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Warum "alle" Flüchtlinge nach Deutschland wollen

Eine der Fragen der Flüchtlingskrise ist, warum viele Asylwerber nach Deutschland wollen, und nicht in anderen EU-Ländern nach Asyl ansuchen.

Heute Redaktion
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Flüchtlinge in Europa.
Flüchtlinge in Europa.
Bild: iStock

Hohe Sozialleistungen und gute Unterbringung wird meist von Asylgegnern dafür ins Treffen geführt, dass Deutschland Zielland Nummer 1 ist. "Heute.at" klärt und deckt auf, dass ganz andere Gründe dahinterstecken und soziale Kontakte den Flüchtlingen weit wichtiger sind, als Sozialleistungen.

Sieht man sich die Flüchtlinge in Europa an, so ist die Frage berechtigt, wieso ein großer Anteil nach Deutschland gelangen möchte. Noch vor der Einführung von Grenzkontrollen stellten von rund 10.000 Flüchtlingen 20 einen Asylantrag in Österreich - der Großteil gab an, nach Deutschland weiterreisen zu wollen. Asylgegner führen hier allzu gerne, aber fälschlicherweise, ins Treffen, dass Flüchtlinge wegen hoher Sozialleistungen, dem freundlichen Empfang und eine an Luxus grenzende Unterbringung zu unseren Nachbarn wollen.

Die Gründe sind andere, und sie sind vielfältig

1. Die Anerkennungsquote. Die Chance, dass Flüchtlinge dauerhaft und nicht nur temporär in einem Land bleiben können, ist in Deutschland höher, als in anderen EU-Ländern. Laut europäischer Statistikbehörde "Eurostat" mit den Zahlen aus 2013 sicherte Deutschland 95 Prozent der syrischen Flüchtlinge Schutz- oder Asylstatus zu. In Österreich lag der Anteil dagegen im Vergleich bei 46 Prozent.

2. Die Berufschancen. Deutschland hat nicht nur eine niedrigere Arbeitslosenquote als Österreich (rund 4 Prozent gegenüber etwa 6 Prozent), sondern Asylwerber können auch in Deutschland schneller das, was ihr großer Traum ist: arbeiten, um sich eine neue Existenz aufzubauen.

In Deutschland dürfen Asylwerber nach drei Monaten arbeiten. In Österreich erst bei Abschluss des Asylverfahrens, was Monate oder Jahre dauern kann. Eine davor gültige Beschäftigungsbewilligung mit extremen Ausnahmen bekamen nur 200 von 50.000 Flüchtlingen.

3. Die Kommunikation. Bilder aus Deutschland, wie Asylwerber herzlich an Bahnhöfen empfangen wurden, gingen um die Welt. Durch Dutzende Berichte bekam Deutschland den Ruf eines der sichersten Länder für Asylwerber, in dem Flüchtlinge keine Gefahren durch Fremdenfeindlichkeit oder Behörden drohen.

Kanzlerin Angela Merkel bekam außerdem den Ruf der "fürsorgenden Mutter". Aber es gab auch eine Kommunikationspanne: Ein internes Behördendokument wurde publik, nachdem vereinfacht Abschiebungen nach dem bei syrischen Flüchtlingen so gut wie nicht verfolgt werde. Laut deutschen Medien war dies aber bereits Monate zuvor der Fall.

4. Flüchtlings-Kontakte. Beim "Wunsch-Ziel" der Flüchtlinge spielen auch Verwandte und Bekannte, die ebenfalls flüchten mussten, eine riesige Rolle. Rund ein Drittel der Flüchtlinge gab bei einer Befragung an, wegen familiärer Beziehungen nach Deutschland zu kommen.

Andererseits hat Deutschland auch eine stärkere Volksgruppen-Bildung als Österreich. Diese "Communitys" können umfassend über Lebensqualität, Vorgangsweisen, Behörden und Erfahrungen berichten, wodurch sich Flüchtlinge beim Aufbau eines neuen Lebens sicherer fühlen.

5. Die Unterstützung. Von einem bizarren "In den Hintern geschoben bekommen" kann bei der Betreuung und Versorgung nicht die Rede sein. Was aber stimmt, ist, dass Deutschland Asylwerbern höhere Sozialleistungen als beispielsweise Österreich bietet.

Beispiel: Ein Asylwerber in einer betreuten Aufnahmeeinrichtung bekommt in Österreich 40 Euro im Monat "Taschengeld", in Deutschland 143 Euro. Nach drei Monaten dürfen sie außerdem arbeiten und mehr verdienen. Wie Forschungsberichte zeigen, spielen Sozialleistungen bei der Länderwahl jedoch eine absolut untergeordnete Rolle.

6. Die Zufallskonstellationen. Wie eine Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erläutert, gibt es auch eine Reihe eher zufälliger Geschehnisse, die Flüchtlinge nach Deutschland reisen lassen. Dazu zählen Aufgriffe der Sicherheitsbehörden auf dem Weg in ein eigentlich anderes Land und die Einflussnahme von Schleppern, die die Personen auch gegen ihren Willen nach Deutschland schleusen.

7. Die Rückkehrchancen. Ebenfalls von entscheidender Bedeutung sind für Flüchtlinge die Chancen auf eine Rückkehr in ihr möglicherweise zukünftig sicheres Heimatland. Deutschland ist hier nicht nur als Land bekannt, das der freiwilligen Rückkehr Vorrang vor Abschiebungen gibt. Auch die deutschen Projekte in Krisengebieten unter dem Titel "Rückkehrförderung" lassen auf ein Leben im Heimatland hoffen.

8. Die Unkenntnis. Sie spielt ebenfalls wie die Sozialleistungen eine eher untergeordnete Rolle, in Befragungen zeigte sich aber, dass einige Flüchtlinge über andere EU-Länder kaum Bescheid wissen, noch überhaupt deren Existenz kennen. Umso subjektiv unsicherer sind für sie Länder wie Österreich, von denen sie erst erfahren, wenn sie den Fuß in das Land setzen.

Zusammenfassend legt der Forschungsbericht offen, dass der wichtigste Entscheidungsfaktor die sozialen Kontakte und Beziehungen in den Zielstaaten sind. Direkt darauf folgen die Einflussnahme durch "Migrationshelfer" und Schleuser. Erst auf "Platz 3" landen andere Gründe, wie der Wunsch nach (politischer, finanzieller, religöser und persönlicher) Sicherheit im Zielland, der mit dem guten Ruf Deutschlands einhergeht. Abschließend wird angemerkt, dass einzig bereits bestehende Kontakte der Flüchtlinge im Zielland als alleiniges Entscheidungsmerkmal herhalten können - alle anderen Gründe würden sich überlagern und nie als einzelner Grund für das Zielland angegeben werden. (rfi)