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"Wer glücklich sein will, sollte Social Media löschen"

TikTok hat mit einem geleakten Dokument zu seinem Algorithmus Schlagzeilen gemacht. Medienpsychologe Stefan Caduff ordnet dessen Inhalt ein.

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    Medienpsychologe Stefan Caduff glaubt nicht daran, dass soziale Medien stärker eingeschränkt werden sollten.
    Medienpsychologe Stefan Caduff glaubt nicht daran, dass soziale Medien stärker eingeschränkt werden sollten.
    Sapia

    Ein geleaktes, internes Dokument aus dem Hause TikTok hat diese Woche Einblicke in den Algorithmus der Plattform gegeben. Darin zu lesen ist, dass es das Unternehmen Bytedance, das hinter TikTok steckt, besonders darauf abgesehen hat, die Nutzerinnen und Nutzer der Plattform so lange wie möglich auf der Plattform zu halten und das "Problem der Langeweile" zu bekämpfen. Medienpsychologe Stefan Caduff von Sapia, einer Fachinstitution im Bereich Medienpsychologie und Medienpädagogik, ordnet das geleakte Dokument ein.

    Herr Caduff, überrascht sie der Inhalte des geleakten TikTok-Dokuments?

    Nein, das tut es nicht. Für mich liegt das im erwarteten Bereich, denn alle Social-Media-Plattformen wollen ihre Nutzerinnen und Nutzer so lange wie möglich auf der Plattform halten, um so viel Werbung wie möglich zu verkaufen. Das ist bei TikTok nicht anders.

    Was macht es mit Nutzerinnen und Nutzer, wenn sie immer mehr Zeit auf Plattformen wie TikTok verbringen?

    Dabei können einige Probleme entstehen. Wenn man viel Zeit mit einer Sache verbringt, bleiben andere Dinge wie die Schule, die Arbeit, Freunde oder Familie links liegen. Problematisch ist es auch, wenn Personen nur auf einer einzigen Plattform Zeit verbringen, weil man sich dann in einem sehr eingeschränkten Kreis bewegt. Insbesondere bei TikTok bekommt man als User oder Userin vorgespielt, was die Plattform denkt, dass für einen am besten ist und nicht wie bei anderen sozialen Medien Inhalten, dessen Creators man folgt. Außerdem ist Tiktok eine chinesische Firma und es ist bekannt, das der chinesische Staat Zugriff auf jegliche Daten hat und auch Einfluss auf Inhalte nimmt.

    Hat TikTok ein großes Suchtpotenzial?

    Alle Social-Media-Plattformen haben Suchtpotenzial, da sie attraktiv und leicht verfügbar sind. Wer Inhalte teilt und daraufhin Likes erhält, fühlt sich gut. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass man süchtig ist. Aber wer bemerkt, dass nur noch die Beschäftigung mit Social Media Freude bereitet und alles andere weniger wichtig erscheint, sollte sich professionelle Hilfe suchen. Auch wer sich häufig nach der Nutzung von Social Media schlecht fühlt, sollte seine Nutzung überdenken. Wer glücklich sein will, sollte wohl seine Social-Media-Accounts löschen, denn dort sieht man meistens nur die Highlights anderer Leben und vergleicht seine eigenen Probleme mit einem scheinbar unerreichbaren Ziel.

    Laut dem geleakten Dokument möchte TikTok gegen Langeweile bei den Nutzerinnen und Nutzern ankämpfen. Ist es ein gesellschaftliches Problem, dass uns zu langweilig ist und wir uns nicht beschäftigen können?

    Langeweile machen wir uns selbst durch die digitalen Medien. Wenn man Medien konsumiert, schaltet das Gehirn auf Konsummodus und man lässt sich berieseln. Wenn man das Medium ausschaltet, befindet sich das Gehirn aber immer noch im Konsummodus und man hat das Bedürfnis, sich gleich wieder unterhalten zu lassen. Wenn man aber 15 bis 20 Minuten wartet, schaltet das Gehirn in den Kreativ- oder Aktivitätsmodus um. Es gilt also, diese 15 bis 20 Minuten zu überbrücken und die Langeweile aushalten zu können. Diesen Schritt würde ich allen raten, die mit ihrem Medienkonsum hadern. Am besten lässt man das Handy einfach mal zu Hause oder in der Tasche, auch wenn man nur an der Bushaltestelle steht und wartet.

    Sollten Plattformen wie TikTok stärker reguliert werden, beispielsweise mit Nutzungsdauer-Beschränkungen?

    Das Problem ist, dass eine Person fünf Stunden pro Tag auf TikTok verbringen kann und nicht süchtig ist und eine andere Person nur eine Stunde, aber dennoch eine Sucht entsteht. Der Zeitfaktor allein ist also nicht ausschlaggebend. Viel wichtiger ist, insbesondere Jugendlichen Medienkompetenz beizubringen. Und TikTok ist ja auch nicht nur etwas Schlechtes. Videos zu filmen ist auch eine kreative Aktivität – solange es nicht nur um die Likes und die Berühmtheit geht.