Österreich

"Chemtrails" & Co – So ticken Staatsverweigerer

Heute Redaktion
Teilen

Die Bundesstelle für Sektenfragen hat die Szene der "Souveränen" durchleuchtet. Im Fokus: selbsternannte Sheriffs, persönliche Niederlagen und Verschwörungstheorien.

"Ich bin keine Person. Ich bin ein Mensch." So erklärte der berüchtigte Staatsverweigerer Joe Kreissl im Interview mit "Heute.at" seine Ideologie. Für Fachleute steht fest: So harmlos, wie es aus dem Mund der Anhänger klingt, ist die Bewegung mit den vielen Namen keineswegs.

Seit Montag läuft in Graz der Prozess gegen 14 Anhänger der Bewegung. Die Staatsanwaltschaft vergleicht den sogenannten "Staatenbund" mit der Terrororganisation IS. Einen Eindruck davon, wie die Szene funktioniert, vermittelt die Bundesstelle für Sektenfragen in ihrem aktuellen Tätigkeitsbericht. Das sind die 11 wichtigsten Aussagen:

Staatsverweigerer sind der Überzeugung, nicht ans Gesetz gebunden zu sein. Sie sehen den Staat als "Firma", mit der sie keinen Vertrag eingegangen sind und der gegenüber sie darum auch keine Verpflichtungen hätten. Bei Staatsverweigerer-Gruppierungen wie dem „Staatenbund Österreich" erwerben Anhänger gegen Gebühr zum Beispiel eigene "Kfz-Kennzeichen" und andere „Dokumente", mit denen sie sich vom staatlichen Gemeinwesen lossagen wollen, wie es im Bericht heißt.

Vor zwei Jahren schätzte der Verfassungsschutz die Größe der Szene auf rund 1100 Aktive und bis zu 15.000 potenzielle Aktivisten oder Sympathisanten". Rund 7000 Personen waren demnach in einschlägigen Foren aktiv. Ein Jahr später sprach der Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Peter Gridling, sogar von bis zu 20.000 Personen. Allerdings dürften die Festnahmen von vergangenem Jahr eine abschreckende Wirkung entfaltet und sich auf die Zahl der Aktiven ausgewirkt haben.

In Österreich fiel insbesondere die verschwörungstheoretische Bewegung „One People's Public Trust" (OPPT) durch massive Angriffe auf Behörden auf, wie es im Bericht weiter heißt. Mit der sogenannten "Malta-Masche" machten die Anhänger Polizisten, Staatsanwälten, Richtern das Leben schwer. So ließen sie die Amtsträger beim US-Schuldenregister eintragen, stellten "absurde Fantasieforderungen" und hetzten den Betroffenen Inkassobüros auf den Hals.

Der Belastungsdruck für öffentliche Behörden wurde zwischenzeitlich hoch, so dass sich Bundesministerien dazu veranlasst sahen, den Mitarbeitern spezielle Hilfsangebote für den Umgang mit „Papierterroristen" zur Verfügung zu stellen.

Viele Anhänger staatsfeindlicher Ideologien haben laut dem Bericht private oder wirtschaftliche Probleme. Die meisten hätten „persönliche Niederlagen" hinter sich, befänden sich in Privatkonkurs oder hätten Schulden, schreiben die Autoren. Über soziale Netzwerke stoßen die Betroffenen auf verschwörungstheoretische Angebote (siehe Punkt 9). Gängige Argumentation: Schuld an der persönlichen Misere sei die „Firma Republik Österreich".

Die Staatsverweigerer-Szene ist sehr heterogen, es existieren verschiedene Ausprägungen und Untergruppen. Sie bezeichnen sich als "Souveräne", "Staatenbund Österreich" oder „Reichsbürger". Teile der Szene haben Verbindungen zum rechtsextremen Milieu. Sehr verbreitet sind laut dem Bericht antisemitische Verschwörungstheorien. Auffällig sei bei vielen Betroffenen weiter "eine wohlwollende Haltung gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin", schreiben die Autoren des Berichts.

Der selbsternannte "Freeman" Joe Kreissl gilt als "Szene-Größe", ihm widmet die Bundesstelle im Bericht ein eigenes Unterkapitel. Wie viele andere Staatsverweigerer plagten auch ihn finanzielle Probleme: So war 2016 ein privates Konkursverfahren gegen ihn eröffnet worden, allein die Bank UniCredit forderte von ihm 340.000 Euro. Er erwiderte die Klagen mit eigenen "Schadenersatz"-Forderungen in der Höhe von 4,8 Millionen Euro gegenüber der Republik.

Die Zentren der Staatsverweigerer werden in ländlichen und strukturschwachen Regionen vermutet, wie etwa dem niederösterreichischen Waldviertel. Hier ist laut den Autoren vor allem der Pseudo-Gerichtshof „ICCJV" zu nennen (siehe nächster Punkt). Auch die Regionen Oststeiermark beziehungsweise Südburgenland werden im Bericht namentlich erwähnt. Immer wieder tauchen auch Verbindungen zur Schweiz auf – und dort insbesondere zum Verpackungsunternehmer Daniel Model, der in der Vergangenheit einen Fantasiestaat namens "Avalon" ausgerufen hatte.

Eine der bekanntesten "Institutionen" im Reich der Staatsverweigerer ist der Pseudo-Gerichtshof „International Common Law Court of Justice Vienna" (ICCJV). Im Sommer 2014 lud die zu diesem Zeitpunkt besachwaltete ehemalige Masseurin Michaela W. rund 200 Personen aus dem In- und Ausland, die Szene zuzurechnen sind, auf ihr Anwesen im Waldviertel ein. Selbsternannte Sheriffs versuchten, die Sachwalterin von Michaela W. zu „verhaften" und vor ein sogenanntes „Naturgericht" zu stellen.

Rund 60 Beamte waren nötig, um den "Naturgerichts-Prozess" aufzulösen. Michaela W. wurde in eine Psychiatrie eingewiesen, vergangenes Jahr wurde ihr und sieben weiteren Mitgliedern des ICCJV der Prozess gemacht.

Anhand von Fallbeispielen zeigen die Bundes-Experten auf, wie die Staatsverweigerer ticken. So teilte eine Frau ihrer Familie mit, dass sie ihre Ausbildung abbrechen werde, um sich ganz auf ihre "geistige Entwicklung" konzentrieren zu können. Sie meldete ihr Mobiltelefon ab, kündigte den Mietvertrag ihrer Wohnung und die Krankenkasse.

Letzteres begründete sie damit, dass diese der Vorsorge dienen würde – und darin stecke das Wort "Sorge". Erst durch die Angst vor Krankheiten würden diese erst entstehen. Weiter wollte die Frau über Informationen verfügen, wonach die Welt vergiftet sei und von dämonischen Kräften regiert werde. Mit Gleichgesinnten gründete sie eine Wohngemeinschaft.

Ein Evergreen in der Szene ist auch die Theorie der Chemtrails, wonach über Flugzeugabgase angeblich absichtlich Chemikalien oder Zusatzstoffe in die Luft abgegeben werden. Esoterische Vorstellungen sind ebenfalls weit verbreitet. So etwa jene, dass "Lichtnahrung" die höchste Form der Ernährung darstelle und der Mensch ohne feste oder flüssige Nahrung überleben könne.

Seit September 2017 gibt es in Österreich einen Straftatbestand, der eigens auf das Phänomen der Staatsverweigerer zugeschnitten ist. Letztes Jahr fanden zahlreiche Polizeieinsätze in der Szene statt, mehrere Protagonisten mussten sich in Gerichtsverfahren verantworten. Die Bewegung steht auch verstärkt im Fokus des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung.

Bei der Rekrutierung neuer Mitglieder sind die Staatsverweigerer kreativ. So legen sie ihren Fokus insbesondere auf ehemalige – oder auch aktive – Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. "Es ist davon auszugehen, dass der Versuch der Unterwanderung des öffentlichen Dienstes eines der zentralen Rekrutierungselemente der Szene der Staatsverweigerer ist", heißt es in einer Analyse des Verfassungsschutzes. Das interne Wissen über die staatlichen Organisation soll verwendet werden, um dem Staat zu schaden. (jbu)