Ab 1. Jänner 2021 soll in Wien ein Rechtsabbiegeverbot für LKW über einem Gesamtgewicht von 7,5 Tonnen und ohne Rechtsabbiege-Assistent gelten. Das sieht eine Verordnung von Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Birgit Hebein (Grüne) vor. Bis Ende des Jahres sollte eine Übergangsfrist für die Nachrüstung gelten, ab 1. Jänner sollte von der Polizei kontrolliert werden. Auslöser war ein tragischer Unfall im Jänner 2019, bei dem ein neunjähriger Bub am Scooter auf dem Weg in die Schule bei der Petrusgasse (Landstraße) von einem LKW überrollt worden war und verstarb.
Gelten soll die Verordnung im gesamten Stadtgebiet mit Ausnahme der Autobahnen. Ausgenommen sind auch Busse, da diese durch die größeren Fenster und durchsichtigen Türen weniger Risiko darstellen würden. "Der Verordnungsentwurf liegt jetzt vor, ist bei der EU-Kommission zur Notifizierung und Ende April, wenn alles klappt, verordnet", erklärte Hebein im Februar. Doch nun könnte der Plan wackeln, denn die EU-Kommission erhebt Einwände.
In einem Brief an Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), der "Heute" vorliegt, übt die EU-Kommission Kritik. Dem Verordnungs-Entwurf sei keine Studie vorausgegangen, in der geprüft wurde, auf welchen Straßen im Stadtgebiet eine Durchfahrt ohne Einbiegeassistenzen möglich sei. LKW-Fahrer, deren Fahrzeug keinen Abbiegeassistent hat, müssten ihre Route künftigt sorgfältig planen und dabei auf ein Navigationsgerät zurückgreifen. Schwierif, denn die österreichischen Behörden räumen ein, dass konventionelle Navigationssystem diese Streckenführung nicht unterstützen.
Zudem folgt die EU-Kommission inhaltlich einem Sachverständigenbericht der Wirtschaftskammer Wien, das die Auswirkungen des Verbots prüfte. Demnach würden LKW ohne Abbiegeassistent in Kreisverkehren zum ewigen Im-Kreis-Fahren verdammt, da für ein Verlassen das Rechtsabbiegen notwendig wäre - und eben dieses wäre dann verboten. Negative Auswirkungen seien demnach auch auf die Versorgung mit Gütern und die Umwelt zu befürchten. "Unter Berücksichtigung der vorhandenen Gegebenheiten, wie etwa Lage von Ladezonen oder Einbahnen, können bestimmte Ziele nicht mehr erreicht werden", heißt es in dem Gutachten. Die Folge wären größere Umwege, dadurch mehr LKW-Verkehr in der Stadt und mehr CO2-Emissionen.
Die Verordnung hätte aus Sicht der EU-Kommission negative Folgen für LKW-Hersteller ohne Rechtsabbiege-Assistent. Denn durch das Fahrverbot für Brummis ohne Rechts-Abbiegeassistenzsystem wurde die Nachfrage für diese LKW deutlich sinken, die EU sieht hier eine Versperrung des Marktzugangs.
"Die EU-Kommission bestreitet nicht, dass in Lastkraftfahrzeugen eingebaute moderne Assistenzsysteme die Straßenverkehrssicherheit verbessern können", heißt es in dem Schreiben. Tatsächlich hat die EU den Beschluss gefasst, bis 2022 Rechtsabbiege-Assistenten zur Typisierung freizugeben. Gesetzlich vorgeschrieben werden diese dann ab 2024.
Die EU ist also nicht per se gegen neue Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, spricht sich jedoch gegen ganz Wien als Wirkungsgebiet der Verordnung aus. Nach Ansicht der Kommission könnte es eine "ausführliche Studie auf der Grundlage von Daten zu wahrscheinlichen Unfallorten" ermöglichen, das Ziel der Straßenverkehrssicherheit mit weniger einschränkenden Mitteln als einem vollständigen Rechtseinbiegeverbot zu erreichen.
Diese hätten die österreichischen Behörden aber nicht geprüft, bevor sie den Entwurf zum Rechtsabbiege-Verbot vorgelegt hätten. Als Alternativen zu einem allgemeinen Rechtseinbiegeverbot, schlägt die EU-Kommission als weniger einschränkende Maßnahmen etwa die Festlegung von "bestimmten heiklen Bereichen" vor, in denen die Rechtseinbiegeverbote gelten könnten. Dazu sei die Aufstellung von Spiegeln an gefährlichen Kreuzungen, die Vermeidung von Fußgängerüberwegen an gefährlichen Stellen sowie alternative Maßnahmen zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit zu prüfen.
Kein Verständnis hat die EU-Kommission auch für die in der Verordnung genannten Ausnahmen, wie die Busse der Wiener Linien, Sattlzugfahrzeuge sowie Sonderkraftfahrzeuge. "Das Risiko für die Verkehrssicherheit ist aber in diesen Fällen dasselbe, zumal in der Stadt Wien ständig Busse verkehren".
"Falls das Rechtseinbiegeverbot unter Berücksichtigung aller vorstehenden Ausführungen noch immer als die am besten geeignete und verhältnismäßigste Wahl erscheint, sollten die Behörden die Verabschiedung flankierender Maßnahmen prüfen, um die negativen Aspekte des Verbots abzumildern, beispielsweise die Bereitstellung und deutliche Ausschilderung alternativer Strecken und weitere finanzielle Unterstützung für die Nachrüstung von Einbiegeassistenten", so die EU-Kommission.
Die Stadt will dennoch an den Plänen zum Abbiegeverbot festhalten. "Bei etwa einem Fünftel der Verkehrstoten in Wien ist ein rechtsabbiegender LKW involviert. Die Sicherheit für ungeschützte Verkehrsteilnehmer, vor allem für Kinder, hat oberste Priorität, weshalb die Stadt Wien die rechtliche Möglichkeit nutzt und ein Rechtsabbiegeverbot für LKW ab 7,5t ohne Abbiegeassistenten einführt", heißt es in einer Stellungnahme aus Hebeins Büro.
In einem Schreiben sei auf die Bedenken der EU-Kommission eingegangen. Unter anderem mit der Erläuterungen zum uneingeschränkten Durchfahren auf dem höherrangigen Straßennetz. "Die Verordnung wird so schnell wie möglich in Kraft treten, aufgrund der wirtschaftlich angespannten Situation als Folge der Corona-Pandemie wird die Übergangsfrist bis 1.7.2021 verlängert", heißt es.