"Sind viel zu wenige"

Ukraine-Frontsoldat schildert das Grauen des Krieges

Illya Zaikin (26) kämpft an der Front für die Ukraine. Doch viele Soldaten sind erschöpft und demoralisiert. Er ruft alle Ukrainer auf, zu helfen.

Ukraine-Frontsoldat schildert das Grauen des Krieges
Die Situation in der Ukraine ist angespannt. Die Soldaten dort bräuchten unbedingt Unterstützung, sagt Illya (26).
REUTERS (Symbolbild)

Schon vor einigen Monaten besuchte "20 Minuten" die 65. Brigade, die im Süden der Ukraine an der Front steht. Die Soldaten vor Ort kämpfen nicht nur gegen den russischen Aggressor, sondern auch gegen den Winter und die tiefen Temperaturen. In dem Erdloch von knapp zehn Quadratmetern, wo die Soldaten schlafen, machen ihnen auch Feldmäuse zu schaffen. Zudem plagen sie sich mit der eigenen Ernüchterung und Enttäuschung über ausbleibende Erfolge im Krieg. An der Front, im Osten der Ukraine, dient auch der 26-jährige Illya Zaikin. 20 Minuten konnte mit dem jungen Soldaten sprechen.

Illya ist nun schon seit mehr als neun Monaten in einer der Sturmbrigaden in Charkiw stationiert. Die Lage dort beschreibt der junge Mann als angespannt. "Wir sind viel zu wenige Männer im Militär. Die Stimmung der Soldaten wird immer schlechter. Wir brauchen definitiv weitere Unterstützung", so der 26-Jährige. Deshalb befürwortet er die Aufforderung des Verteidigungsministeriums, dass geflüchtete Männer zurück in die Ukraine und in den Krieg ziehen sollen (siehe Box).

"Wir haben eine Verantwortung unserer Heimat gegenüber"

Denn: Wie er beschreibt, seien viele Einheiten unterbesetzt, manche Soldaten müssten mehrere Aufgaben übernehmen. "In meiner Einheit bin ich der Einzige, der für die Kommunikation zuständig ist. Dementsprechend habe ich sehr viel Arbeit und bekomme nur sehr selten frei." Genaue Angaben zu seinem Militär-Alltag konnte Illya aus kriegsstrategischen Gründen nicht machen. Was er jedoch sagen kann, ist, dass der Dienst sehr anstrengend sei. Der 26-Jährige halte dem aber gern für die Verteidigung seines Landes stand, sagt er. Die Last des Wehrdienstes sollten aber alle teilen, nicht nur diejenigen, die nach Kriegsausbruch im Land geblieben seien, sagt Illya – und nimmt damit die geflüchteten Ukrainer in die Pflicht.

M. (29) flüchtete in die Schweiz – Militärdienst ist für ihn unvorstellbar
M. (29) ist vor sieben Monaten von der Ukraine nach Bern gekommen. In den Krieg zu ziehen, komme für ihn aktuell kaum infrage. "Es ist hart, die Situation mit anzusehen. Ich erkenne meine Lieblingsorte nicht einmal mehr." 

"Seinen Dienst zu leisten, sollte keine Frage des Wollens sein. Wir haben eine gewisse Verantwortung unserer Heimat gegenüber", so der Soldat. Auch, wenn er ein gewisses Verständnis dafür habe, weshalb viele vor der Verpflichtung fliehen würden, sei es für ihn auch eine Sache der Gleichheit, den Dienst zu leisten. "Es kann nicht sein, dass manche seit zwei Jahren ohne Pause dienen und ihre Familie für lange Zeit nicht sehen, während andere nicht bereit sind, ihr gemütliches Leben im Ausland aufzugeben."

Wann sie ihre Familien sehen, ist abhängig davon, wie viele einrücken

Wann sein Wehrdienst enden wird, weiß der 26-Jährige zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Das hänge davon ab, wie viele Männer künftig ins Militär einziehen würden. "Ich hoffe, es kommen bald mehr Männer. Wir sind einfach müde und brauchen dringend mehr Soldaten, die uns ablösen", so der 26-Jährige. Denn: Die Soldaten wollen gern nach Hause fahren und ihre Familien wiedersehen.

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    Die Ukraine veröffentlichte Bilder, die eine abgeschossene Kinschal-Rakete – diese galt als Putins "Wunderwaffe" – zeigen.
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    Staatliche Notfalldienste der Ukraine

    Aufforderung zum Wehrdienst

    Ukrainer im wehrfähigen Alter von 25 bis 60 Jahren werden sowohl in der Schweiz als auch im Ausland dazu aufgefordert, sich in den Rekrutierungszentren der Streitkräfte zu melden. Das kündigte der neue Verteidigungsminister Rustem Umjerow letztens in einem Interview an. Das Land brauche 450.000 bis 500.000 zusätzliche Soldaten, um die russische Invasion abzuwehren. "Gehen Sie jetzt", heißt es vonseiten des Verteidigungsministeriums.

    Der Minister sprach zwar in der Aufforderung von einer Einladung und keinem Befehl, machte aber gleichzeitig klar, dass es beim Nichtbefolgen des Appells Sanktionen geben könnte. "Wir besprechen noch, was passieren soll, wenn sie nicht freiwillig kommen", sagt er. Später kam aus Kiew jedoch die Information, dass doch kein Obligatorium für den Militärdienst geplant sei.

    Was du am Mittwoch, 17.01.2024, gelesen haben solltest
    20 Minuten, red
    Akt.