Szene

Sechs Stunden Wagner - ein Erdbeben

Heute Redaktion
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Bild: Picturedesk

Unter all den Opernfestivals ist Bayreuth etwas ganz Besonderes. Um Bayreuth muss der Fan kämpfen. Schon der Anstieg auf den grünen Hügel, auf dem Wagner sein Opernhaus errichten ließ, weil ihm die vorhandene wunderschöne Rokoko-Oper mit ihren kuscheligen Logen zu viele Ablenkungsmöglichkeiten fürs Publikum bot, ist steil.

 

Die Sitzbänke in Wagners Arena sind unbequem. Nickerchen verbieten sich da von selbst. Dennoch sind Karten so begehrt, dass man sich nicht selten Jahre gedulden muss. Aber nichts kann einen Wagner-Fan davon abhalten, zu einer Neuinterpretation von "Tristan und Isolde" (sechs Stunden inkl. Pause) zu pilgern - vor allem, wenn Wagners Urenkelin und baldige Festivalchefin Katharina Wagner 150 Jahre nach der Uraufführung Regie führt.

Sie lässt sich weder von Familienstreitigkeiten noch von vorausgehender Häme irritieren. Wunderbar, wie sie mit dem Spiel von Licht und Dunkelheit und abstrakten Bühnenbildformen den Besucher in die dramatische und hocherotische Welt von Richard Wagners Meisterwerk entführt.

Großartig die Sänger, allen voran Stephen Gould: Er meistert den Tristan souverän, mit kraftvoller Stimme und dennoch weichem, feinem Timbre. Christian Thielemann dirigiert einfühlsam und zügig und lässt Wagners Musik auf ihrer Berg- und Talfahrt von Hass und Liebe triumphieren. Verdi erfasste vor dem Werk "ein schauderndes Staunen", den zweiten Akt fand er "unsagbar wunderbar".

Brillant, wie Katharina Wagner das berühmte Liebesduett im 2. Akt, "Oh, sink hernieder, du Nacht der Liebe", inszeniert, abgewandt vom Publikum, in sich gekehrt, außerhalb dieser Welt. "Tristan und Isolde" ist ein musikalisches Erdbeben, eine Geschichte unzähmbarer Leidenschaft und Liebesraserei, voller Verrat, Demütigung und Sehnsucht, an deren Ende der Liebestod steht. Großer Applaus. Zu sehen und hören bis 23. 8. Hoch lebe die Kunst.