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Russische Ärzte haben mysteriöse "Unfälle"

Heute Redaktion
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Zwei Ärzte und eine Gesundheitsmitarbeiterin stürzten in Russland aus Spitalfenstern. Das wirft Fragen auf. Derweil attestieren Experten dem russischen Präsidenten "Realitätsverlust" nicht nur in der Corona-Krise.

In Russland geben derzeit Fälle rund um zwei Ärzten und eine Gesundheitsmitarbeiterin zu reden, die sich aus dem Fenster gestürzt haben sollen. So liegt Alexander Schulepow, ein Notfallmediziner aus der Stadt Voronezh, in kritischer Verfassung im Krankenhaus, nachdem er letzten Samstag unter ungeklärten Umständen aus dem zweiten Stock des Novousmanskaya-Spitals gestürzt war.

Zuvor war er positiv auf Covid-19 getestet worden. Am gleichen Tag, am 22. April, hatte er mit einem Freund ein Video veröffentlicht und erklärt, er werde trotz seiner Erkrankung gezwungen, weiter im Spital zu arbeiten.

Zweites Video

Später veröffentlichte er ein weiteres Video online, in dem er seine Aussagen zurückzog und im Beisein des Chefarzts des Novousmanskaya-Spitals erklärte, dass er im ersten Video "von Gefühlen übermannt" worden sei. Der Chefarzt bestätigte in dem Video, dass es im Spital genügend Schutzausrüstung gebe. Die mysteriösen Umstände rund um den Fenstersturz gaben Spekulationen Auftrieb, dass Schulepow zu der Aussage im zweiten Video gezwungen worden sein könnte. "Er fühlte sich gut, er war bereit, aus dem Spital entlassen zu werden – und auf einmal passiert so etwas. Es ist mir unverständlich, es gibt so viele Fragen, auf die ich keine Antwort weiß", sagt Schulepows ratloser Freund zu CNN.

Die Oberärztin Elena Nepomnyaschchaya und die Gesundheitsmitarbeiterin Natalya Lebedewa überlebten hingegen nicht, als sie im sibirischen Krasnojarsk und Moskau aus mehreren Stockwerken in die Tiefe fielen. Lokale TV-Sender berichten, Nepomnyaschchaya sei während eines Treffens mit regionalen Gesundheitsvertretern aus dem Fenster gestürzt, als es um die Frage gegangen sei, ob das Spital zu einem Corona-Zentrum ausgebaut werden solle. Die Ärztin soll diese Pläne angelehnt haben, weil das Krankenhaus nicht über genügen Schutzmaterial verfüge. Das Spital dementierte dies später und erklärte, man habe von allem genügend an Lager.

"Tragischer Unfall"

Viel Ungeklärtes gibt es auch im Fall der Gesundheitsmitarbeiterin Lebedewa: Das Krankenhaus, in dem sie arbeitete, informierte am 24. April, dass Lebedewa wegen einer vermuteten Ansteckung mit dem Coronavirus behandelt worden sei, doch dass die Frau jetzt bei einem "tragischen Unfall" ums Leben gekommen sei. «Sie war in ihrem Gebiet äußerst professionell und rettete jeden Tag Leben", hieß es nur noch.

Es sind nicht nur diese mysteriösen Fälle, die in Russland für Unruhe und Misstrauen sorgen. Zwar ist Russland schon seit mehr als einem Monat im Lockdown. Doch an der Virusfront explodieren die Zahlen. Zuletzt gab es um die 10.000 neuen Fälle täglich. Auch Regierungschef Michail Mischustin ist infiziert. Der russische Präsident Wladimir Putin, der in seiner Moskauer Vorstadtresidenz Nowo-Ogarjowo wie in einem Bunker sitzt, agiert in der Krise nach Meinung vieler Russen auffällig defensiv.

"Putin leidet unter Realitätsverlust"

Das schlägt sich auf Putins Zustimmungswerte nieder: Sie sind im Sinkflug, wie Umfrageinstitute ermittelten. Außerdem macht sich Proteststimmung breit – bisher meist im Internet, weil Straßenaktionen verboten sind. Putin selbst werde zum "Feind" der von ihm immer wieder beschworenen Stabilität, beobachtet der Politologe Andrei Perzew von der Moskauer Denkfabrik Carnegie Center: "Putin wird zum Anti-Putin."

Der Experte attestiert Putin zudem gehörigen "Realitätsverlust" – nicht zuletzt, weil Putin unlängst meinte, dass 70 Prozent der Russen zur Mittelschicht gehörten. Wer 17.000 Rubel (rund 211 Euro) im Monat verdiene, erfülle das Kriterium. Perzew analysiert, dass Putin nicht mehr auf Berater höre und Fehler mache. Er nennt als Beispiele die größte Verfassungsänderung der russischen Geschichte, die Putin den Verbleib an der Macht sichern soll. Zudem erinnert der Experte an den von Russland mit Saudi-Arabien angezettelten Preiskrieg auf dem Ölmarkt.

Kampf um den Rubel

Immer lauter werden die Hilferufe verzweifelter Bürger und Unternehmer, Putin möge seine "Schatztruhe" öffnen. Russland gehört zu den Ländern mit den größten Geld- und Goldreserven der Welt. Aber eine staatliche Unterstützung lässt in Russland weiter auf sich warten.

Derweil ist Zentralbank-Chefin Elwira Nabiullina vor allem damit beschäftigt, nach dem Ölpreiscrash den Rubel vor dem Fall ins Bodenlose zu retten. Russlands Währung richtet sich am Ölpreis aus und verlor deshalb massiv an Wert gegenüber dem Dollar und Euro. Die Bank schüttete dann Milliarden Devisen auf den Markt, um den Rubel zu stützen.

Vernichtet das Virus Putins Lebenswerk?

Weil der Haushalt der Rohstoff-Großmacht von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasverkauf abhängig ist, reißen die niedrigen Energiepreise ein Milliardenloch in den Etat. Manch einer sieht schon die Gefahr eines Rückfalls Russlands in die von Armut geprägten 1990er-Jahre. Dabei steht Putin wie kein anderer für Jahre des Aufschwungs – für einen starken Lenker, der das Land nach dem Chaos damals wieder zu einer auch militärisch selbstbewussten Großmacht gemacht hat.

Doch nun wirke das Land, das gern in der Weltpolitik mitmische, in einem kritischen Moment schwach, schrieb der Wirtschaftsprofessor Jewgeni Gontmacher. Die Arbeitslosenzahlen drohen zu explodieren – auf womöglich 10 Millionen, heißt es in Analysen. Das Virus, die niedrigen Preise für Russlands wichtigste Exportgüter Öl und Gas, die Sanktionen des Westens wegen des Ukrainekonflikts – all das drohe Putins Lebenswerk zu vernichten, meinen Experten.

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