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"Davor darf man nicht die Augen verschließen"

Die Bundesregierung kritisiert die "nationalsozialistischen Sprechchöre" in Köthen. Der Bürgermeister sieht sich machtlos.

Heute Redaktion
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Er sei erleichtert, gab der Köthener Oberbürgermeister Bernd Hauschild am Montag im "ZDF-Morgenmagazin" zu Protokoll, dass es in seiner Stadt nicht zu Gewalttaten gekommen sei. Am Tag zuvor hatte man mit Ausschreitungen wie in Chemnitz gerechnet, als in Köthen eine Demonstration zum Tod eines 22-Jährigen angekündigt worden war. Als er erfahren habe, dass die Organisatoren der Veranstaltung aus rechtsradikalen Kreisen stammten, habe er seine Bürger aufgefordert, am Marsch nicht teilzunehmen, sagte Hauschild gegenüber 20 Minuten.

Dies sei von manchen leider als Maulkorb missverstanden worden, sagt Hauschild. Dabei sei es ihm einzig darum gegangen, sich "schützend vor seine Mitbürger zu stellen". Er selber habe am Demonstrationszug nicht teilgenommen, sondern sich auf die Gedenkveranstaltung in der örtlichen Kirche beschränkt und später mit Angehörigen Blumen niedergelegt.

"Es haben auch Familien teilgenommen"

Auch sei es ihm ein Anliegen, zu betonen, dass die Neonazis aus anderen Bundesländern angereist waren und nicht aus seinem Bezirk stammten: "Es haben auch Familien teilgenommen." Auf Nachfrage räumt er jedoch ein, dass auch der eine oder andere seiner Bürger bei den Hetzreden applaudiert habe – "davor darf man die Augen nicht verschließen". Mögliche Parallelen oder Abweichungen zu den Ereignissen in Chemnitz wollte der Oberbürgermeister indes nicht kommentieren.

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Als Kommunalpolitiker seien ihm die Hände gebunden, schließlich gehe es bei der Demonstration ja um Themen von bundes- oder weltweiter Bedeutung. Gegenveranstaltungen seien in Köthen seines Wissens keine geplant, sagt er zu 20 Minuten, man wolle den Rechtsradikalen nicht noch mehr Aufmerksamkeit bieten.

Nationalsozialistische Sprechchöre

Die Bundesregierung hat sich derweil empört über die rechtsradikalen Auftritte in Köthen geäußert. Dass es dort "zu offen nationalsozialistischen Sprechchören gekommen ist, das muss uns betroffen machen und muss uns empören", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Zuvor hatte Seibert auch gesagt: "Zuallererst ist die Trauer und Betroffenheit auszudrücken über den Tod eines jungen Menschen."

In Köthen war in der Nacht zum Sonntag ein 22-jähriger Deutscher in Verbindung mit einer Streitigkeit mit zwei Afghanen gestorben. Zwei tatverdächtige Afghanen im Alter von 18 und 20 Jahren wurden kurz darauf festgenommen, am Sonntagabend erging gegen sie Haftbefehl wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge. Nach Angaben der Ermittler starb der junge Mann allerdings nicht durch Gewalteinwirkung, sondern an Herzversagen, offensichtlich aufgrund einer Vorerkrankung.

Drei große Herausforderungen

Seibert sprach von drei großen Herausforderungen in Deutschland. Dies sei zum einen "ein zunehmender Rechtsradikalismus", dann "ein besorgniserregender Antisemitismus", der jüdisches Leben in Deutschland bedrohe, und "die dritte Herausforderung sind natürlich auch Gewaltverbrechen, die durch einzelne Flüchtlinge begangen werden".

Allen drei Herausforderungen müsse und werde der Staat "mit den Mitteln des Rechtsstaats kompromisslos begegnen" und dabei das staatliche Gewaltmonopol verteidigen.

(mat/afp)

(mat/20 Minuten)