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Ukraine-Krise: Separatisten nahmen Debalzewe ein

Heute Redaktion
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Bild: Reuters

Seit Sonntag sollten in der Ostukraine die Waffen schweigen. Die Kämpfe um den strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkt Debalzewe gehen allerdings mit unverminderter Härte weiter. Am Dienstag wurde erstmals in der Stadt selbst gekämpft, und die Separatisten scheinen die Oberhand zu behalten. Mehrere ukrainische Militäreinheiten wurden eingekesselt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel drängte per Telefon erneut auf die Einhaltung der Waffenruhe.

Seit Sonntag sollten die Waffen schweigen. Die Kämpfe um den strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkt Debalzewe gehen allerdings mit unverminderter Härte weiter. Am Dienstag wurde erstmals in der Stadt selbst gekämpft, und die Separatisten scheinen die Oberhand zu behalten. Mehrere ukrainische Militäreinheiten wurden eingekesselt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel drängte per Telefon erneut auf die Einhaltung der Waffenruhe.

Die ukrainische Regierung hat die weitgehende Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Debalzewe durch die prorussischen Separatisten bestätigt. "Die Terroristen haben Teile der Stadt unter ihrer Kontrolle", teilte das Verteidigungsministerium in Kiew am Dienstag mit. Die ukrainische Armee räumte außerdem ein, dass mehrere Einheiten eingekesselt sind.

80 Prozent in Rebellenhand

Die Aufständischen setzten demnach bei den noch immer andauernden Kämpfen Artillerie und Panzertechnik ein. Regierungstreue Einheiten versuchten, den Gegner aufzuhalten. Zuvor hatte Separatistensprecher Eduard Bassurin gesagt, dass etwa 80 Prozent des Ortes bereits erobert seien. "Nur ein paar Wohnviertel sind noch übrig, dann haben wir den Ort völlig unter Kontrolle", sagte Bassurin am Dienstag in Donezk.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko appellierte an die internationale Gemeinschaft. Die EU, die NATO, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie der UNO-Sicherheitsrat sollten alles für die Umsetzung des jüngst erzielten Minsker Friedensplans für die Ostukraine tun.

"Zynischer Angriff auf Abkommen"

Die Offensive der Separatisten sei "ein zynischer Angriff auf das Abkommen von Minsk", erklärte Porschenko und unterstrich: "Die Welt muss den Aggressor stoppen".

Durch die Gefechte an dem wichtigen Verkehrsknotenpunkt Debalzewe zwischen den beiden abtrünnigen Regionen Donezk und Lugansk droht der vergangene Woche im weißrussischen Minsk eingeleitete Friedensprozess in der Region zu scheitern.

Gipfel erweist sich als zahnlos

Die erhoffte Deeskalation im Ukraine-Konflikt hat der Krisengipfel vergangene Woche im weißrussischen Minsk zunächst nicht gebracht. Zwar trat die Waffenruhe am Sonntag wie vereinbart formell in Kraft, aber in  Debalzewe eskalierte die Gewalt trotzdem.

Nach Angaben der ukrainischen Armee wurden bei den Kämpfen in den vergangenen 24 Stunden fünf Soldaten getötet und etwa ein Dutzend verletzt. Die Separatisten sprachen nur von "vielen Opfern" bei den Regierungstruppen.
Merkel fordert Umsetzung der Waffenruhe

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in einem Telefonat mit den Präsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Petro Poroschenko, auf eine Umsetzung gedrängt. Seit Tagen weigern sich beide Parteien, ihre schweren Waffen - vor allem Artilleriegeschütze und Raketenwerfer - aus dem Gebiet abzuziehen, wie es das jüngste Abkommen vom Wochenende eigentlich vorsieht.

Seite 2: Fragen und Antworten zur Entwicklung!

Fragen und Antworten zur Entwicklung:

Warum wird um die Kleinstadt Debalzewe gekämpft?

Debalzewe liegt an der Fernverkehrsstraße zwischen den Hochburgen der Separatisten, Donezk und Luhansk. Von Russland kommende Eisenbahnlinien nach Donezk verlaufen ebenfalls durch die Stadt. Die Aufständischen brauchen Debalzewe für eine einfachere Verkehrsanbindung an Russland. Zudem würde die strategisch günstige Lage des Ortes neue Routen zu den Städten Artjomowsk und Slawjansk eröffnen, die von Regierungstruppen kontrolliert werden.

Welche Hürden belasten den Friedensprozess?

Das ukrainische Militär und die prorussischen Separatisten werfen sich gegenseitig vor, die am Sonntag ausgerufene Waffenruhe nicht einzuhalten. Damit verzögert sich der im Friedensplan vorgesehene Abzug schwerer Waffen und die Einrichtung einer Pufferzone. Solange weiter gekämpft wird, sind die Aufständischen und die Armee nicht zu diesem wichtigen Schritt für eine Deeskalation bereit, und der Friedensplan steht weiter auf der Kippe.

Was will Kiew, was wollen die Separatisten erreichen?

Die prowestliche Führung in Kiew möchte wieder die Kontrolle über die Separatistengebiete und vor allem über die Grenze zu Russland erlangen. Die prorussischen Aufständischen hingegen streben weiter die Unabhängigkeit ihrer Gebiete an und wollen zusätzliche Orte wie etwa die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer erobern.

Schon kurz nach der Einigung auf den Friedensplan in der weißrussischen Hauptstadt Minsk begannen beide Seiten, Teile des Abkommens zu relativieren. So erklärte die Regierung in Kiew, sie wolle eine vereinbarte Amnestie für Konfliktbeteiligte nicht auf die Anführer der Separatisten anwenden. Auch wie eine geplante größere Autonomie für Gebiete des Donbass aussehen soll, ist völlig offen. Separatistenführer Alexander Sachartschenko machte dagegen deutlich, dass das Minsker Abkommen für ihn "vage Phrasen" sind. Die vereinbarte Waffenruhe gelte nicht für Debalzewe, da der Ort nicht namentlich erwähnt sei, meinte er.

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Seit dem Ukraine-Gipfel vergangene Woche stehen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Kremlchef Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in engem Kontakt. In zahlreichen Telefonaten - auch im sogenannten Normandie-Format mit dem französischen Staatschef Francois Hollande - versuchen sie, den Friedensplan zu retten. Die Bewertungen der Lage gehen dabei auseinander. Merkel bezeichnete die Situation in der Ostukraine zuletzt als "fragil". Im Kreml in Moskau war trotz der schweren Gefechte von positiven Entwicklungen die Rede. Die EU verhängte neue Einreiseverbote und Kontosperren gegen ostukrainische Separatisten und russische Politiker - als Reaktion auf Kämpfe vor dem Minsker Abkommen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Entwicklungen bei Debalzewo könnten den gesamten Friedensprozess zum Scheitern bringen. Vieles hängt davon ab, wie die Führung in Kiew reagiert. Wenn sie die strategisch wichtige Stadt komplett aufgibt, könnte das dem prowestlichen Präsidenten Petro Poroschenko von Hardlinern in Kiew als Verrat ausgelegt werden und zu innenpolitischen Spannungen führen. Zeigt Poroschenko Härte und führt wie angedroht das Kriegsrecht ein, würde der Konflikt voraussichtlich weiter eskalieren - mit unabsehbaren Folgen.

Auch könnten die USA dann wieder Waffenlieferungen an die Ukraine in Erwägung ziehen. Russland sähe darin wohl eine Bedrohung. Beobachter warnen, Moskau könnte im Gegenzug offiziell die Separatisten ausrüsten oder gar selbst in den Konflikt eingreifen.

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