Politik

Strasser nahm Urteil wie versteinert entgegen

Heute Redaktion
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Der letzte Prozesstag am Wiener Straflandesgericht gegen Ex-Innenminister und EU-Parlamentarier Ernst Strasser endete am Montagnachmittag mit einem Paukenschlag. Als Strafe bekam er vier Jahre unbedingt aufgebrummt, muss also ins Gefängnis. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

"Wenn die Korruption ganz oben beginnt, besteht für die Justiz akuter Handlungsbedarf", begründete Richter Georg Olschak die harte Strafe. Die Anwendung einer elektronischen Fußfessel ist angesichts des hohen Strafmaßes ebenso ausgeschlossen wie eine teilbedingte Haftstrafe.

Sollte das Urteil bestätigt werden, müsste Strasser folglich zumindest die Hälfte der Haftstrafe absitzen, bevor er eine vorzeitige bedingte Entlassung oder den elektronisch überwachten Hausarrest in Form einer Fußfessel beantragen kann. Ernst Strasser gab keine Stellungnahme ab, sein Verteidiger Thomas Kralik kündigte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig.

Schöffensenat hatte keine Zweifel

Für den Schöffensenat war der Tatbestand der Bestechlichkeit "ganz eindeutig erfüllt". Es stehe "ohne Zweifel fest", dass Ernst Strasser bei den Gesprächen mit den als Lobbyisten getarnten Enthüllungsjournalisten Claire Newell und Jonathan Calvert vom 11. November und 3. Dezember 2010 "eine monetäre Leistung von 100.000 Euro Jahresgage für die Einflussnahme auf die Gesetzgebung im EU-Parlament" gefordert habe, stellte Richter Georg Olschak in der ausführlichen Urteilsbegründung fest, der Strasser mit versteinerter Miene folgte.

Direkt an Ernst Strasser gewandt, bemerkte Richter Georg Olschak: "Es hat in der Zweiten Republik in Österreich wenig Personen gegeben, die dem Ansehen der Republik so geschadet haben wie Sie in der gegenständlichen Causa". Zur verhängten Strafe führte Richter Georg Olschak aus: "Es muss einen Unterschied machen, ob ein kleiner Gemeinderat eines Kuhdorfs sich für eine Baubewilligung, die vielleicht fünf Personen betrifft, bestechen lässt oder ein Mitglied des Europäischen Parlaments cash for law nimmt."

Strassers Behauptung, er habe die Journalisten für Geheimdienst-Agenten gehalten und sie bzw. ihre Hintermänner aufdecken wollen, zählte Olschak "wohl zum Abenteuerlichsten, was mir in meiner 20-jährigen Erfahrung untergekommen ist". Und weiter: "Sie werden in Österreich kein Gericht finden, das dieser Verantwortung glauben wird." Vielmehr habe Strasser die Journalisten "tatsächlich für Angestellte einer Lobbyingfirma gehalten" und in seiner Funktion als Abgeordneter des Europäischen Parlaments "cash for law" betrieben, führte Olschak aus.

Anklage: "Rüttelt an den Grundfesten der Demokratie"

Oberstaatsanwältin Alexandra Maruna hatte zuvor in ihrem Schlussplädoyer einen Schuldspruch für den früheren EU-Abgeordneten Ernst Strasser (V) wegen "Bestechlichkeit" gefordert. Als Erschwernisgrund wertete Maruna, dass Strasser sein Mandat missbraucht habe um sich zu bereichern: "Das rüttelt an den Grundfesten der Demokratie." Strassers Verteidigungslinie (Stichwort: Geheimdienstverdacht) schenkte sie keinen Glauben: "Strasser wollte Geschäfte mit Bergman & Lynch machen, nicht deren wahre Identität aufdecken."

"Pflichtwidriges Amtsgeschäft"

Dass letztlich kein Geld geflossen ist, ist aus Marunas Sicht nicht ausschlaggebend für eine Verurteilung wegen "Bestechlichkeit": "Der Tatbestand ist mit der Forderung erfüllt, es ist irrelevant ob Geld geflossen ist oder nicht." Klar ist für sie auch, dass das Verhalten Strassers sehr wohl ein "pflichtwidriges Amtsgeschäft" im Sinne des Tatbestandes sei. Denn Strasser habe versucht, den Gesetzgebungsprozess zugunsten seiner vorgeblichen Kunden zu beeinflussen und seine einzige Motivation dafür sei das geforderte Honorar gewesen.

Auch dass im Vertragsentwurf zwischen Strasser und den vermeintlichen Lobbyisten explizit die Einhaltung der Unvereinbarkeitsregeln des EU-Parlaments festgeschrieben wurde, ist aus Marunas Sicht nicht entscheidend. Dies habe nur dazu gedient, "dem Ganzen einen legalen Anstrich zu geben", sagte die Vertreterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft: "Es wird eben aus Schnaps nicht Wasser - und wenn man es noch so groß auf die Flasche drauf schreibt."

"Er hat sein Mandat nicht verkauft", hielt Verteidiger Thomas Kralik den Ausführungen der Anklägerin entgegen. "Die Optik ist keine sehr schöne", räumte der Anwalt ein, "aber wir haben im Strafverfahren nur zu beurteilen, ob ein strafbares Verhalten gesetzt wurde". Ein solches liege im gegenständlichen Fall eben nicht vor: "Doktor Strasser hat nichts Unrechtes getan. Daher beantrage ich einen Freispruch." Strasser verzichtete auf ein Schlusswort.

Technische Probleme und fehlendes Video

Zu Beginn des Tages hatten Claire Newell und Jonathan Calvert in einer Videokonferenz trotz technischen Problemen  aus. Das sind jene beiden britischen Enthüllungsjournalisten, denen Strasser Gesetzesänderungen gegen Bargeld angeboten haben soll – die Videoaufzeichnung ging um die Welt. Kurz nach 11 Uhr startete die mit Spannung erwartete Befragung mittels Videokonferenz nach London, die aber nicht auf Anhieb funktionierte, dann aber 90 Minuten dauerte. Richter Georg Olschak musste vorab bestätigen, dass nur Gericht, Staatsanwältin, Angeklagter, Verteidigung und Dolmetscher die Übertragung sehen konnten.

Auch während der Befragung brach die Bildleitung immer wieder kurz zusammen. Das Publikum im Großen Schwurgerichtssaal konnte nur den Ton mithören. Dem Gericht fehlte am Ende offenbar ein Video, auf dem das erste Treffen zwischen Ernst Strasser und der verdeckt ermittelnden britischen Journalistin Claire Newell mitgeschnitten wurde. Das wurde bei der Zeugenbefragung  klar. Strasser-Verteidiger Thomas Kralik beantragte daher die Herbeischaffung der entsprechenden Beweismittel. Sein Antrag wurde aber abgelehnt.

Fragezeichen bezüglich Strassers Tätigkeit

Die Journalistin gab nämlich an, auch das erste Treffen am 30. Juni 2010 in Strassers Büro verdeckt mitgefilmt zu haben. Newell versicherte, dass die Videos nicht verändert worden seien: "Diese Aufnahmen wurden nicht bearbeitet oder geschnitten." Ausgewählt wurde Strasser für die verdeckte Recherche laut Newell, weil Fragezeichen bezüglich seiner beruflichen Tätigkeit bestanden hätten und ihnen berichtet worden sei, der damals neue VP-Abgeordnete sei bereit, kommerziellen Klienten zu helfen. Klar gestellt wurde von Newell, dass man nie vorgehabt habe, Strasser das besprochene Honorar von 100.000 Euro jährlich zu bezahlen.

Seite 2: Strassers Anwalt erhielt schriftliche Protokolle der Telefon-Abhörung!

Protokolle wurden verschriftlicht

Strassers Verteidiger Thomas Kralik hatte vor der Befragung die Verschriftlichung sämtlicher Telefon-Abhörprotokolle beantragt. Das Landesgericht hat diesem Antrag stattgegeben und Kralik zwei Ordner voll mit abgetippten Protokollen übergeben. Dem Verteidiger wurde angeboten, dass er nach den Zeugenaussagen eine 90-minütige Pause gewährt bekommt, um die Texte studieren zu können.

Richter Georg Olschak in Richtung Kralik: "Wie Sie sehen, waren die Organe der von Ihnen als Bananenrepublik bezeichneten Republik übers Wochenende nicht ganz untätig."

400 abgehörte Telefonate in 90 Minuten

Das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) hat sämtliche insgesamt 400 Telefonate Strassers, die heimlich mitgehört wurden, verschriftlicht. Trotz des Angebots der 90-minütigen Pause beantragte Kralik die Vertagung der Hauptverhandlung, um genügend Zeit zu haben, sich eingehend mit den Protokollen auseinanderzusetzen. Dies wurde vom Richter mit der Begründung abgelehnt, dass die Verteidigung lange genug Zeit gehabt hätte, einen solchen Antrag zu stellen.

Polizist sagte aus

Ein zum Auftakt des Prozesstages befragter BAK-Beamter berichtete, dass Strassers Lebensgefährtin Elisabeth K. im Februar 2011 befürchtete, von einem Geheimdienst überwacht zu werden. "Sie hat das Gefühl gehabt, dass möglicherweise in ihre Wohnung eingedrungen worden ist", sagte der Polizist. Sie sei davon ausgegangen, dass das in Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit ihres Mannes zusammenhängen könnte.

Der Polizist gab an, die Befürchtungen ernst genommen und versucht zu haben, einen Kontakt mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) herzustellen. Dazu sei es aber nicht mehr gekommen, weil Strassers Lebensgefährtin zuerst mit dem Ex-Innenminister darüber sprechen wollte, sagte der Beamte in seiner kaum zehn Minuten dauernden Befragung durch den Richter.

Aktivisten: "Lasst ihn frei! Das ist unser Ernst"

Während die Befragung der beiden britischen Aufdeckungs-Journalisten sorgten vor dem Schwurgerichtssaal Aktivisten für einen medienwirksamen Auftritt. Die "Freunde des Wohlstands", präsentierten drei Geheimagenten, die dank dicken Sonnenbrillen, Trenchcoat und Schlapphut als solche ausgewiesen waren. "Wir haben die Falle, die Ernst Strasser gestellt hat, eins zu eins nachgebaut. Dabei sind uns diese Agenten ins Netz gegangen", gab ein Vertreter der Gruppe bekannt. "Lasst ihn frei! Das ist unser Ernst."