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Valeria (1) braucht 1 Million, um zu überleben

Heute Redaktion
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Ein mutiertes Gen löst bei Valeria täglich Krampfanfälle aus und bedroht ihr Leben. Eine neue Therapie könnte sie heilen. Die Eltern sammeln Spenden.

Bis zu 20 Mal pro Tag verzieht die einjährige Valeria das Gesicht, versteift Arme und Beine und schreit vor Schmerzen. Das passiert, weil die eine Kopie ihres Gens KCNT1 nicht richtig arbeitet: Es schüttet zu viel Protein aus, das die Kaliumkanäle stört und epileptische Anfälle auslöst. Die Folgen sind verheerend: Valeria wird ohne Behandlung nicht gehen oder sprechen lernen und das Erwachsenenalter wohl nicht erreichen.

"Als Eltern ist man total hilflos. Wir nehmen Valeria während ihren extrem schmerzhaften Anfällen in den Arm und geben ihr Nähe. Mehr könnten wir nicht tun", sagt Mutter Alexandra Schenkel (34) aus der Schweizer Gemeinde Horw.

Alle möglichen Medikamente nützen nichts

Der erste Anfall erfasste Valeria vier Tage nach der Geburt im Februar 2018. Als die Eltern sahen, dass ihr der Atem versagt und ihr Gesicht blau anläuft, gerieten sie in Panik: "Wir waren völlig überfordert und fuhren sofort in die Notaufnahme", sagt Alexandra. Doch dort verzweifelten die Eltern noch mehr: Die Ärzte wussten nicht, warum Valeria derart schmerzhafte Anfälle erleidet und testeten ein Dutzend Medikamente – erfolglos.

Nach langwierigen Abklärungen dann die Diagnose: Valeria leidet am Gendefekt KCNT1. Weltweit sind nur rund hundert weitere Fälle bekannt. Eine Therapie gebe es nicht, sagen die Schweizer Ärzte. Und auch wenn: Krankenkassen und IV bezahlen nichts an die Entwicklung spezifischer Therapien. "Es war ein Alptraum. Wir wollten es gar nicht wahrhaben", sagt Alexandra.

Die rettende Therapie kostet 1,6 Millionen

Diese Aussichten akzeptierte Vater Mario nicht. Er recherchierte auf eigene Faust und stieß auf den Neurogenetiker Leonard Kaczmarek, Professor an der Yale University (USA). Eine von ihm kürzlich entwickelte Gen-Therapie könnte Valeria retten. Kostenpunkt: 1,8 Millionen Franken – umgerechnet 1,6 Millionen Euro. Zwar trieb die junge Familie die Hälfte des Geldes auf. Den Rest wollen Freunde von Valeria nun in einem Crowdfunding sammeln.

"Wenn wir die Therapie bei Valeria schnell beginnen, können wir viele oder alle Effekte des Gendefekts aufhalten", sagt Neurogenetiker Kaczmarek zur Zeitung "20 Minuten". Das Verfahren sei bei Menschen zwar noch nie erprobt worden. Man wisse dementsprechend nicht, wie früh man die Therapie starten müsse. Trotzdem spricht er von einem "Durchbruch in der Gentherapie", der auch weitere Krankheiten heilen könne. "Wir entwickeln angepasste DNA-Schnipsel, die an das fehlerhafte Gen andocken und es ‹überdecken›", erklärt Kaczmarek. Beginnen könne die Therapie bereits im Oktober.

Preis könnte bei Durchbruch sinken

Es sei unfair, dass betroffene Eltern nur durch ein Crowdfunding die teure und aufwändige Therapie finanzieren können, so der Neurogenetiker. Hier müsse ein staatlicher Fonds für seltene Krankheiten einspringen, findet er. Er verspricht aber Hoffnung für weitere Betroffene extrem seltener Gen-Defekte: "Wenn die Methode bei Valeria funktioniert, dürfte der Preis bald drastisch sinken." Bis dahin brauche es das außergewöhnliche Engagement der Eltern. "Ohne das hätte Valeria nicht den Hauch einer Chance."

Bereits im Januar erregte in der Schweiz das Crowdfunding für die muskelkranke Bettina (31) für Aufsehen. Innert kurzer Zeit spendeten fast 4000 Personen die benötigten 600'000 Franken für ihre Therapie. Teil der Debatte war damals auch die Frage, ob es Aufgabe von Privatpersonen sei, für spezifische und extrem teure Medikamente aufzukommen.

Ebenfalls kontrovers diskutiert wurde damals über den ethisch heiklen Aspekt, inwiefern ein Menschenleben in einem Geldbetrag aufgewogen werden könne. Das Bundesgericht legte fest, dass die Kostengrenze für die Allgemeinheit bei 100'000 Franken pro zusätzlichem Lebensjahr liege.

Die Eltern im Video-Interview mit "20 Minuten":