position der Stärker heraus als siegreich beendet erklären können und die Russen wären damit zufrieden gewesen, argumentiert Synder. Das sei jetzt vor allem durch die ausgerufene Mobilisation der Reservisten nicht mehr so einfach möglich.

Selbst in der propagandagetriebenen Berichterstattung der Staatsmedien würden sich mittlerweile Risse in der Narrative zeigen und auch lautstarke Kritik von gewichtigen Persönlichkeiten – Tschetschenen-Bluthund Ramsan Kadyrow und "Wagner"-Söldnerführer Jewgeni Prigoschin – laut werden. "Anders als in den ersten sechs Monaten des Krieges, kann Putin nicht mehr behaupten, dass alles nach Plan verläuft. Er muss etwas anderes tun."

Heile TV-Welt bekommt Risse

Das Überleben seines Regimes hänge davon ab, dass der Bevölkerung gezeigte TV-Bilder wichtiger seien, als die harte Realität. Doch mittlerweile ist auch die Realität an den Eingangstüren der russischen Bevölkerung angekommen, sagt der Historiker in Hinblick auf die Teilmobilisierung. Diese sei "das schlechteste aus zwei Welten" gewesen: Groß genug, um die Bürger zu verschrecken und zu klein und zu spät, um noch vor dem Winter einen Unterschied zu machen. "Die Mobilmachung sieht immer mehr aus wie ein Speer, der in die falsche Richtung zeigt."

"Wenn Krieg in der Ferne deine eigene Macht untergräbt, und wenn dieser Krieg nicht gewonnen werden kann, dann ist es am besten, diesen eher heute als morgen zu beenden. Ich würde vermuten, dass Putin das noch nicht eingesehen hat. Er ist allerdings weit genug, dass der verstanden hat, dass er in der realen Welt handeln muss, auch wenn seine gewählten Wahl bisher keine gute war".

Wann der Wendepunkt erreicht ist

Und was Snyder noch beobachtet: Sowohl Kadyrow und Prigoschin würden von Putin eine Intensivierung des Krieges fordern, obwohl sie offenbar selbst nicht bereit sind, ihre eigenen Kämpfer darin zu verlieren. "In der übergeordneten Logik, die ich beschreibe, würden Rivalen danach trachten, ihre eigenen Streitkräfte zu schützen – entweder, um ihre eigenen persönlichen Interessen in Zeiten der Ungewissheit durchzusetzen, oder um die Macht in Moskau an sich zu reißen." 

In einer solchen Situation würde es dann für alle Befehlshaber "verrückt", Tag für Tag Kräfte in der fernen Ukraine zu verlieren. Und in dem Moment, in sie realisieren, dass vielleicht einer der Rivalen seine Männer zurückhält, würden es auch die anderen tun. "Dann kommt der Wendepunkt", skizziert Snyder.

"Niederlage in Russland wäre fatal"

Der Krieg würde plötzlich weder für Putin, die Armee und andere Regionalkräfte einen Sinn mehr machen, stattdessen könnten Russland innere Unruhen bevorstehen, in denen um die Vorherrschaft im Kreml gekämpft wird. "Für alle Akteure ist eine Niederlage in der Ukraine vielleicht schlimm, aber eine in Russland wäre fatal."

Und dieses Zusammenbrechen der innerrussischen Stabilität könne am Ende auch den Ukraine-Krieg beenden – ganz ohne Atomwaffen. Synder betont, dass das zwar nur eine Möglichkeit wäre, er jedoch hält diese für "sehr viel wahrscheinlicher, als die Weltuntergangsszenarien, die wir fürchten. Sie ist es deshalb wert, sie zu beachten und sich darauf vorzubereiten."

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