Österreich

Wienerin mit MS: "Entscheide selbst, wann ich sterbe" 

Nikola G. (51) leidet an Multipler Sklerose. Egal, ob in der Schweiz oder in Österreich – die Wienerin wird fix Sterbehilfe in Anspruch nehmen. 

Christine Ziechert
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Nikola G. (51) leidet seit 1999 an Multipler Sklerose.
Nikola G. (51) leidet seit 1999 an Multipler Sklerose.
Sabine Hertel

Vor dem Sterben hat Nikola G. (51) keine Angst, vor möglichen harten Auflagen im neuen Sterbehilfe-Gesetz allerdings schon. Der Verfassungsgerichtshof in Österreich hatte im Dezember 2020 das Verbot der "Hilfeleistung zum Selbstmord" aufgehoben, seitdem lässt das neue Gesetz mit (vermutlich) strengen Regelungen auf sich warten.

Bis Jahresende muss es vorliegen (inklusive sechs Wochen Begutachtungsphase), ansonsten ist die Beihilfe zum Suizid ab 1.1. 2022 ohne Reglementierung erlaubt. Auf "Heute"-Nachfrage heißt es seitens des zuständigen Justizministeriums, dass ein Entwurf zeitgerecht vorliegen wird: "Momentan laufen die politischen Gespräche, diesen Verhandlungen wollen wir nicht vorgreifen. Unser Ziel ist die rasche Einigung auf einen Gesetzesentwurf. Im Rahmen des parlamentarischen Prozesses wird es auch die Möglichkeit einer Begutachtung und damit auch breiteren öffentlichen Diskussion der Regelungen geben."     

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    EXPA / APA / picturedesk.com

    Eine Neuropsychologin mit einer neurologischen Erkrankung

    Doch egal, mit welchen Auflagen die Sterbehilfe in Österreich kommt, für Nikola G. ist klar: Sie wird sie in Anspruch nehmen, am liebsten hier in ihrer Heimat und nur notfalls in der Schweiz. Seit 1999 leidet die Wienerin an Multipler Sklerose, einer chronischen Entzündung des Nervensystems: "1999 hatte ich eine Sehnerv-Entzündung, bei der die Ärzte nichts fanden. 2003 hatte ich dann wieder eine. Beim MR wurde dann etwas gefunden und schließlich die Diagnose Multiple Sklerose gestellt", erinnert sich die 51-Jährige.  

    Ironie des Schicksals: Nikola G. ist Psychologin, war lange im Krankenhaus auf neurologischen und psychiatrischen Abteilungen tätig: "Ich habe lange gekämpft, aber irgendwann musste ich den Job aufgeben. Mit dieser Krankheit muss man so viel aufgeben, immer mehr fällt weg."

    "Wenn ich ein kompletter Pflegefall bin, muss ich mir vielleicht noch die nächsten 30 Jahre beim Sterben zuschauen" - Nikola G. (51)

    Zuerst kam die Krankheit bei Nikola G. in Schüben, seit 2006 hat sie sekundär progrediente MS, das heißt der Zustand der 51-Jährigen verschlechtert sich immer mehr: "Als Erstes ging ich am Stock, dann hatte ich einen Rollator und jetzt bin ich im Rollstuhl. Mein rechter Arm ist schon relativ schwach, das Zähneputzen fällt mir schwer. Auch frei sitzen kann ich kaum mehr", erzählt die zweifache Mutter. 

    Nikola G. ist auf Unterstützung angewiesen – drei Mal pro Woche kommt jemand zum Helfen – dennoch versucht sie, so viel wie möglich selbstständig zu erledigen: "Irgendwann werde ich ein kompletter Pflegefall sein. Dann muss ich gefüttert, gewickelt und gewaschen werden. Da hast du dann nix mehr vom Leben, und ich muss mir vielleicht noch die nächsten 30 Jahre beim Sterben zuschauen. Das möchte ich mir ersparen."

    Starke Schmerzen als Entscheidungsfaktor

    Ein weiterer Grund, warum die Wienerin auf Sterbehilfe zurückgreifen möchte, sind ihre neuropathischen Schmerzen: "Ich wache mit Schmerzen auf und gehe mit Schmerzen schlafen. Das geht vom Steißbein hinauf bis zum Nacken. Es fühlt sich an wie Drähte, die sich durch meinen Körper schneiden. Ich habe zwar Opiate, aber mein Nervensystem ist schon so kaputt, dass eine wirksame Dosis die mir verbliebenen Fähigkeiten noch mehr verschlechtern würde, und ich jetzt schon ein 100%-iger Pflegefall wäre. Daher versuche ich so niedrig zu dosieren wie möglich. So kann ich noch eine Weile selbständig sein", erklärt Nikola G., die aufgrund ihrer Erkrankung mit 43 Jahren in Frühpension gehen musste.

    "Ich würde am liebsten morgen sterben, aber wenn ich gehe, dann muss es eine runde Sache sein", meint Nikola G. – und am besten ohne strenge Regeln: "Ich hätte nichts dagegen, wenn es überhaupt kein Gesetz dazu geben würde. Dann wäre es einfacher, den Menschen Leid zu ersparen, wenn sie es nicht mehr ertragen und sterben möchten. Das ist eine Frage der Barmherzigkeit. Und man muss auch sich selbst gegenüber barmherzig sein." 

    "Ich will allein sterben. Ich will nicht, dass jemand dann da sitzt und mir die Hand hält" - Nikola G.

    Ist der assistierte Suizid in Österreich für Nikola G. nicht möglich, wird sie notgedrungen in die Schweiz ausweichen müssen: "Das kostet zwar rund 10.000 Euro, aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt, werde ich es dort machen. Und zwar allein. Ich will nicht, dass jemand dann da sitzt und mir die Hand hält. Denn, das ist nichts Ängstigendes, Trauriges für mich. Im Gegenteil, es ist eine Erlösung", meint die 51-Jährige, die sich nur Eines wünscht: "Dass die Sterbehilfe in Österreich für möglichst viele gang- und auch leistbar wird. Am liebsten wäre es mir sogar, wenn die Krankenkasse die Kosten übernehmen würde."