Szene

Verbale Watschen beim Ingeborg-Bachmann-Preis

Heute Redaktion
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Seit Donnerstag, Freitag und Samstag lasen Klagenfurt wieder Buchautoren um die Wette: Es geht um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Die gestrenge Jury nimmt sich die 13 Kandiaten vor, wer nicht überzeugt, kann verbal zerfleischt werden. Mit dabei: Tex Rubinowitz, Roman Marchel und die verrissene Olga Flor.

"Schwacher Text" und "So spricht das 21. Jahrhundert"

Anne-Kathrin Heier löste mit ihrem Text "Ichthys" heftige Debatten aus. Ihre drogensüchtige Figur arbeitet tagsüber, plant aber eine Entführung, die sie auch durchzieht. Hildegard Keller meinte vernichtend, dass es ein Wagnis sei, "mit so einem schwachen Text in den Wettbewerb zu kommen". Burkhard Spinnen hingegen lobte: "So spricht das 21. Jahrhundert".

Langeweile, Respekt und "Esoterik-Kitsch"

Birgit Pölzl las "Maja", einen Text über ein gestorbenes Kind und die Mutter, die sich weigert, das zu akzeptieren und zur Selbstfindung nach Tibet fährt. Hubert Winkels langweilte sich nach eigener Aussage beim Zuhören. Keller bekundete Respekt, Feßmann sah "Esoterik-Kitsch".

"So schreibt man auf Facebook nicht" und "Deutsch bei Hegel gelernt"

Der aus Sri Lanka stammende Senthuran Varatharajah trat mit "Von der Zunahme der Zeichen" an. In seinem Text unterhalten sich zwei ehemalige Flüchtlinge per Facebook über Folter, Demütigungen und das Unverständnis fremden Kulturen gegenüber genauso wie über Probleme mit Religion und Sexualität. Jurymitglied Keller fand den Text "etwas schwer", Stringl kritisierte, dass man auf Facebook nicht so schreibe. Spinnen erinnerte der Text an eine griechische Tragödie. Die deutsche Sprache klinge, als habe jemand "Deutsch bei Hegel gelernt".

"Magischer Mystiker" und "perfekte Struktur"

Der Schweizer Michael Fehr las aus seinem "Simeliberg". In stark schweizerisch gtefärbtem Deutsch geht es um ein Dorf in der Schweiz und seine skurrilen Typen. Juri Steiner, der Fehr vorgeschlagen hat, erklärte zuallererst den Titel des Buches, "Simeliberg" sei in der Schweiz jedermann ein Begriff, es stamme aus einem sehr bekannten Volkslied und bezeichnete den Autoren als "magischer Mystiker". Hubert Winkels lobte die "perfekte Struktur" des Textes. Burkhard Spinnen meinte, der Vortrag werde oft als nicht so wichtig erachtet, "und hier umarmen wir ihn".

Zwei Juroren fandens fad, einer "kaputtgelesen" aber "okay gemacht"

Romana Ganzoni liest aus "Ignis Cool" über eine junge Frau, deren Mutter ihr einen Suzuki Ignis Cool aufdrängt. Als sie mit dem Wagen liegen bleibt, überlegt sie, wie sie ihre Mutter umbringen könnte. Am rätselhaften Ende könnte es sein, dass sich die Hauptdarstellerin selbst umbringt. Feßmann und Winkels waren sich einig und fanden den Text fad. Spinnen fand es "unendlich schade", dass die Autorin ihre Figur "kaputtgelesen" hätte, da der Text handwerklich "okay gemacht" sei.

"Romantische Ironie" mit viel Herz

Katharina Gericke tritt mit "Down, down, down" an. Es geht es um eine Liebesgeschichte, die von zwei älteren "Beobachtern" eingefädelt wird, dann jedoch schief geht. Übrig bleiben lauter traurige Menschen. Daniela Stringl lobte die "Blankvers-Herrlichkeit", auch von Juri Steiner und Arno Dusini gab es gutes Feedback. Juryvorsitzender Burkhard Spinnen, der Gericke vorgeschlagen hatte, lobte "seine" Autorin, ihre "romantische Ironie" mit viel Herz.

Lustiger Text, aber "so scheußlich gelesen, dass es fast schon wieder gut war"

Tex Rubinowitz las seine Erzählung "Wir waren niemals hier". Darin erinnert sich der Ich-Erzähler an eine lang vergangene Beziehung mit einem Mädchen aus Litauen. Publikum und Jury waren amüsiert. Hubert Winkels lobte die slapstickartigen Elemente. Dusini ortete einen erfrischenden Effekt, Feßmann die "cartoonistisch gesetzten Pointen". Spinnen stellte fest, der Text sei "so scheußlich gelesen, dass es fast schon wieder gut war".

Metaphern stehen "einander auf den Füßen"

Georg Petz las aus "Millefleurs", noch einer Liebesgeschichte. Diesmal ist es eine Studentenliebe, die in der Normandie spielt. Feßmann äußerte Respekt vor der Größe der Aufgabe, die sich der Autor gestellt habe, er habe sie aber leider nicht bewältigt. Auch die anderen Jurymitglieder fanden den Vortrag und den Text eher schwach. Keller, die Petz vorgeschlagen hatte, meinte hingegen, der Autor habe seine Aufgabe überzeugend gelöst. Spinnen fand, es sei ein toller Entwurf, aber letztlich "stehen die Metaphern doch einander auf den Füßen".

Freitag und Samstag beim Bachmann-Preis: 

Roman Marchel mit "fröhliche Pferde von Chauvet"

Kerstin Preiwuß mit einem Text ohne Titel über ihren Vater, der in der Nazizeit Nerze züchtet

Tobias Sommer mit "Steuerstrafakte"

Gertraud Klemm mit "Ujjayi"

Olga Flor mit "Unter Platanen" - - - - - - - - - bitte umblättern

Lob gab es für Roman Marchel, die Deutsche Kerstin Preiwuß hingegen bekam verbale Watschn.

Der Grazer Roman Marchel wurde für seine "fröhlichen Pferde von Chauvet" größtenteils gelobt. Nur Juror Hubert Winkels fand, die Geschichte um die Pflege und den Verlust von Angehörigen erinnere zu sehr an Michael Hanekes "Liebe".

Kerstin Preiwuß las anschließend eine Erzählung, in der die Protagonistin Angst vor Hunden hat, sich an ihren Vater erinnert, der in der Nazizeit offenbar Funktionär gewesen war. Dieser hatte Nerze gezüchtet, und die Zuhörer erfuhren zahlreiche Details über Haltung, Vermehrung und Tötung dieser Tiere und über die Sorgen und Nöte des Vaters in der ehemaligen DDR. Strigl sah den Text mit einer Hypothek belastet, "nämlich den NS-Vater", die Nerzfarm sei ein KZ, die Tiere würden vergast, "das ist einfach aufdringlich". Winkels teilte die Bedenken Strigls, Keller wiederum spendete Lob für den virtuosen Umgang mit der Sprache. Feßmann, die Preiwuß vorgeschlagen hat, konnte die Kritik naturgemäß nicht teilen.

Finanzbeamter Tobias Sommer trat mit seiner "Steuerstrafakte" an,  in dem ein Autor zum Finanzamt zitiert wird, aber nicht weiß, warum. Für Jurymitglied Feßmann war es eine "Amtsstubenposse", fast eine Art Kasperltheater. Strigl stellte die Frage, warum man sogar bei Kafka lachen könne, bei diesem Text aber nicht.

Gertraud Klemm stellte sich mit "Ujjayi" der Jury. Das Lob überwog, aber nicht alle waren begeistert. Klemms Protagonistin ist die junge Mutter Franziska, die mit ihrer Situation nicht wirklich zurechtkommt, nicht mit ihrem Schreibaby, nicht mit ihrem "patscherten" Ehemann, der schon ein zweites Kind will. Die Jurymeinung reichte von "Frustrationslabyrinth" bis "radikal und banal", Burkhard Spinnen fühlte sich "unangenehm berührt", Hildegard Keller konstatierte ein "glasklares Stück Wutliteratur".

Olga Flor tritt schon zum zweiten Mal beim Bachmann-Preis an. Ihr "Unter Platanen" widmet sich einer Wiederbegegnung, diesmal in Lissabon. Die Hauptfigur heißt Sibylle Klein, die bei einer Tagung in der portugiesischen Hauptstadt eine Liebe aus Studentenzeiten wiedertrifft und sich an die wilde Leidenschaft erinnert. Die Jurymitglieder waren sich einig: Vom Hocker riss der Text niemanden.

APA/red.