Szene

Eine bittere Wahrheit, mit viel Humor serviert

Adam McKays Biopic "Vice - Der zweite Mann" ist für acht Oscars nominiert. Zu Recht.

Heute Redaktion
Teilen

Für die Nachdenklichen ist die Welt eine Komödie, für die Mitfühlenden eine Tragödie, heißt es frei nach Horace Walpole. Ob uns eine, oder gar DIE Geschichte zum Heulen oder Lachen bringt, hängt von ihrer Erzählweise ab. Die Sittenwächter und ewig Empörten mahnen, dass man nicht alles lustig finden darf. Feststeht aber, dass das Grausame leichter verdaulich ist, wenn man sich auf die Absurdität konzentriert, die ihm innewohnt.

Wenn ein politischer Kasperl Präsident der Vereinigten Staaten wird, weil ein Fernsehsender behauptet, er hätte die Wahl gewonnen. Wenn die vermeintliche Speerspitze der westlichen Demokratien in ein Land einmarschiert, um dessen Ressourcen auszubeuten. Wenn Bombenangriffe befohlen werden, um den eigenen Ruf zu retten. Wenn Gesetze ausgehebelt werden, um Folter zu legitimieren...

Lachen, damit man nicht heulen muss

Was nach dem perfekten Stoff für eine Tragödie klingt, präsentiert sich in "Vice" als bitterböse Komödie. Dieser Ansatz ist in Hollywood zwar nicht neu – salonfähig, sprich profitabel und Oscar-verdächtig hat ihn aber erst Adam McKay gemacht. Der Regisseur und Drehbuchautor drehte ausschließlich mit Comedy-Ikone Will Ferrell, bis er mit seinem Finanzkrisen-Streifen "The Big Short" zum neuen Gewissen der amerikanischen Filmindustrie avancierte.

Sein neues Werk "Vice – Der zweite Mann" handelt im Allgemeinen von Schattenregierungen, Freunderlwirtschaft und medialer Meinungsmanipulation, im Konkreten von den Hintergründen des dritten Golfkriegs (März bis Mai 2003). Verpackt ist das Ganze in ein Biopic über Dick Cheney, den mächtigsten Vizepräsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Der Trailer von "Vice":

Menschliches Monster

Dick, genial verkörpert von Christan Bale, ist im Film ein Rauf- und Trunkenbold, bis ihm seine Frau Lynne (Amy Adams) die Wadeln nach vorne richtet. Als Praktikant im Weißen Haus nimmt ihn Donald Rumsfeld (Steve Carell) unter seine Fittiche und bringt ihm neben dem politischen Tagesgeschäft auch die nötige Ruchlosigkeit bei. Dick legt eine steile Karriere hin, das oberste Amt des Landes scheint aber außer Reichweite. Zum einen, weil ihm Charisma und Look eines Anführers fehlen, zum anderen, weil sich seine jüngere Tochter Mary (Alison Pill) als lesbisch outet.

Als liebender Vater entscheidet sich Dick, das höchste Amt des Landes sausen zu lassen, um sein Kind nicht zur Zielscheibe seiner Kontrahenten zu machen. Es ist der wohl gefinkeltste Kniff von "Vice", denn durch dieses Aufblitzen von Menschlichkeit bekommen Dicks Schandtaten Gewicht. Sie wirken echter, wahrer.

Wie Michael Moore ohne Realitätsanspruch

Dass McKay gleich zu Beginn mittels Textkarte klargestellt hat, dass seine Filmbiografie nur "so wahr wie möglich" ist ("wir haben uns verdammt noch mal bemüht"), ist schnell vergessen. Hier zeigt sich der große Vorteil des Komödien-Genres. McKay muss seine Fiktion nicht als Realität verkaufen. Seine Hauptfiguren unterhalten sich plötzlich in Shakespeare-Dialogen, ein allwissender Erzähler wendet sich direkt an die Zuschauer, ein Kellner verteilt Menüs mit Gesetzesvorschlägen.

Die Fakten präsentiert McKay im Stile eines Michael Moore. Schnell flimmern die Infos über den Schirm, begleitet von bunten Bildern und rockiger Mucke. Wer nicht pausenlos mitschreibt, wird sich danach nicht mehr erinnern können, was er/sie nachschlagen und auf seine Stichhaltigkeit überprüfen wollte. Im Gedächtnis bleibt vor allem das Spaßige – und das untrügliche Gefühl, dass dieser Dick Cheney zwar ein liebevoller Vater, aber ein rechtes Monster ist. Für eine Doku, ein Drama, eine Tragödie wäre das unerhört, für eine Komödie ist es das nicht.

Beste Unterhaltung

Als Dick schließlich von George W. Bush (Sam Rockwell) als Vizepräsident angeheuert wird und alle wichtigen Agenden der Landesführung an sich reißt, hat Adam McKay sein Publikum längst in der Tasche. Zum Heulen ist diese grausam absurde und absurd grausame Geschichte, und trotzdem ertappt man sich immer wieder beim Lachen. Selbst wenn man mit dieser Art des Erzählens nichts anfangen kann, darf man sich von der Weltklasse-Besetzung der Komödie begeistern lassen.

"Vice" ist für acht Oscars nominiert – unter anderem in den Kategorien bester Film, bestes Drehbuch, bester Hauptdarsteller (Bale), beste Nebendarstellerin (Adams), bester Nebendarsteller (Rockwell) und bestes Drehbuch – und das zu Recht.

Fazit:

via GIPHY

Ab 22. Februar ist "Vice - Der zweite Mann" in den österreichischen Kinos zu sehen.

;