Szene

Schuldig oder nicht schuldig: Das ist hier die Frage!

Am Donnerstag sorgte Ferdinand von Schirachs Justizdrama "Terror" in den Kammerspielen für ein viel diskutiertes und eindeutiges Urteil.

Heute Redaktion
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Am Donnerstag Abend durfte das Publikum der Kammerspiele über Schuld oder Unschuld einer Kampfpilotin abstimmen, die 164 Menschenleben opferte, um 70.000 zu retten. Filmregisseur Julian Pölsler gab bei dem Justizdrama sein Theater-Debut.

"Bevor wir anfangen, möchte

ich Sie bitten, alles zu vergessen,

was Sie über diesen Fall

gelesen oder gehört haben.

Wirklich alles. Nur Sie sind

dazu berufen, hier zu urteilen,

Sie sind die Geschworenen,

die Laienrichter, die heute

über die Angeklagte Lara

Koch zu Gericht sitzen. Das

Gesetz stattet Sie mit der

Macht aus, über das Schicksal

eines Menschen zu entscheiden.

Bitte nehmen Sie

diese Verantwortung ernst."


Vorsitzende

Worum geht's eigentlich?

Ferdinand von Schirachs "Terror" (mit Florian David Fitz in der erfolgreichen TV-Version) zeigt unser aller moralisches Dilemma in erschreckend aktueller Form: Ein Terrorist entführt ein Flugzeug mit 164 Menschen an Bord. Sein Ziel: Das Flugzeug in ein mit 70.000 Menschen vollbesetztes Fußballstadion stürzen zu lassen. Kampfpilotin Lara Koch trifft entgegen ihrer Befehle eine Entscheidung: Sie schießt das Flugzeug ab und wählt somit "das kleinere Übel".

Das Gesetz des kleineren Übels

Stellen Sie sich jedoch vorweg einmal die Frage: Ist es (rechtlich wie menschlich) in Ordnung, 164 Menschen zu opfern, um 70.000 zu retten? Die meisten werden aufgrund des "geringeren Übels" wohl zur Antwort "Ja" tendieren. So auch das Premieren-Publikum der Kammerspiele am vergangenen Donnerstag Abend. Der Fall der Kampfpilotin Lara Koch (Pauline Knof von einer ganz neuen Seite!), die in Ferdinand von Schirachs Werk ein von Terroristen entführtes Zivilflugzeug -

gegen den Befehl ihrer Vorgesetzten - abschoß, um eine Katastrophe mit 70.000 toten Zivilisten eines Fußballstadions zu verhindern, sorgte dennoch für kontroverse Meinungen.

Der Fall Lara Koch

Nachdem der Fall Lara Koch nun in Form eines real nachgestellten Gerichtsfalls akribisch aufgerollt wurde, fiel es so manchem Laienrichter plötzlich gar nicht mehr so leicht, die Angeklagte mit "Nicht schuldig" davonkommen zu lassen. Dafür sorgte hauptsächlich die Staatsanwältin Nelson (hinreißend besonnen: Susa Meyer), die den Geschworenen eine rein juridische und nicht moralische Seite des Falls zu schildern versuchte. Kein Menschenleben dürfe gegen ein anderes Menschenleben aufgewogen werden, so befiehlt es das Gesetz.

Urteil mittels Münze

Gekonnt dagegen appellierte Koch-Verteidigerin Biegler (stark und am Punkt: Martina Stilp-Scheifinger) an die Notwendigkeit eines menschlichen Urteils, weil auch unser Justizsystem seine Fehler und Tücken habe und die Schuldfrage beim System selbst zu suchen sei. Beide Verteidiger brachten durchaus plausible Fakten vor. Nach dem Schlussplädoyer der Verteidiger wurden das Publikum aufgefordert, sich zur Beratung des Urteiles zurückzuziehen und mittels Münze über Schuld und Unschuld zu entscheiden.

Gesetz versus Menschenverstand

Kein leichtes Unterfangen, hier ein eindeutiges Urteil zu fällen: weder für Richterin und Vorsitzende (taff und höchst professionell: Julia Stemberger), noch für die Zeugin der Anklage (großartig: Alexandra Krismer), die leidtragende Witwe (berührend: Silvia Meisterle) oder die Geschworenen des Abends. Und auch wenn die Vorsitzende in ihrem Anfangsplädoyer die Laienrichter um eine menschliche Entscheidung der Schöffen bittet, durfte man doch die juridischen Fakten und das Gesetz nicht aus dem Auge lassen.

Wie würde ich handeln?

Ein echtes Dilemma. Denn jung wie alt stellte sich in der 20-minütigen "Geschworenen-Pause" die Frage: "Wie würde ICH handeln?" Mehr noch: "Wie würde ich handeln, wären in jenem Flugzeug meine Liebsten und Verwandten gesessen?". Zwei entscheidende Fragen werden vor diesem Gericht jedoch nur am Rande behandelt: Warum wurde nicht veranlasst, das vollbesetzte Stadion zu räumen (wäre laut Notfallplan in 45 Minuten möglich gewesen!). Und hätten die Passagiere (nach den neuen Sicherheitsvorkehrungen) ins Cockpit eindringen können, um den Terroristen zu überwältigen?

Perfektes Zusammenspiel der Power-Frauen

So wurde nach Abschluß der Verhandlung jedem einzelnen Saalgast eine Münze überreicht, die er in eine Urne mit "Schuldig" oder "Nicht schuldig" werfen musste. Regisseur Julian Pölsler inszenierte hier ein überaus starkes Frauenpower-Ensemble, das völlig ohne männliche Mitwirkung auskommt. Sogar die junge Wachtmeisterin (Gioia Osthoff) hat in diesem Stück aufgrund ihrer Stärke eine absolute Berechtigung. Walter Vogelweider rückt Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit, als mächtige Steinskulptur in den Mittelpunkt der kargen Gerichtssaal-Bühne und erinnert den Zuseher somit immer wieder (bewußt oder unbewußt) daran, das Gesetz und nicht den "Hausverstand" entscheiden zu lassen.

Das Urteil fällen die Laienrichter

Dennoch oder gerade deswegen entschied das Publikum an diesem Abend wohl für "nicht schuldig". Denn selbst wenn man das Gesetz noch so sehr vertreten mag, hofft doch jeder insgeheim - gerade in Zeiten wie diesen - niemals eine solche Entscheidung über Leben und Tod fällen zu müssen. Wer selbst beim Justiz-Thriller mitentscheiden möchte, kann das noch bis Ende der Spielsaison in den Kammerspielen der Josefstadt tun.

Alles in allem ist "Terror" ein höchst gelungenes Justiz-Spiel mit einem außergewöhnlich gut formierten Damen-Ensemble. Sehenswert!

Tickets und Infos: Kammerspiele