Wien

31 % ohne Pass: Wiederkehr will schneller Einbürgern

Über 41% der Wiener haben Migrationshintergrund, 31 % keinen Pass – und sind daher vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Stadt will das nun ändern.

Louis Kraft
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Die Diversität der Wiener Bevölkerung steigt. Dadurch immer mehr vom Wahlrecht ausgeschlossen werden, will Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) nun den Zugang zu österreichischen Staatsbürgerschaft erleichtern.
Die Diversität der Wiener Bevölkerung steigt. Dadurch immer mehr vom Wahlrecht ausgeschlossen werden, will Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) nun den Zugang zu österreichischen Staatsbürgerschaft erleichtern.
BMEIA

Zum fünften Mal erstellte die Stadt Wien einen Integrations- und Diversitätsmonitor. Auf rund 200 Seiten sind darin Fakten und Zahlen zu Migrations, Integration und Diversität in Wien abgebildet. Er gibt Einblick in acht für Integration und Diversität relevante Themen- und Lebensbereiche und zeigt neben dem Integrationsstand der Wiener Bevölkerung auch wie vielfältig die mehr als 50 Magistratsabteilungen der Stadt sind. Heute, Mittwoch, wurde der Integrations- und Diversitätsmonitor im Rahmen einer Fachtagung offiziell durch Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) und die Studienautoren Philipp Hammer und Kurt Luger präsentiert.

Wiederkehr sieht in dem Monitor die Grundlage für "fakten- und lösungsorientierte Integrationspolitik". Aus den Ergebnissen will er in drei Bereichen (Bildung, Staatsbürgerschaft und Integration von Anfang an) konkrete Maßnahmen ableiten. So soll es künftig mehr Sprachförderkräfte in Kindergärten und Schulen, einen leichteren Zugang zu Staatsbürgerschaftsverfahren und neue Integrations-Förderprogramme geben.

Als Bildungsstadtrat will Wiederkehr auf drei Projekte setzen: "Das Jugendcollege der Stadt Wien ist die erste Anlaufstelle für neu zugewanderte Jugendliche, die nicht mehr schulpflichtig sind. Das Jugendcollege wird ausgebaut und weiterentwickelt, um allen Jugendlichen eine Chance auf eine weiterführende (Aus-)Bildung zu ermöglichen. Zweitens möchten wir der Elternarbeit mehr Bedeutung schenken! Dadurch soll das Ziel eines diskriminierungsfreien Lebens und der besten Bildung für alle Wienerinnen und Wiener erreicht werden. Und schließlich möchte ich, dass bereits im Kindergarten der Sprachförderung mehr Bedeutung beigemessen wird. Eine Aufstockung des Unterstützungspersonals von bisher 300 auf 500 Fachkräfte ist ebenso vorgesehen, wie eine Förderung der Vielsprachigkeit der Kinder im Kindergarten", so Wiederkehr.

Wien bleibt vielfältig: 41,3% der Wiener haben ausländische Herkunft

Erstellt wird die Integrationsstudie alle drei Jahre. Laut dem Bericht 2019/2020 (die Erfassung wurde vor der Coronakrise abgeschlossen, diese hat somit keinen Einfluss auf das Ergebnis) waren 30,8% der Wiener Gesamtbevölkerung (mit Stichtag 1.1.2020 exakt 1.911.191 Personen) ausländische Staatsbürger. Von den Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft (69,2%) wurden 10,5% im Ausland geboren. Rechnet man alle Wiener mit einer ausländischen Herkunft zusammen (also im Ausland geborene Staatsbürger, sowie im Ausland oder in Österreich geborene ausländische Staatsangehörige) so ergibt sich eine Gesamtzahl von 41,3% der Wiener, die einen Migrationshintergrund aufweisen.

Zusammensetzung der Wiener Bevölkerung Anfang 2020
Zusammensetzung der Wiener Bevölkerung Anfang 2020
Stadt Wien

Damit ist die Anzahl in den vergangenen drei Jahren leicht gestiegen: Hatten 2016/2017 noch 27% der Wiener einen ausländischen Pass, sind es nun 30,8%. Der Anteil von im Ausland geborenen Personen hat sich von 35% auf 36,7% erhöht. 47,8% der Wiener Bevölkerung besitzen entweder nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, wurden im Ausland geboren oder haben zwei im Ausland geborene Eltern.

EU-Bürger bleiben größte Zuwanderungsgruppe

Verantwortlich für den Zuwachs ist die Migration aus anderen Ländern. Die größte Gruppe bilden dabei erneut die EU/EFTA-Staaten, aus diesen Ländern sind rund 7.000 Personen nach Wien eingewandert. Auf Platz der EU-Herkunftsländer liegt Rumänien mit 2.835 Zuwanderern, gefolgt von Deutschland (2.210 Personen) und Bulgarien (1.366). Die zweitgrößte Zuwanderungsgruppe stammen aus europäischen Drittstaaten, gefolgt von außereuropäischen Drittstaaten. 

Die Wiener Zuwanderer stammen zum Großteil aus EU-Staaten,
Die Wiener Zuwanderer stammen zum Großteil aus EU-Staaten,
Stadt Wien

Zuwanderer bringen immer höhere Bildungsabschlüsse mit ...

Eine positive Entwicklung zeigt der Integrationsmonitor im Bereich der Bildung auf. Je später Menschen nach Wien gezogen sind, desto höher war der Bildungsstand, den sie mitbrachten. In den Jahren 1956 bis 1984 lag der Anteil jener, die nur einen Bildungsstand bis zur Pflichtschule hatten noch bei 58%, zumindest Matura hatten damals nur 20%.

Der Bildungsstand bei Zuwanderern ist deutlich gestiegen.
Der Bildungsstand bei Zuwanderern ist deutlich gestiegen.
Stadt Wien

Das hat sich nun umgekehrt: Zuwanderer, die seit 2011 nach Wien kamen verfügen nun zu 56% über ein Bildungsniveau ab Matura, der Anteil der Pflichtschule ist auf 24% zurückgegangen. Bei den seit dem Jahr 2011 zugewanderten Personen, die ihren höchsten Bildungsabschluss im Ausland erwarben, liegt der Anteil der Personen mit höherer Bildung nur vier Prozentpunkte unter dem Wert der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (60%). Auch der Bildungserwerb der Wiener Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Bildung aus Österreich hat sich in den letzten Jahren an jenen der 15- bis 19-Jährigen ohne Migrationshintergrund angeglichen. 

... aber Probleme am Arbeitsmarkt bleiben

Dennoch bleiben die Herausforderungen am Arbeitsmarkt hoch. Während in den meisten Teilen der Wiener Bevölkerung die Erwerbstätigenraten leicht gestiegen sind, kam es bei Personen mit Bildung aus Drittstaaten zwischen 2009 – 2012 und 2014 – 2017 zu einem Rückgang der Erwerbstätigkeit. Bei Frauen mit Bildung aus Drittstaaten schlagen sich auch Kinderbetreuungspflichten auf die Erwerbstätigkeit. Nur 21% der Frauen mit zumindest einem Kind unter zwei Jahren sind erwerbstätig. Im Vergleich dazu liegt die Erwerbstätigenrate bei Frauen ohne Migrationshintergrund und mit Kind unter zwei Jahren bei 77 %.

Ein Problem bleibt auch, dass sich die Bildungsabschlüsse aus dem Ausland in Österreich nur schwer verwerten lassen. Und so arbeiten 42% der Wienerinnen und Wiener mit mittlerer oder höherer Bildung aus Drittstaaten sowie 32% mit mittlerer oder höherer Bildung aus EU/ EFTA-Staaten in Hilfs- und Anlerntätigkeiten. Dementsprechend geringer ist auch die Entlohnung, mit der zusätzlichen Einschränkung, dass Frauen weniger verdienen als Männer.

Rund zwei Drittel der Bevölkerung aus sonstigen Drittstaaten (ohne die Türkei und das ehemalige Jugoslawien) lebten in den 20% der einkommensschwächsten Haushalte Wiens. Bei der Bevölkerung aus der Türkei sowie den der EU seit dem Jahr 2004 beigetretenen Staaten traf dies für knapp weniger als die Hälfte zu. 

Restriktives Einbürgerungsrecht führt zu steigendem Demokratie-Defizit

Das Wahlrecht ist in Österreich an die Staatsbürgerschaft geknüpft. Dadurch sind viele Wiener - auch wenn sie schon lange hier leben und arbeiten - von der politischen Partizipation ausgeschlossen. 30,1%­ der ­Wiener ­ab ­16 ­Jahren ­dürfen ­an Wahlen auf­ Bundes-,­ Landes-­und ­Gemeindeebene ­nicht ­teilnehmen.­ Seit­ dem ­Jahr ­2002 ­habe ­sich ­das­ Demokratiedefizit in ­Wien ­fast­ verdoppelt.

Die Stadt will hier nun mit einem leichteren Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft nachbessern. "Es ist ein gutes Zeichen, wenn Menschen unsere Staatsbürgerschaft wollen", so Wiederkehr. Dennoch bleibt die Einbürgerungsrate mit 8,8% sehr gering. Nur acht von 1.000 Menschen beantragen eine österreichische Staatszugehörigkeit. Mit einer "positiven Aufladung" und einer Beschleunigung der Verfahren will Wiederkehr das nun erhöhen. 

Wie der Integrationsbericht zeigt, hängt der Einbürgerungswunsch jedoch stark von der aktuellen Staatsangehörigkeit ab. Auf die Frage "Möchten Sie die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben?" antworteten im März 2020 21% der EU-Bürger mit Ja, 22% waren unentschlossen, 57% schlossen das aus. Ein anderes Bild zeigt sich bei den Drittstaatsangehörigen. Hier sagten 52% Ja, 25% waren nicht sicher, nur 23% schlossen das aus.

Mehrheit schätzt Zusammenleben als gut ein

Das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund wird von den Wienern laut dem neuen Integrationsmonitor mehrheitlich positiv eingeschätzt. Interessant ist, dass die Bewertung des Zusammenlebens umso schlechter ausfällt, desto weiter sie vom eigenen Wohnumfeld entfernt ist. So sahen in ganz Wien nur neun Prozent das Zusammenleben als "sehr gut", nur auf das eigene Umfeld bezogen waren es hingegen 28%. Mit "sehr schlecht" bewerteten hingegen nur zehn Prozent der Befragten das Zusammenleben in Wien. Auch hier sank der Anteil im direkten Wohnumfeld (acht Prozent).

Auch Stadtverwaltung ist vielfältig - und weiblich

Als Spiegel der Gesellschaft wird auch die Wiener Verwaltung immer vielfältiger. Wie für den Diversitäsmonitor 2020 erstmals erhoben wurde, wurden die Mitarbeiter der Stadt in 117 Ländern geboren. Dabei stammen 75% der Angestellten aus Österreich, die übrigen 25% stammen aus den verbleibenden 116 Ländern. Über ein Viertel (25.6%) der Stadtmitarbeiter haben eine ausländische Herkunft (zum Vergleich: 2016/2017 waren es noch 25,1%). 

Und die werden in ihrer Arbeit für Wien immer professioneller: In 76% der Abteilungen gibt es nun eine diskriminierungsfreie Bildsprache, 68% bieten mehrsprachige Beratung an, 65% bieten mehrsprachige Formulare und Ausfüllhilfen und 52% haben einen mehrsprachigen Webauftritt. Auch das Videodolmetschen ist weiter im Ausbau begriffen.

"Die Stadt ist weiblich", freut sich Studienautor Luger. 65,2% der Angestellten sind Frauen, in den Top-Etagen sind sie dennoch noch immer selten. "Das ist aber nur eine Frage der Zeit", ist Luger zuversichtlich. Gerade im mittleren Management gebe es bereits so viele top-ausgebildete Frauen, die dann hochsteigen würden. Chancen dazu könnten sich schon bald ergeben, dennschon über die Hälfte der Stadtmitarbeiter sind über 45 Jahre alt.

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