Ukraine

"The Show Must Go On" – Zirkus mitten im Krieg

Der ukrainische Nationalzirkus ist in einem Gebäude mitten in Kiew untergebracht. Hier schalten die Menschen ab – trotz Bombenalarm.

20 Minuten
Dicke Mauern schützen die Zirkustiere vor dem Raketenlärm.
Dicke Mauern schützen die Zirkustiere vor dem Raketenlärm.
20 Minuten/Ann Guenter

Der Bub, er ist vielleicht sechs Jahre alt, steht auf, schließt die Augen, breitet die Arme aus und gibt sich ganz und gar der Musik hin. Sein Vater kämpft im Krieg, nur hier im Zirkus kann Sascha alle Sorgen vergessen. Deswegen bringt ihn seine Mutter an den Wochenenden, so oft es geht, in die Mittagsvorstellung. Auch die anderen Kinder verfolgen die 90-minütige Showeinlage gespannt.

Selbst Soldaten auf Urlaub sind mit ihren Familien da. "Sie können gratis rein. Hier können sie den Kopf abschalten", sagt Zirkusdirektor Wladislaw Kornienko. An diesem Samstag sitzen nur etwa 250 Zuschauende in den alten Holzstühlen, Platz wäre für 2.000.

72 Zirkustiere

Der Zirkusdirektor, der in New York und in Paris Theater studierte und in der Ukraine zwischenzeitlich stellvertretender Kulturminister war, hat sich dem Betrieb voll und ganz verschrieben. Der Krieg habe die 300-köpfige Zirkusfamilie noch enger zusammengeschweißt, sagt er: "Als Russland Kiew angriff, schliefen wir acht Wochen lang hier, die Artisten kümmerten sich um die 72 Tiere."

Dabei habe sich vor allem die Nahrungsbeschaffung schwierig gestaltet. "Wir haben unsere Lager just dort, wo die Russen einfielen. Es war lebensgefährlich, nach Irpin zu fahren. Wir hatten gerade einmal 30 Minuten Zeit, um Fleisch und Heu zu holen." Zur Überbrückung hätten dankenswerterweise Supermärkte und Private ausgeholfen. Das sei bis heute noch so.

Dicke Mauern schützen Tiere

Den Zirkustieren gehe es gut - trotz Krieg. "Das Gebäude wurde 1961 erbaut und hat so dicke Mauern, dass sie in ihren Gehegen und auch in der Manegen den Raketenalarm draußen nicht hören", so Kornienko. Wichtig sei, dass die Menschen die Tiere nicht mir ihrer Angst anstecken. "Sie spüren das. Doch es gibt keinen Grund zur Nervosität. Wir haben einen Bunker, der 2.000 Personen fasst und tief unter dem Boden liegt." 

Bereits zu Sowjetzeiten wurde die Zirkuskultur zelebriert. Die Kunst sollte dem Volk auf unterhaltsame Weise nahgebracht werden.
Bereits zu Sowjetzeiten wurde die Zirkuskultur zelebriert. Die Kunst sollte dem Volk auf unterhaltsame Weise nahgebracht werden.
20 Minuten/Ann Guenter

Drei Stunden im Bunker

Es sei in dem einen Jahr Krieg auch schon vorgekommen, dass der Strom ausfiel oder die Vorstellung wegen eines Angriffs unterbrochen werden musste. "Etwa bei unserer Neujahrsshow. Da harrten wir drei Stunden lang im Schutzraum aus - mit 500 Zuschauenden", erzählte Kornienko, der sich gerührt erinnert: "Sie blieben alle und schauten sich im Anschluss das Programm bis zum Schluss an."

Ernährungsumstellung

Dennoch wirkt sich der Krieg auf das Leben der Zirkustiere aus. Die zwei Löwen und zwei Tiger erhalten inzwischen statt Rind- nun Hühnerfleisch, weil das billiger ist. Vor allem aber können die Tiere nicht wie sonst in der langen Sommerpause zwei oder drei Monate aufs Land, in die Natur und an die frische Luft. "Das ist jetzt schlicht zu gefährlich", sagte der Direktor.

Umso intensiver würden die Tiere jeden Tag lange bewegt, ob Show oder nicht. Auch fehlt einer der Tierärzte, er kämpft an der Front. Immerhin konnten zwölf der Artisten vom Militärdienst befreit werden. "Es ist ein ständiger Kampf", so Kornienko, "aber wir finden immer eine Lösung."

Neun Programme in einem Jahr

Von diesem Kampf kriegen die Zuschauenden nichts mit, sie verfolgen das Programm, das sie in eine magische Welt mitnimmt und den Horror für kurze Zeit vergessen lässt. Daran setzt Zirkusdirektor Kornienko alles. Neun neue Programme haben er und sein Team in einem Kriegsjahr auf die Beine gestellt.

"Unsere Aufgabe ist es immer, die Leute zum Staunen zu bringen. Aber jetzt sind die Shows unser Beitrag zur Schlacht", sagte er. "Für die Menschen ist es wie eine Therapie hierherzukommen."

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