Österreich

"Spital warf Celina raus": 18-Jährige starb Hungertod

Celina H. wurde trotz schwerer Magersucht mit 31 Kilo aus dem Krankenhaus entlassen – angeblich, weil der Platz für Corona-Patienten benötigt wurde.
Christine Ziechert
01.05.2023, 17:21
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Fünf Jahr lang kämpfte Celina H. gegen ihre Magersucht an. Am 14. Juli 2020 starb die 1,64 Meter große Oberösterreicherin mit 31 Kilo – kurz nachdem sie aus dem Kepler Universitätsklinikum in Linz entlassen wurde. Die 18-Jährige war rund zwei Wochen davor von der Jugend- auf die Erwachsenenabteilung verlegt worden. "Ihr Tod wäre vermeidbar gewesen", ist sich ihr Vater, Oliver J. (42), sicher.

Alles begann, als Celina etwa 13 Jahre alt war: "Auslöser war, dass sie  in der Mittelschule gemobbt wurde. Wir haben aber danach alles wieder gut in den Griff bekommen", erzählt Oliver J. im Gespräch mit "Heute". Doch rund drei Jahre später schlitterte die damals 16-Jährige nach einem Vorfall wieder in die Magersucht: "Sie hat extrem Sport gemacht und gemeint: 'Das kann ich kontrollieren'. Sie hat sich für den langsamen Hungertod entschieden", meint der 42-Jährige.

Verlegung von Jugend- auf Erwachsenen-Station

Mit etwa 17 Jahren wurde Celinas Zustand so bedenklich, dass sie an der Kinder- und Jugendabteilung des Kepler Universitätsklinikums (KUK) in Linz aufgenommen wurde: "Sie wurde über eine Magensonde ernährt, hat aber auch selbst gegessen", erinnert sich ihr Vater.

Am 10. Oktober 2019 wurde Celina 18. Jahre alt – und somit volljährig: "Zum Glück haben sie sie noch einige Monate auf der Jugendabteilung behalten. Aber dann wurde sie auf die Interne Abteilung für Erwachsene verlegt. Dort lag sie mit Corona-Patienten in einem Zimmer und musste schließlich in Quarantäne", erzählt Oliver J. 

Beratung und Hilfe bei Essstörungen

Infos zu Beratungsstellen und telefonischen Auskünften sowie ambulanten und stationären Einrichtungen bietet etwa die Österreichische Gesellschaft für Essstörungen (ÖGES) unter https://www.oeges.or.at/betreuung.html

"sowhat" ist laut eigener Angabe die größte ambulante Einrichtung zur Behandlung von Menschen mit Essstörungen in Österreich. An drei Standorten (Wien, Mödling, St. Pölten) beraten und behandeln Experten aus Allgemeinmedizin, Psychotherapie, Psychologie, Physiotherapie, Bewegung, Ernährung, Sozial- und Angehörigenarbeit. Es bestehen Verträge mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS). 

„"Sie sollte 250 bis 300 Milliliter künstliche Ernährung bekommen. Das war ihr zu viel, sie wollte ja auch noch selbst essen. Sie meinte: 'Mein Kopf akzeptiert das nicht!" - Oliver J., Vater von Celina“

Als Celina wieder auf die Interne zurückkam, sollte die Nahrungsaufnahme laut Oliver J. auf das Drei- bis Vierfache hochgeschraubt werden: "Sie sollte 250 bis 300 Milliliter künstliche Ernährung bekommen. Das war ihr zu viel, sie wollte ja auch noch selbst essen. Sie meinte: 'Mein Kopf akzeptiert das nicht!'", meint der 42-Jährige.

Auf die Frage, warum Celina nicht in der psychiatrischen Abteilung aufgenommen wurde, berichtet Oliver J.: "Wir haben es versucht. Aber sie hatte einen BMI von 10, wog nur noch 31 Kilo bei einer Größe von 1,64 Meter. Die Ärzte meinten, sie benötigt mindestens einen BMI von 15, da sie geistig sonst nicht (be)handlungsfähig wäre."

„"Celina wollte Hilfe. Sie wurde gegen ihren Willen hinausgeschmissen, wollte auch den Revers nicht unterschreiben" - Oliver J.“

Rund zwei Wochen nach Verlegung auf die Interne wurde Celina schließlich entlassen: Laut einer früheren Stellungnahme des KUK wegen "mangelnder Kooperation". Aus ärztlicher Sicht sei sie entscheidungsfähig, eine Behandlung "gegen ihren Willen daher nicht zulässig gewesen".

"Das stimmt nicht, Celina wollte und brauchte Hilfe. Sie hat nur die extrem erhöhte Kalorienaufnahme nach der Quarantäne nicht akzeptiert. Sie wurde gegen ihren Willen hinausgeschmissen, wollte auch den Revers nicht unterschreiben", erklärt Oliver J. Laut dem 42-Jährigen hätten die Ärzte darauf gepocht, dass der Platz für wichtigere Corona-Patienten benötigt wird. "Sie meinten zu ihr, dass sie genauso gut zu Hause sterben könne. "

Celina starb mit 31 Kilogramm

Kaum zu Hause in ihrer Linzer Wohnung angekommen, sackten ihre Werte plötzlich ab: "Sie sagte zu mir: 'Papa, ich schaff' die Nacht nicht.' Der Hausarzt war schockiert, sie wurde über Nacht in ein Spital eingewiesen. Über Umwege kam sie dann stationär ins LKH Rohrbach, wo sie nach etwa einer Woche Aufenthalt am 14. Juli 2020 verstarb", ist Oliver J. noch sichtlich erschüttert.

Der 42-Jährige klagte daraufhin das KUK. Das Landesgericht Linz wies die Klage ab, doch das Oberlandesgericht (OLG) Linz gab seiner Berufung statt. "Durch eine Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst (lege artis, Anm.) hätte der Tod vermieden werden können. Bei akuter Selbstgefährdung wäre eine Unterbringung im Sinne des Unterbringungsgesetzes sowie eine zwangsweise Ernährung indiziert gewesen", heißt es in dem Beschluss.

„"Wenn junge Erwachsene aus dem Krankenhaus entlassen werden, heißt es: 'Friss' oder stirb!' Ich will einfach, dass das nicht noch einmal passiert" - Oliver J.“

Nun muss geklärt werden, ob die Behandlung lege artis erfolgt ist oder nicht. Das KUK bestreitet bis dato einen "Rauswurf" und sieht kein Fehlverhalten. Auf "Heute"-Nachfrage meint eine Sprecherin: "Wir bedauern den tragischen Tod der Patientin zutiefst und möchten der gesamten Familie unser Beileid aussprechen. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt bzw. wir als Klinikum dem Datenschutz verpflichtet sind, dürfen wir jedoch zu diesem Fall aktuell keine weitere Stellungnahme abgeben."

Am 15. Mai findet die nächste Verhandlung statt: "Dann muss ich beweisen, dass ich ein Naheverhältnis zu Celina hatte", meint Oliver J., der in Vorarlberg lebt. Er klagt zudem auf 30.000 Euro Trauerschmerzengeld: "Es geht mir nicht um Finanzielles oder eine direkte Schuldzuweisung. Wenn junge Erwachsene aus dem Krankenhaus entlassen werden, heißt es: 'Friss' oder stirb!' Ich will einfach, dass das nicht noch einmal passiert." 

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