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Schwarzer gibt sich online als weißer Rassist aus

Der Afroamerikaner Theo Wilson aus Denver schlüpfte online für acht Monate in die Haut eines weißen Rassisten. Und lernte dazu.

Heute Redaktion
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In der hyper-politisierten Gegenwart verlieren immer mehr Menschen die Fähigkeit, sich ins Denken von anderen hineinzuversetzen. Sie bewegen sich in sogenannten "Echo-Kammern" und nehmen nur noch wahr, was sie ohnehin schon glauben.

Der schwarze Slam-Poet und Schauspieler Theo Wilson versuchte den Ausbruch aus diesem intellektuellen Gefängnis. Der Mann aus Denver wollte verstehen, was die rechtsradikalen Trolls antreibt, die seine Facebook-Posts immer wieder aggressiv unter Beschuss nehmen. Wilson schritt zum Selbstversuch und gab sich als weißer Rassist aus.

Lucious25 geht unter Rassisten

Wilson schuf ein "Geisterprofil": Unter dem Namen Lucious25 mischte er sich 2015 online unter Rechtsradikale und beteiligte sich an deren Diskussionen. "In wenigen Wochen hinterfragte Wilsons alternative Identität den Geburtsort von Barack Obama und wetterte gegen Black Lives Matter", schreibt die "Washington Post". Nach ein paar Monaten war er ein unzufriedener Dauergast auf Alt-Right-Websites, die bei weißen Rassisten populär sind, wie "Info Wars" und "American Renaissance" und schrieb Kommentare zu rassistischen YouTube-Videos.

Wilson führte das Experiment acht Monate lang durch. Über seine Erfahrungen berichtete er Anfang Juli in einem auf YouTube erhältlichen TED-Vortrag (Video siehe unten). "Ehrlich gesagt, es war irgendwie aufregend", gesteht er darin. "Ich habe Tage damit verbracht, mich durch mein neues Rassistenprofil zu klicken und mich im Land der Arier auszutoben."

Strom von Sündenböcken

Wie er in einem Interview mit der "Post" erklärt, schockierte ihn, was er erlebte. "Es gibt immer noch Leute, die Schwarze als nicht vollständig menschlich betrachten und glauben, wir hinkten bezüglich Evolution hinterher. Ich las, dass unsere Gesichtsmerkmale affenähnlich seien und die dunkle Haut unsere Primitivität beweise. Manche Leute glauben, der Unterschied zwischen uns sei der zwischen zwei Arten, nicht Rassen."

Zu seinem Erstaunen verspürte er aber auch Mitgefühl mit den weißen Hassern. "Ich begann zu verstehen, wie es mit ihnen so weit gekommen ist." Die Anhänger der Alt-Right bewegten sich online in einer Medienblase, die ihnen einen endlosen Strom von Sündenböcken liefere, glaubt er.

Die Online-Welt verstärke bei den Rassisten das Bedürfnis, alles Negative auf schwarze Körper zu projizieren. Für die in solchem Denken Gefangenen sei Rassismus ein "bequemer Käfig".

"So vorhersehbar wie die Schwerkraft"

Trotz des erlernten Mitgefühls – er habe wenig Hoffnung auf grundlegende Veränderungen, sagt Wilson. "Die gesellschaftlichen Kräfte, die den Rassismus allgegenwärtig machen, werden nicht ohne Weiteres verschwinden." Wie Wilson der News-Website Westword in Denver sagte, war für ihn der gewalttätige Protest der Rechtsradikalen in Charlottesville nicht überraschend. "Das war so vorhersehbar wie die Schwerkraft."

Politisch spiele allenfalls eine Rolle, dass ein Neonazi mit dem Auto in eine Gegendemonstrantin gefahren sei, sagt Wilson. "Der einzige Lichtblick war, dass die Alt-Right jede moralische Rechtfertigung verlor, die sie hätte haben können. Das endete, als Heather Heyer getötet wurde."

Theo Wilson erzählt von seinem Online-Experiment:

(Quelle: YouTube/TEDx Talks) (sut)