Österreich

Tote Flüchtlinge auf der A4: Das Telefonprotokoll

71 Leichen wurden aus einem Kühlwagen auf der A4 geborgen. Jetzt wird das Abhörprotokoll der Schlepper bekannt.

Heute Redaktion
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In diesem Kühl-Lkw erstickten 71 Flüchtlinge qualvoll.
In diesem Kühl-Lkw erstickten 71 Flüchtlinge qualvoll.
Bild: Thomas Lenger

Es ist der 26. August 2015. Auf der A4 bei Parndorf werden in einem Kühl-Lkw 71 Leichen von Flüchtlingen geborgen, die auf ihrer Fahrt mit Schleppern auf nur 14,26 Quadratmetern zusammengepfercht qualvoll erstickten.

Der Prozess gegen 11 Angeklagte beginnt in wenigen Tagen, zuvor wurde bekannt, dass die Polizei die Gespräche rund um die Todesfahrt abhörte, aber zu langsam übersetzte.

Der "Süddeutschen Zeitung", dem NDR und dem WDR wurden die Originalprotokolle der Telefongespräche zugespielt. Der "Tagesanzeiger" veröffentlicht Teile davon. In diesem Auszug ist zu lesen, wie die Schlepper die Menschen sterben hörten.

Der Bulgare Ivajlo S. steuerte das Fahrzeug, seine Landsmänner Todorov B. und Metodi G. sowie der Afghane Samsoor L. folgen in drei Autos und halten nach Polizeistreifen Ausschau. Alle vier telefonieren während der Fahrt:

Metodi G.: "Was ist los, Ivo?"

Ivajlo S.: "Sieh, was die machen. Sag denen, dass sie mit dem Blödsinn aufhören sollen."

Metodi G.: "Klopfen Sie etwa?"

Ivajlo S.: "Sie haben an der Tankstelle sehr stark geklopft. Scheiße, oh, mein Gott!"

Während die Männer telefonieren, steigt der Kohlendioxidgehalt im Laderaum. Die Türen sind von außen verschlossen. Über eine Stunde später telefonieren zwei Männer in den Begleitautos miteinander:

Metodi G.: "(...) Ivo soll den Lkw weiterfahren. Er soll so tun, als ob er sie nicht hört. Ihr werdet nicht auf einer Tankstelle, sondern auf einem Rastplatz halten."

Todorov N.: "Ja, aber dort gibt es auch Leute. (...) Hinten im Lkw steht einer und leuchtet mit der Lampe von einem Handy, und man kann sehen, wohin er leuchtet."

Die Flüchtlinge versuchten vermutlich, die Gummidichtungen der Tür zu zerschneiden. Nach 1,5 Stunden waren bereits die meisten Insassen tot. Vor allem die Frauen und Kinder. Die großen Männer, die am Türspalt standen, überlebten am längsten.

Todorov N.: "Ich weiß nicht, wo wir anhalten können, um Diesel einzufüllen. Was können wir machen? Sie sind Abschaum!"

Metodi G.: "Sie können nicht atmen. Er (Samsoor L., Anm.) sagt mir, dass du auf einem Parkplatz anhalten sollst. (...) Und innerhalb von einer Sekunde sollst du ihnen das Wasser zuwerfen und ihnen sagen, dass sie nicht reden sollen. Und du sollst danach so tun, als ob du nichts hörst."

Metodi G. telefoniert daraufhin mit Samsoor L. und schließlich wieder mit Todorov B.

Metodi G.: "Kannst du bitte den Leuten sagen, dass sie für fünf Minuten aufhören sollen, zu klopfen und zu reden. Er möchte volltanken und schauen, wie er den Leuten Wasser geben kann. Er sagt, er habe Angst, die Türen zu öffnen, weil die Leute dann sofort auf das Feld rennen würden."



Samsoor L
.: "Nein, nein, nein, nein! Das geht nicht, dass er die Tür aufmacht! Wenn er die Tür aufmacht, werden alle rauskommen! (...) Er kann ihnen kein Wasser geben. Sag ihm, er soll nur weiterfahren. Und falls sie sterben sollten, soll er sie dann in Deutschland im Wald abladen."

(...)

Todorov B
.: "Sie schweigen nicht."

Metodi G.: "Die werden schweigen, wenn ich es dir sage. Nur so lange, damit der Mann etwas Diesel in den Tank füllen kann. Und danach soll er nirgendwo mehr anhalten, sogar wenn die Personen so lange und so viel klopfen sollten, bis sie tot sind."

Todorov B.: "Er wird schon nicht anhalten. Wenn wir auf einem Parkplatz anhalten, werden sie das Ding da kaputt schlagen. (...) Und drin kreischen Frauen, schreien, heulen, was soll ich sagen. (...) Oh mein Gott, jetzt ist er auf den Rastplatz gefahren, oh, nein, nein, mein lieber Gott!"

Dann fährt der Lkw auf einen Parkplatz.

Metodi G.: "Der Lkw ist auf einem Parkplatz (...) Er sagt, dass die Kinder und Frauen weinen." (Er imitiert das Jammern.)

Samsoor L.: "Sag ihm, ich ficke alle! Sag - nein. Er soll ihnen sagen, dass er sie lieber sterben lassen würde. Das will ich."

Metodi G.: "Ich habe ihm schon gesagt, dass er nichts aufmachen darf, sondern nur Wasser füllen und weiterfahren soll. Er muss es nur bis Österreich schaffen."

Der Lkw fährt weiter, um 6.16 Uhr sprechen der Fahrer und Metodi G. miteinander.

Ivajlo S.: "Wenn sie weiter so klopfen, wird man es an der Grenze hören. Dort gibt es Polizei (...)"

Metodi G.: "Ich denke, dass sie keine Luft bekommen, ich bin mir 100 Prozent sicher, es ist weniger das Wasser und der Durst das Problem. (...) Du sollst weiterfahren, das ist das Wichtigste."

Ivajlo S.: "Sie schreien einfach die ganze Zeit, du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier los ist, wie sie schreien."

An der Grenze sind alle Passagiere tot. Am Mittag des 27. August, noch in Freiheit, telefonieren Samsoor L. und Metodi G. noch einmal.

Samsoor L.: "Weißt du, was passiert ist? (...) Dieser Lastwagen vom Meister, der Volvo. Man hat gehört, dass die Hälfte der Leute gestorben sind." (Anrufer lacht)

Metodi G.: "Gestorben?"

Samsoor L.: "Die Hälfte der Leute gestorben, ja."

(...)

Metodi G.: "Ts, ts, ts." (20min/Tagesanzeiger)