Wien

Wiener (27) hilft Menschen mit schüchternen Blasen

Die Blase schmerzhaft voll, der Weg aufs WC ein Horrortrip. Drei Prozent der Österreicher leiden an Paruresis. Ein Wiener will mit dem Tabu brechen.

Yvonne Mresch
Trotz Harndrang wird aus dem Klobesuch nichts: Bis zu drei Prozent der österreichischen Bevölkerung leidet an Paruresis.
Trotz Harndrang wird aus dem Klobesuch nichts: Bis zu drei Prozent der österreichischen Bevölkerung leidet an Paruresis.
Bild: Fotolia/Symbolbild

"Es schränkt den Alltag massiv ein", weiß Silvio P. (Name geändert). Der Wiener leidet an Paruresis – eine sozialen Angststörung, über die sich nur wenig Betroffene zu sprechen trauen. Er tut es, denn er will endlich mit einem Tabu brechen. Laut Studien leiden bis zu drei Prozent aller Österreicher an einer schüchternen Blase. Die Dunkelziffer sei viel höher – ein Zeichen davon, dass sich nur wenige ihren Mitmenschen anvertrauen. Gründe für die Blasenentleerungs-Störung sind oft die Anwesenheit von anderen Personen (egal ob real oder eingebildet), Zeitdruck, Lärm, Selbstdruck, Selbstzweifel oder die Angst vor Bewertung.

"Schulkollegen sperrten mich in die Kabine ein"

Bei Silvio P. fing das Problem bereits in der Kindheit an. "Ich erinnere mich, dass wir auf Klassenfahrt waren und vor der langen Busreise noch einmal auf die Toilette sollten. Da die Kabinen kostenpflichtig waren sollten alle Burschen ans Pissoir gehen und ich konnte dort einfach nicht urinieren. Die Busfahrt war eine Qual, wie man sich vorstellen kann." Trotz schmerzhaft gefüllter Blase können Paruresis-Betroffene diese nicht entleeren. "Bei vielen ist ein Erlebnis der Auslöser. Bei mir war es ein schleichender Prozess und gleich mehrere Erlebnisse. Schulkollegen, die mich in die WC-Kabine einsperrten. Burschen, die es lustig fanden, über die Kabinenwand zu schauen. Oder andere, die ständig meinten, ein 'echter Mann' pinkle nicht in der Kabine, sondern im Pissoir", so P.

"Der Alltag wird massiv eingeschränkt"

Das Leiden wurde immer schlimmer, nicht zuletzt in der Pubertät. Am Pissoir die Blase zu entleeren war für Silvio P. unmöglich, aber auch in der Kabine wurde es zur Herausforderung – vor allem dann, wenn er nicht allein in der WC-Anlage war. Ein Schultag kann so zur Odyssee werden. "Es gibt – unabhängig vom Geschlecht – Betroffene, die nur zu Hause auf die Toilette gehen können. Man kann sich vorstellen, wie sehr das den Alltag der Person einschränkt. Alles muss geplant sein, sei es ein Restaurantbesuch, ein Kinoabend oder der Kaffee bei Freunden. Es bleibt auch die Frage: Wann trinke ich?"

Woher diese genau kommt oder wovor er eigentlich Angst hat, kann der 27-jährige nur schwer erklären: "Eine Angst ist immer irgendwie surreal und individuell. Bei mir ist es wohl die Angst vor Bewertung. Wenn man als Bursche immer hört, was ein 'echter Mann' zu tun hat, bleibt das hängen. Man kann das nicht steuern, verkrampft und bekommt Angst. Der Körper signalisiert: Gefahr!"

"Klassisches Männerbild trägt zu Tabu bei"

Das größte Problem sei, so der Wiener, dass Paruresis immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft ist. "Ich selbst habe fünf Jahre gebraucht, um mich jemandem anzuvertrauen, andere brauchen Jahrzehnte. Ich hatte Glück, meine Familie und Freunde haben es gut aufgenommen. Und interessanterweise habe ich selbst im Umfeld Menschen, die sich danach geöffnet und mir gesagt haben, dass sie dasselbe Problem haben."

Mit Hilfe einer Therapie hat Silvio P. gelernt, mit seiner Angst zu leben und sich schwierigen Situationen zu stellen. Gelöst sei das Problem zwar noch nicht, aber wesentlich besser geworden. Im Vorjahr beschloss er schließlich, gemeinsam mit zwei Freunden einen Verein sowie eine Selbsthilfegruppe zu gründen, um Betroffene zu vernetzen, zu informieren und sich auszutauschen. Auch ein therapeutisch angeleiteter Workshop ist geplant, die Nachfrage ist groß. Claudio appelliert: "Ihr seid nicht allein. Wir müssen das Tabu brechen, zu dem auch das klassische Männerbild beiträgt. Meldet euch, wenn ihr Hilfe braucht." Alle Infos zum Verein finden Sie hier.

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