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"Season: A letter to the future" im Test – große Gefühl

Bildhübsch, hochemotional und anregend: "Season: A letter to the future" ist eine Indie-Spiele-Überraschung, die leider viel zu kurz ausgefallen ist. 

Rene Findenig
Leider viel zu kurz, aber jede Spielminute wert: "Season: A letter to the future" im Test.
Leider viel zu kurz, aber jede Spielminute wert: "Season: A letter to the future" im Test.

In wenigen Stunden beziehungsweise an einem Tag hat man das neue Game "Season: A letter to the future" (für PlayStation und PC) durchgezockt – und das ist auch das größte Manko am Titel. Denn was die Macher von Scavengers Studio da vorsetzen, sieht nicht nur bildhübsch aus, der Mix aus Animationsfilm und Erkundungs-Game spricht auch brandaktuelle Themen in einer ruhigen, unaufgeregten, aber sehr emotionalen Form an. Der Titel nimmt uns mit auf die Reise von Estelle, die mit ihrem Fahrrad eine Welt erkunden und dokumentieren will, die kurz vor einem enormen Wandel steht.

Estelle lebt eigentlich in einem Dorf namens Caro, dessen Bewohner es seit Generationen nicht verlassen haben. Entsprechend wenig wissen die Dorfbewohner über die Welt da draußen Bescheid, denn die Dorfgrenzen schützten sie seit je her vor dem Wechsel der Jahreszeiten. Während im Dorf eine Jahreszeit eine ganze Ära dauert, neigt sich in der weiten Welt jedoch die aktuelle dem Ende zu – und Estelle will dieses Ende, den danach kommenden Neubeginn und den Wandel in allen möglichen Formen dokumentieren. Auf ihrem Fahrrad erwartet die Protagonistin und die Spieler dabei großes Gefühlskino.

Eine Geschichte der ganz, ganz großen Themen

Erwachsenwerden, Klimawandel, Umweltzerstörung – Themen wie diese schneidet das Spiel im Minutentakt an, ohne aber dem Spieler alles vorzukauen oder gar belehrend wirken zu wollen. Für Estelle aber geht es auch um eine persönliche Mission: Ausgerüstet mit Fotokamera, Audiorekorder und einem Notizbuch, das zum titelgebenden "Brief an die Zukunft" werden soll, will die Protagonistin ihren verstorbenen Vater ehren. Und schon dieser Aspekt ist tieftraurig: Der große Wunsch von Estelles Vater war es, die Grenzen des Dorfes zu überschreiten – er wagte es aus Angst allerdings bis zu seinem Tod nie.

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    In wenigen Stunden beziehungsweise an einem Tag hat man das neue Game "Season: A letter to the future" (für PlayStation und PC) durchgezockt – und das ist auch das ...
    In wenigen Stunden beziehungsweise an einem Tag hat man das neue Game "Season: A letter to the future" (für PlayStation und PC) durchgezockt – und das ist auch das ...
    Scavengers Studio

    Nur mit ihren Dokumentations-Utensilien und einem Schutz-Amulett ausgerüstet, beginnt für Estelle eine Reise, die in einem Tal beginnt, das gerade wegen einer Überflutung evakuiert wird. Und schon geht es los mit der Erkundungsarbeit, denn es gibt kleine Fragen wie den Grund für die Überflutung und große Fragen wie, was nach der Flut und auch nach dem Ende der Jahreszeit übrig bleiben wird und wie dies die Welt verändern wird, zu klären. Für Estelle wird das Abenteuer auch zum Selbstfindungstrip – und die Antworten sollen die Personen liefern, die direkt von diesen Veränderungen betroffen sind.

    Überraschen schnelles, aber auch passendes Ende

    Wer aber eine alles erklärende Handlung erwartet, wird überrascht, denn immer wieder zeigt "Seasons: A letter to the future", dass es mysteriös bleiben will – und streut seltsame Geschehnisse wie die Spuren eine längst vergessenen Krieges oder eine sogenannte "Zeitwahrnehmungsstörung" ein, die das Spiel streckenweise wie einen seltsamen Traum wirken lassen. Dem stehen wiederum hervorragend umgesetzte Charaktere zur Seite, die dem Spieler klarmachen, wie die Zeitenwende ihr Leben verändert, welche Chancen sie verpasst haben und welche Schicksalsschläge sie hinnehmen mussten. 

    Zeit, verpasste Chancen, für immer verlorene Jugend, die Schwere des Alters, der Kampf gegen das Vergessen und das Zwingen zum Loslassen – das Game meistert einen Balanceakt hochkomplexer Thematiken hervorragend. Etwas enttäuschend ist aber, wie plötzlich und überraschend das Spiel endet. Die Entwickler nennen eine Spielzeit bis zu zwölf Stunden, wenn man das Game auf sich wirken lässt – zügig gespielt ist man aber auch nach vier bis fünf Stunden am Ende angelangt, das ohne große Enthüllung auskommt. Irgendwie passt es dann aber auch perfekt zur Geschichte des Spiels.

    Über weite Teile mehr Animationsfilm als Videospiel

    Immerhin: Einen Wiederspielwert gibt es nicht nur wegen der tollen Grafik und der gut erzählten Story, die Aktionen und Entscheidungen im Spielverlauf führen auch zu einigen unterschiedlichen Enden. Bis auf diese zu treffenden Entscheidungen und Dokumentations-Aktionen läuft das Spiel aber über weite Strecken mit sehr simplem Gameplay ab. In unserem Notizbuch steht pro besuchter Region ein vorgegebener Platz parat, auf dem wir das dort Erlebte in Form von Zeichnungen, Fotos, Audioaufnahmen und Co. recht frei gestalten dürfen. Davor darf man die Spielwelt knipsen, aufnehmen und bereisen.

    Zum nächsten Spielabschnitt vorstoßen darf man, wenn man genug Erinnerungsstücke in den "Zukunftsbrief" gesteckt hat und Estelle dann alles noch einmal in ihren Worten zusammenfasst. Dabei gibt es aber auch so etwas wie Nebenmissionen: Treffen wir abseits der Hauptaufgaben auf Nebenschauplätze, notiert sich Estelle einige Fragen, etwa, was es mit einem Bauwerk auf sich hat. Die Spieler bekommen dabei schemenhafte Symbole eingeblendet und sollen daraus ableiten, was sie in der Spielwelt suchen und dokumentieren sollen, um das Rätsel aufzuklären. Eine nette Zusatzaufgabe, die motiviert.

    Nutzt die Zeit, die euch bleibt, denn sie kommt nicht wieder

    Technisch zeigt sich "Season: A letter to the future" beeindruckend gut. Zwar ist die Steuerung simpel, sowohl der Einsatz der Tasten und auf der PlayStation der Funktionsumfang des DualSense-Controllers wurden aber schlau eingeplant. So radelt man mit den Schultertasten auf dem Fahrrad dahin und muss stärker zudrücken, wenn der Weg mal bergauf führt. Oder aber der Controller ruckelt und zuckelt, wenn man einen steinigen Weg erkundet. Insgesamt darf man aber nicht allzu viel in der Spielwelt anstellen – da hätte es durchaus mehr sein dürfen. Fantastisch wiederum zeigt sich die Animationsfilm-Grafik.

    Kleinere Ruckler konnten den guten Eindruck kaum trüben, denn Figuren, Landschaften und Objekte wurden liebevoll gestaltet und wirken wie einem teuer produzierten Kinofilm entnommen. Und so spielt sich "Season: A letter to the future" letztlich auch: wie ein melancholischer, atmosphärisch dichter und gefühlvoller Streifen, in dem man hier und da auch mal selbst eingreifen darf, der aber vor allem mit seiner Geschichte und seinen Themen beeindruckt. Und so tieftraurig das Spiel stellenweise ist, so vermittelt es eine beeindruckende Botschaft: Nutzt die Zeit, die euch bleibt, denn sie kommt nicht wieder.