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Was wir zum mysteriösen Atom-Unfall bisher wissen

Nach der Explosion eines Raketenmotors mit sieben Toten in Russland herrscht Unsicherheit über die Folgen. Das ist bisher bekannt.

Heute Redaktion
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Dieses, auf dem russischen Portal VKontakte aufgetauchtes, Video soll die Explosion in Sewerodwinsk zeigen.
Dieses, auf dem russischen Portal VKontakte aufgetauchtes, Video soll die Explosion in Sewerodwinsk zeigen.
Bild: Screenshot

Was ist eigentlich passiert?

Nach bisherigem Kenntnisstand wollte das russische Militär am vergangenen Donnerstag wohl einen neuen, atomar betriebenen Marschflugkörper des Typs SSC-X-9 Skyfall testen, welchen die russische Zeitung "Novaja Gaseta" als "fliegendes Tschernobyl" bezeichnet.

Der Versuch scheint jedoch schiefgelaufen zu sein. Es kam zu einer Explosion mit – je nach Quelle – fünf bis sieben Toten. Die Opfer sollen allesamt für die staatliche Atombehörde Rosatom gearbeitet haben.

Das Unglück soll sich auf einer Plattform im Meer auf dem Testgelände Njonoska ereignet haben, das rund 30 Kilometer von der Stadt Sewerodwinsk entfernt ist. Auf dem Areal werden unter anderem Russlands Atom-U-Boote gebaut.

Wie wurde der Vorfall bekannt?

Nach der Explosion, die weithin sichtbar gewesen sein soll (siehe Video), wurde in der nächst größeren Stadt Sewerodwinsk ein vorübergehender Anstieg der Radioaktivität gemeldet. Kommuniziert wurde dies in einer mittlerweile wieder gelöschten Stellungnahme der Sprecherin von Sewerodwinsk. Daraufhin hatten sich viele Menschen in der Region mit Jodtabletten eingedeckt, die bei radioaktiver Verstrahlung helfen sollen.

Diese Aufnahmen sollen zeigen, wie heftig die Detonation war.

(Video: Youtube/В МИРЕ БЕЗ ПОЛИТИКИ)

Was macht den Fall so mysteriös?

Eine Rolle spielt dabei sicher die schleppende Kommunikation der russischen Behörden. So wurde etwa erst am Samstag – drei Tage nach dem Vorfall – der atomare Charakter des Unglücks von den Behörden eingeräumt.

Zunächst hatte Rosatom lediglich davon gesprochen, dass in Brand geratener Flüssigtreibstoff explodiert sei. Konkret teilte die Atombehörde mit, seine Beschäftigten seien damit beauftragt gewesen, die "isotopische Energiequelle" für eine Rakete zu betreiben, die auf der Plattform getestet wurde. Dass die in Njonoska getestete Rakete neben dem Treibstoff offenbar auch eine nukleare Energiequelle hatte, wurde erst eineinhalb Tage später bekannt gegeben.

Auch dass der Hinweis auf erhöhte Radioaktivität in der Region nach kurzer Zeit wieder von der Internetseite der Sewerodwinsker Stadtverwaltung verschwand, ist wenig vertrauensfördernd. Genauso wenig wie die zum Teil gegensätzlichen Aussagen der offiziellen Stellen. Hatte das Verteidigungsministerium in Moskau nach der Explosion am Donnerstag mitgeteilt, die Strahlungswerte seien unverändert geblieben, hieß es aus Sewerodwinsk, dass vorübergehend mehr Radioaktivität gemessen worden sei. Der Umweltschutzorganisation Greenpeace zufolge soll die Strahlung um das Zwanzigfache gestiegen sein.

Was hat es mit der Sturmwarnung auf sich?

Rätselhaft wirkt im Rückblick auch, dass in Moskau offenbar die Ausstrahlung aller TV-Sender am Donnerstagabend unterbrochen wurde. Wie der "Spiegel" schreibt, sahen Zuschauer ab acht Uhr während einer Stunde eine Sturmwarnung des Katastrophenschutzministeriums. Darin soll es geheißen haben, man möge die Häuser nicht verlassen. Allerdings blieb der Sturm aus, was Spekulationen geschürt hat.

Zudem haben die Behörden laut der Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf die russische Agentur Tass die Bewohner des Dorfes Njonoksa schriftlich aufgefordert, den Ort vorerst zu verlassen. Dies wurde mit nötigen Maßnahmen des Militärs begründet. Ob ein Zusammenhang mit einem Unfall bei einem Raketentest vergangene Woche besteht, ist unklar.

Wie fielen die Reaktionen auf die Meldung aus?

Nach dem Zwischenfall gab es sowohl im In- als auch im Ausland die Befürchtung, dass die offiziellen Stellen in Russland nicht über das wahre Ausmaß informiert hätten – so wie schon häufiger in der Vergangenheit.

So machte etwa Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow im Juli 2019 die Hintergründe eines Brandes an Bord eines russischen U-Boots zum Staatsgeheimnis, wie unter anderem die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt. Bei dem Vorfall waren 14 Marine-Soldaten ums Leben gekommen. Das russische Verteidigungsministerium teilte damals mit, der Brand sei rechtzeitig unter Kontrolle gebracht worden, das heißt, bevor der Atomreaktor des U-Boots beschädigt wurde.

Auch als im Herbst 2017 eine radioaktive Wolke über Europa zog, hüllte sich Russland zunächst in Stillschweigen, was Quelle und Ursachen betraf.

Wie hoch war die Strahlenbelastung wirklich?

Fünf Tage nach dem atomaren Unfall auf dem Militärstützpunkt hat die russische Wetterbehörde eine zeitweise höhere radioaktive Strahlung in der Gegend eingeräumt. In der Stadt Sewerodwinsk seien am Donnerstag bis zu 16-mal höhere Werte gemessen worden als gewöhnlich, erklärte die Behörde am Dienstag. Die Werte seien jedoch noch am gleichen Tag wieder in den Normalbereich gesunken.

Ein Messgerät habe, so die Nachrichtenagentur SDA, eine Strahlendosis von 1,78 Mikrosievert pro Stunde gemessen. Der gesetzliche Grenzwert liegt in Russland bei 0,6 Mikrosievert. Normalerweise werden in der Region im Durchschnitt 0,11 Mikrosievert gemessen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) steigt das Krebsrisiko jedoch erst ab 50'000 Mikrosievert.

(20min)