Der Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad war das große Ziel von Abu Mohammed al-Dscholani. Am Sonntag drangen seine islamistischen Kämpfer in die Hauptstadt Damaskus ein und erklärten sie "für frei" – 13 Jahre, nachdem Assad Proteste gegen die Regierung im Land mit Gewalt hatte niederschlagen lassen.
Der 42-Jährige Al-Dscholani ist der Chef von Hajat Tahrir al-Scham (HTS), eines früheren Zweigs des Terrornetzwerks al-Qaida in Syrien. Nach der Flucht von Machthaber Assad, "Heute" berichtete, könnte al-Dscholani der neue starke Mann in Syrien werden.
Der bürgerliche Name des Rebellenführers ist Ahmed Hussein al-Scharaa. Abu Mohammed al-Dscholani ist sein Kampfname und nimmt Bezug auf die Wurzeln seiner Familie auf den Golanhöhen. Er wuchs in Masseh auf, einem gutbetuchten Stadtteil von Damaskus.
2003 schloss er sich der al-Qaida im Irak im Kampf gegen die US-Truppen an. Drei Jahre später wurde er nach eigenen Aussagen verhaftet und von den US-Streitkräften fünf Jahre lang festgehalten. Für die Terrorgruppe al-Qaida-Ablegers baute er den Syrien-Ableger "al-Nusra-Front" auf.
Al-Dscholani koordinierte sich dabei zunächst mit IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi. 2013 schwor er dem damaligen al-Qaida-Chef Ayman al-Sawahiri die Treue, statt sich mit der Nusra-Front dem "Islamischen Staat" in Syrien anzuschließen.
Jahrelang hatte al-Dscholani im Verborgenen agiert. Heute steht er im Rampenlicht und spricht mit internationalen Medien. Den Turban der Jihadisten, den er noch zu Beginn des syrischen Krieges im Jahr 2011 trug, legte er nach und nach ab – zugunsten einer Militäruniform.
Seit seinem Bruch mit al-Qaida versucht al-Dscholani, sich ein moderateres Image zuzulegen. Experten und westliche Regierungen überzeugt das nicht. Sie stufen die HTS weiter als Terrorgruppe ein.
Tatsächlich fordert Dscholani seit einigen Jahren öffentlich, dass in Syrien alle religiösen und ethnischen Minderheiten koexistieren sollen. Daran, dass seine Kämpfer vor zehn Jahren das ganze Land mit Entführungen und Anschlägen terrorisiert hatten – 2015 verübten sie zum Beispiel in Idlib ein Massaker an 20 Bewohnern des drusischen Dorfes Qalb Lawzeh –, will er heute nicht erinnert werden.
Der französiche Wissenschaftler Thomas Pierret bezeichnet al-Dscholani als "pragmatischen Radikalen". Im Mai 2015 gab al-Julani an, dass er im Gegensatz zum IS nicht die Absicht habe, Anschläge gegen den Westen auszuführen. Auch erklärte er, dass es im Fall einer Niederlage Assads keine Angriffe aus Rache gegen die alawitische Minderheit geben werde, der Assads Familie entstammt.
Als al-Dscholani die Verbindungen zu al-Qaida kappt, erklärt er, dies zu tun, um dem Westen keine Gründe zu geben, seine Organisation anzugreifen. Nach Angaben von Nahostexperte Pierret hat er seitdem versucht, sich auf den Weg zu einem "aufstrebenden Staatsmann" zu begeben.
Im Nordwesten Syriens zwang al-Julani rivalisierenden islamistischen Gruppen im Januar 2017 einen Zusammenschluss mit der HTS auf und beanspruchte damit die Kontrolle über weite Teile der nordwestsyrischen Provinz Idlib. HTS baute in den von ihr kontrollierten Gegenden eine zivile Regierung auf und richtete eine Art Staat in Idlib ein, während sie zugleich ihre Rivalen zerschlug.
HTS wurden in dieser Zeit von Bewohnern und Menschenrechtsgruppen brutales Vorgehen gegen Andersdenkende vorgeworfen – die Vereinten Nationen stufen diese als Kriegsverbrechen ein.
Aktuell ist al-Dscholani in Syrien der Mann der Stunde. Auch viele säkulare Assad-Gegner feiern derzeit den Vormarsch der Aufständischen als Befreiung. Wird nun ein Dschihadist als Staatsmann?
Doch die Skepsis bleibt. Al-Dscholani hatte enge Bindungen an die Terrororganisation Islamischer Staat, war Teil der Nusra-Front, einem syrischen Ableger von al-Kaida. Die USA setzten ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar auf ihn aus. Ob er es schaffen wird, sich in Syrien durchzusetzen und was er danach vorhat - etwa mit den kurdisch dominierten Aufständischen der SDF im Nordosten des Landes - muss sich erst noch zeigen.