Asiem El Difraoui im Talk

"Sehe schwarz für palästinensische Zivilbevölkerung"

Der Krieg zwischen der Hamas und Israel droht weiter zu eskalieren. Was tun? Politologe Asiem El Difraoui lässt mit einer Einschätzung aufhorchen.

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    Ein Raketenangriff auf das al-Ahli-Arab-Spital in Gaza soll am 17. Oktober 500 Menschen getötet haben.
    Ein Raketenangriff auf das al-Ahli-Arab-Spital in Gaza soll am 17. Oktober 500 Menschen getötet haben.
    MAHMUD HAMS / AFP / picturedesk.com

    Nach dem Beschuss des christlich geführten al-Ahli-Arab-Krankenhauses in Gaza mit mutmaßlich Hunderten Toten brodelt es im Nahen Osten. Erreicht der Krieg zwischen der Hamas und Israel damit eine neue Eskalationsstufe? Was für Optionen gibt es noch und was kann die internationale Diplomatie tun?

    Ernüchternde Antworten gibt Asiem El Difraoui, Politologe und Mitherausgeber von "Zenith", einem deutschen Fachmagazin für die arabisch-islamische Welt im Interview mit "20 Minuten".

    Herr El Difraoui, sehen wir eine neue Eskalationsstufe auf die Zerstörung des Gaza-Spitals?

    Wir sehen auf jeden Fall eine neue Stufe der Traurigkeit und des Leidens der Zivilbevölkerung. Ob auch militärisch eine neue Eskalationsstufe erreicht wurde, ist derzeit schwer zu sagen, zumal nicht klar feststeht, wer für den Beschuss des Spitals verantwortlich ist.

    Asiem El Difraoui bei der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow Markus Lanz im Studio Stahltwiete, Hamburg, im April 2017.
    Asiem El Difraoui bei der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow Markus Lanz im Studio Stahltwiete, Hamburg, im April 2017.
    imago/Future Image

    Ließe sich eine neue Eskalationsstufe eindämmen?

    Das scheint mir leider sehr unwahrscheinlich. Nach der verheerenden Hamas-Attacke muss die israelische Regierung reagieren – sonst bricht das gesamte Selbstverständnis Israels zusammen. Das haben die Israelis sehr klar gemacht, mitunter mit nicht gut gewählten Worten. In ihren Augen muss Hamas militärisch besiegt werden, mit dem Einmarsch der Bodentruppen in Nord-Gaza. Eine sehr harte neue Eskalationsstufe.

    Was für Optionen hat Israel außer Bodentruppen?

    Nach dem Hamas-Angriff und den vielen, vielen Toten bleibt der israelischen Regierung kaum mehr Handlungsspielraum, so entsetzlich das ist. Man könnte davon träumen, dass die internationale Gemeinschaft eingreift, die Hamas entwaffnet und die Verantwortlichen vor den Strafgerichtshof gestellt werden. Das scheint mir ein Wunschdenken – und zeigt wieder einmal die Machtlosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft. Kommen Wegsehen und die Denke hinzu, dass sich das Problem mit einem Zaun schon erledigt. Doch so ist es eben nicht. Jetzt tun sich vielmehr noch mehr Probleme auf.

    Das scheint mir ein Wunschdenken – und zeigt wieder einmal die Machtlosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft.
    Asiem El Difraoui
    gegenüber "20 Minuten"

    Welche weiteren Probleme sehen Sie?

    Ich befürchte, dass jetzt Sympathisanten des Jihadismus weltweit wieder Auftrieb erhalten werden. Gleichzeitig sehe ich schwarz für die palästinensische Zivilbevölkerung, die niemand aufnehmen wird. Aber auch für Israelis. Diese Bodenoffensive wird das Leben vieler junger Soldaten und Soldatinnen kosten, denn die Hamas ist auf eine Bodenoffensive gut vorbereitet.

    Kann die internationale Diplomatie keine Lösung finden?

    Die Diplomatie kann im Moment nur hoffen, der Zivilgesellschaft zu helfen. Diplomatische Lösungen sind erst möglich, wenn die Hamas in der heutigen Form nicht mehr existiert. Jetzt muss sie sich um das Leben der palästinensischen Zivilbevölkerung sorgen, dass diese Zugang zu Hilfsmitteln und medizinischer Versorgung erhält. Hier kann sie noch Druck ausüben, aber jetzt politisch auf die Hamas oder auf Israel einzuwirken, das vermag sie nicht.

    Für Europa wäre der Worst Case, wenn Polarisierung, Antisemitismus, Islamophobie und Rechtsextremismus weiter wachsen.
    Asiem El Difraoui
    gegenüber "20 Minuten"

    Wie geht es weiter?

    Im schlimmsten Fall weitet sich der Krieg zwischen Israel und Hamas zu einem Flächenbrand im Nahen Osten aus, bei dem sich der Libanon mit der Hisbollah und der Iran einmischen und es sogar zu Umsturzkämpfen in der Region kommt. Und für Europa wäre der Worst Case, wenn Polarisierung, Antisemitismus, Islamophobie und Rechtsextremismus weiter wachsen.

    Dagegen können wir aber noch etwas tun: Den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, zum gegenseitigen Dialog in unseren demokratischen Gesellschaften aufrufen und all diese Extremisten gleichzeitig bekämpfen – immerhin sind die Islamisten und die Rechtsextremen ja genau gleich antisemitisch. Außerdem kann man nur hoffen, dass eine geschickte Geheimdiplomatie dafür sorgt, dass sich der Konflikt durch den Iran und seine Satelliten nicht ausweitet.

    Und das Best-Case-Szenario?

    Zurzeit besteht nur die Hoffnung, dass nicht noch mehr Zivilisten sterben und die Konfrontation mit der Hamas ein ganz schnelles Ende nimmt. Denn ein ganz großer Teil der palästinensischen Bevölkerung ist mit der Hamas schon seit langem sehr unglücklich. Hoffentlich gibt es irgendwann eine palästinensische Führung – es gibt eine große, hochgebildete Diaspora –, die es schafft, mit Israel zu verhandeln und ein Lösungsmodell zu erarbeiten. Der Konflikt hat den ganzen Nahen Osten längst vergiftet und wird von islamistischen Organisationen schon viel zu lange als Feigenblatt benutzt.

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