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Tumor drückte Baby ein Auge aus dem Schädel

Ein seltener Tumor in der Augenhöhle bedroht das Leben eines Säuglings. Das Kinderspital Zürich hilft mit einem neuartigen Medikament.

Heute Redaktion
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Der Tag der Geburt. Mit Freude erwarten die Eltern ihren kleinen Noah*. Doch als Noah endlich das Licht der Welt erblickt, bemerken Eltern und Ärzte, dass etwas mit dem Säugling nicht stimmt.

Das linke Auge des Kindes ragt heraus, befindet sich vollständig außerhalb der Augenhöhle. "Das muss ein großer Schock für die Eltern gewesen sein: Einerseits sah ihr Kind nicht so aus, wie man sich das als Eltern wünschen würde. Andererseits hatten sie Angst, dass es sich um eine ernste Erkrankung handeln könnte", sagt Nicolas Gerber, Onkologe und Forscher am Universitäts-Kinderspital Zürich, der den kleinen Noah zusammen mit seinem Team eines Tages erfolgreich behandeln wird.

Lichtblick: Studie

Den Grund für die Fehlbildung finden die Ärzte schnell heraus: Ein bösartiger Weichteiltumor, in der Fachsprache infantiles Fibrosarkom genannt, breitete sich in der gesamten Augenhöhle aus und drückte zudem auf das Gehirn. "Mit seiner großen Ausdehnung und der Nähe zu wichtigen Strukturen wie dem Sehnerv und dem Gehirn war der Tumor nicht operierbar", so Gerber. Doch die Ärzte mussten handeln. Der Tumor brachte den Säugling in Gefahr.

Ein Chemotherapie wird angeordnet, worauf der Tumor zwar etwas kleiner wird. Die Therapie ist für den kleinen Körper aber sehr strapaziös, es kommt zu Darmblutungen. Die Augenpflege gestaltet sich zudem schwierig und extrem aufwändig. Noahs Fall wird an einem Ärztetreffen besprochen. Das Kinderspital Zürich hatte soeben als einziges Kinderkrebszentrum der Schweiz im Rahmen einer internationalen Studie Zugang zu einem neuen zielgerichteten Medikament erhalten, von dem man wusste, dass es bei solchen Tumoren helfen könnte.

Ungewisse Erfolgschancen

"Wir stellten fest, dass der Tumor in Noahs Augenhöhle jene genetische Veränderung aufwies, die es für die Wirkung des Medikaments brauchte", sagt Gerber. Obwohl die Ärzte mit diesem Ansatz neue Hoffnung schöpften, Noah zu heilen, herrschte Ungewissheit über die Erfolgschancen.

Die Forschung zu diesem neuen Medikament bei Kindern steckt in der Anfangsphase, es gibt noch wenig Resultate über die Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen. "Uns waren ein paar positive Verläufe bei Kindern bekannt, die im Ausland in den vorangehenden Monaten damit behandelt worden waren", so Gerber.

Therapiestopp geplant

Gerber unterbreitet den Eltern die Möglichkeit. "Sie haben sehr positiv darauf reagiert und schöpften wie auch wir als Behandlungsteam Hoffnung, dass der Tumor nun endlich besiegt und das Auge gerettet werden könnte", so Gerber. Ihnen wie auch dem Ärzteteam sei bewusst gewesen, dass Noah das erste Kind in der Schweiz sein würde, das dieses Medikament zu sich nimmt. "Natürlich hatten auch wir Angst vor einer Enttäuschung", sagt Gerber.

Doch diese trat nicht ein. Bereits zehn Tage nach Beginn der Therapie hatte sich das Auge deutlich in die Augenhöhle zurückgezogen. Der Tumor schrumpfte, Monat um Monat. Noah ist mittlerweile über ein Jahr alt. Das Medikament wirkt noch immer, Nebenwirkungen hat der Bub keine.

"Wir planen bereits den Versuch eines Therapiestopps und hoffen, dass der ääußerst kleine Tumorrrest nicht mehr lebensfähig und die Therapie somit abgeschlossen ist", sagt Gerber. "Würde es sich herausstellen, dass er noch lebensfähig ist und wieder wächst, könnten wir mit dem Medikament wieder beginnen oder wenn notwendig eine Operation diskutieren, die aufgrund der massiven Verkleinerung jetzt im Bereich des Machbaren läge."

"Kein interessanter Markt für Pharma-Firmen"

Dank der Therapie durch das Kinderspital und der internationalen Studie wird Noah womöglich ein sorgenfreies Leben führen – sogar mit einem teilweise funktionierenden Auge. "Damit wir solche Behandlungen durchführen können, brauchen wir nicht nur personelle, sondern auch finanzielle Ressourcen", sagt Gerber.

Die Teilnahme an solchen Studien könne sich das Kinderspital nur dank Spenden leisten. "Pharmafirmen haben wenig Interesse an der Entwicklung von Medikamenten für Kinder mit Tumoren", sagt Gerber. Jedes Jahr gebe es rund 37.000 Krebsdiagnosen bei Erwachsenen, bei Kindern 220. "Diese Kinder haben zudem viele unterschiedliche Krebsarten. Ein Tumor wie ihn Noah hat, gibt es etwa einmal pro Jahr in der Schweiz. Das ist kein interessanter Markt für eine Pharmafirma."

Auftritt mit Weltstar

Die Teilnahme an Studien wie jene, die Noah das Leben gerettet hat, würden für eine Klinik viele Tausend Franken kosten. "Ohne Unterstützung durch Spenden sind weitere Fortschritte in der Forschung und in der Therapie nicht möglich", sagt Gerber.

Der Arzt setzt sich nun höchstpersönlich dafür ein, dass Leute Geld für krebskranke Kinder spenden. Am kommenden Montag wird er zusammen mit der weltweit bekannten Geigerin Patricia Kopatchinskaja am Benefizkonzert des Kinderspitals in der Tonhalle Maag am Klavier auftreten. "Ich übe dafür schon seit Monaten, wir haben ein wirklich schönes Programm zusammengestellt."

*Name von der Redaktion geändert.