Österreich

Wienerin von Pflegevater und im Heim missbraucht

Sissy S. (30) wurde im Alter von fünf bis acht Jahren von ihrem Pflegevater missbraucht. Ihre Mutter kämpft für Entschädigung.

Heute Redaktion
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Zlata M. (59) kämpft für ihre Tochter Sissy, die mehrfach missbraucht wurde.
Zlata M. (59) kämpft für ihre Tochter Sissy, die mehrfach missbraucht wurde.
Bild: Helmut Graf

"Therapien hatte ich genug. Das geht nie mehr weg!", meinte Sissy S., als sie vor Gericht gegen ihren Pflegevater aussagte und der Richter sie fragte, ob sie in Behandlung sei. Der Angeklagte (heute 75) hatte Sissy S. im Alter von fünf bis acht Jahren mehrmals in der Woche sexuell missbraucht – 2010 erhielt er sechs Jahre Haft dafür und musste seinem Opfer 1.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Sissys Martyrium begann, als sie etwa 18 Monate alt war: "Ich war gerade in der Waschküche. Mein Mann – er war Alkoholiker – hat sie heftig geschlagen", erzählt ihre Mutter Zlata M. (59). Das Jugendamt nahm das kleine Mädchen daraufhin in seine Obhut – es kam zu einer Pflegefamilie im Bezirk Gänserndorf (Niederösterreich).

Missbrauch ging über drei Jahre lang

Mehrmals in der Woche – wenn seine Ehefrau außer Haus war – verging sich der Pflegevater an dem kleinen Mädchen. Wie alt Sissy genau war, als die Übergriffe begannen, ist schwer zu bestimmen. Denn bewusst an den Missbrauch erinnern kann sie sich erst ab dem Alter von fünf Jahren. Jede dritte Woche durfte ihre leibliche Mutter sie damals besuchen: "Ich wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie war verstört, erzählte mir aber nichts", erinnert sich Zlata M.

1996, nach mehr als drei Jahren, vertraute sich Sissy S. schließlich einer Nachbarin an und wurde sofort aus der Pflegefamilie geholt. "Ich dachte: 'Gott sei Dank, jetzt ist es endlich vorbei'", erzählt ihre Mutter, eine gebürtige Serbin. Doch das Leiden ging weiter. Das Mädchen kam ins Heim in der ehemaligen "Stadt des Kindes" in Penzing.

Teenager vergewaltigte Sissy im Heim

Im Frühjahr 1998, Sissy war damals zehn Jahre alt, kam es zu den nächsten Übergriffen: Ein Bursche (damals 17), der ebenfalls im Heim betreut wurde, sperrte sie in sein Zimmer ein und vergewaltigte sie – insgesamt mindestens vier Mal. Der Teenager wurde zu neun Monaten Haft verurteilt und musste rund 2.200 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Sissy S. kam wieder zu ihrer Mutter zurück und versuchte, so etwas wie ein normales Leben zu führen. Um das Erlebte aufzuarbeiten, absolvierte sie zahlreiche Therapien: "Sie hat alles versucht, nichts hat geholfen. Heute will sie einfach nicht mehr darüber sprechen. Sie ist der Meinung, sie hat schon genug gesagt", meint Zlata M. Mit 15 Jahren begann ihre Tochter eine Lehre als Verkäuferin, brach diese jedoch nach kurzer Zeit wieder ab. Auch eine andere Ausbildung hat sie nie absolviert.

Der Alltag wird zum Spießrutenlauf

Der Alltag ist für die Wienerin heute schwer zu bewältigen. Der Gang zum Supermarkt oder zum Arzt wird zum Spießrutenlauf: "Sie hat eine Sozialphobie und kann fremde Menschen nur schwer ertragen. Außerdem leidet sie unter Panikattacken, sperrt sich manchmal tagelang in ihrer Wohnung ein. Um überhaupt schlafen zu können, nimmt sie Beruhigungsmittel", erzählt Zlata M.

Beziehungen hatte Sissy S. viele – gehalten hat keine einzige. Auch finanziell sieht es nicht gerade rosig aus: "Sissy bezieht Mindestsicherung. Ich helfe ihr, so kommt sie halbwegs über die Runden. Aber was ist, wenn ich nicht mehr da bin?", macht sich die 59-Jährige Sorgen. Sie will für die Zukunft ihrer Tochter kämpfen – wenn nötig vor Gericht.

Kein Anspruch auf Entschädigung

Denn ein anderer Weg bleibt Zlata M. nicht. "Leider hat Frau S. weder Anspruch auf die Heimopferrente noch auf eine pauschalierte Entschädigung. Wenn ein oder mehrere Täter verurteilt wurden, haften diese auch für zukünftige Schäden. Frau S. kann daher nur die Ansprüche gegenüber den Tätern geltend machen", heißt es aus dem Büro der Heimopferrenten-Kommission der Volksanwaltschaft.