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Schloss aus Glas: Oscar-reife Familiengeschichte

Brie Larson und Woody Harrelson in der bewegenden Verfilmung der Memoiren von Jeanette Walls.

Heute Redaktion
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Jeanette sitzt in einem noblen new yorker restaurant, die Haare hochgesteckt und fette Klunker um den hals, um die künftigen Kunden ihres Banker-Verlobten zu bespaßen. Als die Sprache auf ihre Familie kommt, übernimmt er das Lügen, und als sie sich ihre Essenreste einpacken lässt (und das ihrer Nachbarin gleich mit), will er es schnell als Scherz abtun. Sie blitzt halt doch gelegentlich auf, Jeanettes nicht immer leichte, nicht selten hungergeplagte Kindheit.

Aber nur um eins gleich klarzustellen: Jeanette (Brie Larson) ist nicht nur ein schmuckes Accessoire mit dem der Mann des Hauses (Max Greenfield) auf Dinnerpartys anzugeben weiß. Die Journalistin ist zäh, wehrhaft und selbstbewusst. Aber wenn es dann einmal um ihre Eltern geht, die sie auf der Heimfahrt aus dem Nobelschuppen im New Yorker Müll wühlen sieht, kommen eben nicht die schönsten Erinnerungen hoch.

Träumer und Nomaden

Weil die Künstlermama (Naomie Watts) lieber ihr Gemälde fertigstellt, als selbst zu kochen, geht die kleine Jeanette (Chandler Head) beim Würstlsieden in Flammen auf. Als Papa Rex (Woody Harrelson), Aussteiger und Säufer, Visionär und Tunichtgut sie im Krankenhaus besucht, wird die Jugendfürsorge hellhörig. Einen Spitalsausbruch später ist die (bald) sechsköpfige Familie wieder mal vogelfrei und ins nächste Teilzeidomizil unterwegs.

Das ist Jeanettes leben: Ständig am Sprung, ständig am Pendeln zwischen heruntergekommenen Hütten ohne Elektrizität und fließend Wasser, die der Vater nie mit dem versprochenen Schloss aus Glas ersetzen wird.

Stark, deprimierend, preisverdächtig

Die Familiengeschichte glänzt durch einen großartigen Cast und ein beeindruckendes Skript, das voller schmucker, kleiner Einzeiler ("What the hell, it's Christmas, you'll get your own planet!") steckt und niemals vollends ins Deprimierende kippt. Die schwierigsten Themen werden jedoch nur mit Samthandschuhen angefasst (Missbrauch durch die Hillbilly-Großmutter) und der emotionale Schlussakkord - inklusive eines tränenreichen Hau-schon-ab-Moments - passt in seiner Klischeehaftigkeit so gar nicht zum Rest des Films. Für ein paar Oscar-Nominierungen sollte es trotzdem reichen.

"Schloss aus Glas" startet am 22. September in den österreichischen Kinos.

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