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Unruhen und Umsturz – ist Sri Lanka erst der Anfang?

Wie vor zehn Jahren mit dem Arabischen Frühling könnte nun auch im Fernen Osten ein Lauffeuer entstehen. Sri Lanka bereitet weltweit Sorgen.

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Eine Frau wartet in Colombo mit ihrem leeren Gastank in der Schlange.
Eine Frau wartet in Colombo mit ihrem leeren Gastank in der Schlange.
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Sri Lanka erlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948. Seit Monaten fehlt es den knapp 22 Millionen Einwohnern an Gas zum Kochen, an Lebensmitteln und Medikamenten. Ein riesiges Problem ist auch der Treibstoffmangel: In den letzten Wochen starben in der Hitze mindestens elf weitere Menschen beim Warten an Tankstellen. Auch wird der Strom stundenlang abgeschaltet.

Verschärft wurde die Krise durch ein Einfuhrverbot chemischer Düngemittel im letzten Jahr, was die Ernten verringerte. Die Sperre wurde nach sechs Monaten wieder aufgehoben, aber der Schaden war angerichtet.

Zu alldem kommt die enorme Geldentwertung: Mittlerweile hat die Sri-Lanka-Rupie fast 90 Prozent ihres Wertes verloren und die Inselnation hat umgerechnet gut 48 Milliarden Euro an Auslandsschulden angehäuft. Es gibt kaum noch Geld, um Waren wie Benzin, Toilettenpapier, Milch oder Speiseöl zu importieren. Fast neun von zehn Familien müssen Mahlzeiten ausfallen lassen.

Große Missstände schon vor der Pandemie

Ein Grund dafür war die Corona-Pandemie, welche die Einnahmen aus dem wichtigen Tourismus wegbrechen ließ. Zeitgleich kollabierten die Überweisungen der Gastarbeiter, die ein gutes Viertel des Volkseinkommens ausmachten. Doch es lag nicht alleine an der Pandemie.

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    9. Juli 2022: Massenproteste aufgrund der Wirtschaftskrise in Sri Lanka. Demonstranten lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei und haben auch den Präsidentenpalast in Colombo gestürmt.
    9. Juli 2022: Massenproteste aufgrund der Wirtschaftskrise in Sri Lanka. Demonstranten lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei und haben auch den Präsidentenpalast in Colombo gestürmt.
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    Schon zuvor litt das Land unter den Kapriolen und Fehlentscheidungen der als korrupt geltenden Regierung unter Präsident Gotabaya Rajapaksa: Vetternwirtschaft, Verschwendung und sinnlose Infrastrukturprojekte, wie etwa der Flughafen von Hambantota, dem "leersten Airport der Welt".

    Dieses Wochenende geschah mit dem Rücktritt von Präsident Rajapaksa auf Sri Lanka nun das, wovor eine Studie des Kreditversicherers Allianz Trade bereits letzten Monat gewarnt hatte: Die steigenden Lebensmittelpreise würden weltweit zu sozialen Unruhen und zum Sturz von Regierungen führen.

    Zweiter Arabischer Frühling?

    Mittlerweile befürchten Beobachter, Sri Lanka sei nur der erste Dominostein einer globalen Protestwelle in überschuldeten Ländern vor allem des Südens. Schon ist die Rede von einem neuen Arabischen Frühling. Damals waren die Lebensmittelpreise in mehreren arabischen Ländern um 50 Prozent gestiegen und hatten die Massenproteste ausgelöst. Heute liegt der Weizenpreis sogar schon über dem Niveau von 2012. "Wenn wir die Menschen nicht ernähren, nähren wir den Konflikt", heißt es in der "Allianz Trade"-Studie.

    Auch die Uno warnt schon länger vor weltweiten Hungersnöten und einer damit verbundenen Zunahme sozialer Unruhen. Der weltweite Preisanstieg bei Lebensmitteln und Energie habe innerhalb von nur drei Monaten weltweit 71 Millionen Menschen in die Armut abrutschen lassen. Die Armut nehme schneller zu als unter dem Schock der Corona-Pandemie.

    Kein bedingungsloser Umschuldungsplan

    Auf Sri Lanka macht man sich keine Illusionen. Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe, der nach Präsident Rajapaksa mittlerweile ebenfalls seinen Rücktritt angeboten hat, sagte unlängst: "Wir werden auch im Jahr 2023 noch Schwierigkeiten haben. Das ist die Realität."

    Derzeit verhandelt das Land mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Umschuldungsplan mit seinen vielen Gläubigern. Der IWF will, dass Sri Lanka zuerst seine Finanzen in Ordnung bringt und das Haushaltsdefizit behebt, bevor ein Hilfspaket auf den Weg gebracht werden kann. Außerdem müsse es die Korruption stärker bekämpfen und teure Energie-Subventionen abschaffen, die den Staatshaushalt belasten.

    Nutzt Russland die Misere aus?

    Gleichzeitig hat Sri Lanka Russland um Treibstofflieferungen auf Kredit gebeten – ein Umstand, der in den USA mit viel Argwohn betrachtet wird. Man befürchtet, dass Moskau den Bankrott Sri Lankas nutzen könnte, um den russischen Einfluss in der indopazifischen Region auszuweiten.

    Die USA sollten ihre Macht als größter Anteilseigner des IWF nutzen, um den Ländern bei der Umstrukturierung ihrer Schulden zu helfen, kommentiert hierzu die "Washington Post" und fordert: "Sri Lanka bietet der Biden-Regierung die Möglichkeit, gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der indopazifischen Quad-Allianz – Indien, Japan und Australien – eine Rettungsaktion zu unternehmen. Dies könnte sowohl das Leid lindern als auch dem gesamten indopazifischen Raum zeigen, dass es sich lohnt, mit den USA und nicht mit China oder Russland zu verhandeln."

    Cash in Präsidenten-Residenz entdeckt
    Nach der Flucht von Sri Lankas Präsident aus der Hauptstadt Colombo haben Demonstranten umgerechnet fast 50.000 Euro Bargeld in seiner Residenz entdeckt. Die offenbar frisch gedruckten 17,8 Millionen Sri-Lanka-Rupien seien der Polizei übergeben worden, sagte ein Polizeisprecher am Montag. Nach Angaben der Behörden wurde auch ein mit Dokumenten gefüllter Koffer gefunden.
    Demonstranten hatten am Samstag bei regierungskritischen Protesten den Präsidentenpalast in Colombo gestürmt, Staatschef Gotabaya Rajapaksa floh durch eine Hintertür. Der 73-Jährige ließ anschließend ankündigen, dass er am Mittwoch zurücktreten wolle. Auch Regierungschef Ranil Wickremesinghe hat seinen Rücktritt angeboten.
    Rajapaksas genauer Aufenthaltsort war am Montag unbekannt. Demonstranten hielten weiter seinen Palast in Colombo besetzt. Sie wollen sich nach eigenen Angaben erst zurückziehen, wenn Rajapaksa tatsächlich wie angekündigt am Mittwoch zurücktritt.