"Mein Vater wird zugrunde gehen", sagt Selina R.* zu 20 Minuten. Im März letzten Jahres lernte der Mann aus dem Berner Oberland "Beatrix" kennen – seitdem steht das Leben seiner Familie Kopf. "Für uns ist es so klar, dass es sich um einen Betrug handelt, aber er sieht nur noch die junge Frau."
Die mysteriöse Frau lernte der 71-Jährige durch eine SMS einer anonymen Vermittlungsagentur kennen. Seit fast einem Jahr steht er nun regelmäßig mit ihr in Kontakt. Der Haken an der Sache: Für die Telefongespräche muss er zahlen – mittlerweile habe er bereits ungefähr 73.000 Euro ausgegeben.
Doch wie konnte es so weit kommen? Nach dem ersten Kontakt mit "Beatrix" wollten sich die beiden noch am selben Abend treffen. Dafür sollte die Frau nach Zweisimmen fahren – auf dem Weg dorthin geriet sie angeblich jedoch in einen Verkehrsunfall.
"Mein Vater wollte, dass sie zu Fuß nach Zweisimmen läuft", erzählt Selina. Danach sei der Kontakt abgebrochen. Einige Zeit später meldete sich Beatrix aus dem Krankenhaus zurück. Sie sei unterkühlt im Wald aufgefunden worden. Einige Zeit später folgte der nächste Schock für den Vater: Beatrix müsse aufgrund des Vorfalls in eine psychiatrische Klinik.
"Sie sagt immer wieder, dass sie nur dort gelandet ist, weil er wollte, dass sie bis nach Zweisimmen läuft. Er fühlt sich jetzt schuldig, dass sie in die Psychiatrie gekommen ist." Weder der Name noch der Standort der Klinik sind bekannt – Beatrix dürfe ihm diese Informationen nicht mitteilen, sonst bräche der Kontakt ab.
Die fast täglichen Telefongespräche gingen weiter. Anfangs wurden die Telefongebühren über seinen Mobilfunkanbieter abgerechnet. Doch nach einer Zeit wurde er gesperrt, weil er zu viele Schulden angehäuft hatte. "Es war für uns alle eine komische Situation", sagt Selina. Anschließend richtete die Vermittlungsagentur ein Konto ein, auf das ihr Vater einzahlen konnte.
"Wir haben gemerkt, dass Zahlungen vom Ehegattenkonto auf ein zypriotisches Bankkonto gingen." Daraufhin kam es zum Streit mit seiner Ehefrau, kurze Zeit später ließ sich das Paar scheiden. "Er hat sich entschieden, den Weg mit Beatrix zu gehen", sagt seine Tochter.
Nach Angaben von Selina hat ihr Vater bereits rund 73.000 Euro für die Telefonate ausgegeben. "Man hat ihm gesagt, dass Beatrix ebenfalls für jeden Anruf bezahlen muss." Um die Telefonate finanzieren zu können, habe er sogar eine Immobilie verkauft und wieder angefangen zu arbeiten. "Wir fühlen uns hilflos. Wir sehen einfach, wie er zu Boden geht", sagt Selina.
"Das Schlimmste ist, dass er noch nie ein Foto von ihr gesehen hat. Sie behauptet, die Psychiatrie habe kein Internet, um eines zu schicken", sagt Selina. "Er ist ein Mensch mit alten Werten. Wenn ihm etwas gesagt wird, dann glaubt er es."
Beatrix hätte ihm ebenfalls geraten, nicht mehr mit seiner Familie über das Thema zu sprechen. "Mein Vater hat alles verloren", sagt Selina. "Es geht uns nicht einmal ums Geld. Er hat den Kontakt zur ganzen Familie abgebrochen. Ich bin die Einzige, mit der er noch spricht."
Trotz mehrfacher Versuche, den Vater zur Einsicht zu bringen, weigere er sich, die Möglichkeit eines Betrugs in Betracht zu ziehen. Selbst die Polizei und seine Bank haben ihn gewarnt. "Deshalb sind wir zur Kesb gegangen, um eine Gefährdungsmeldung einzureichen." Diese kam jedoch zum Schluss, dass der Vater zurechnungsfähig sei. "Solange er zurechnungsfähig ist, können sie nichts unternehmen."
Selina ist verzweifelt – bis jetzt konnte noch keine Lösung gefunden werden. "Wir müssen doch den Geldfluss stoppen und ihm helfen können", sagt sie. "Das Schweizer Gesetz lässt es uns als Familie nicht zu, diesen Betrug aufzuhalten. Dafür möchten wir kämpfen."
Mit ihrer Geschichte möchte Selina andere Menschen vor ähnlichen Betrugsmaschen warnen. Im Interview erklärt eine Expertin, woran Liebesbetrüger erkennbar sind und was Betroffene in solch einer Situation tun können.
20 Minuten kontaktiert die angebliche Vermittlungsagentur, über die P.R. die Telefonate führt. Nachdem sich 20 Minuten am Telefon vorgestellt und allgemeine Fragen zur Geschäftstätigkeit gestellt hat, wird die Verbindung unterbrochen. Beim nächsten Anruf geht nur noch der Anrufbeantworter ran. "Du hast die richtige Nummer gewählt, um mit kontaktfreudigen Frauen aus deiner Region zu plaudern", sagt eine erotische Frauenstimme und motiviert dazu, eine kostenpflichtige Telefonnummer zu wählen.
* Namen der Redaktion bekannt