Wien

Wienerin wird mit 88 Jahren aus ihrer Wohnung geworfen

Seit 44 Jahren lebt Erika K. in einer Wohnung in der Ungargasse. Nach einem langen Auslandsaufenthalt wurde ihr unbefristeter Mietvertrag gekündigt.

Christine Ziechert
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Stieftochter Ursula, Erika K. (88) und Sohn Bruno K. (v.l.)
Stieftochter Ursula, Erika K. (88) und Sohn Bruno K. (v.l.)
Denise Auer

Erika K. (88) besucht ihre Stieftochter Ursula in Deutschland immer wieder – oft für mehrere Monate. Zuletzt war die Pensionistin heuer wegen Corona und einem Spitalsaufenthalt im Nachbarland länger nicht in ihrer 67-Quadratmeter-Wohnung in der Ungargasse (Landstraße). Als sie zurückkehrte, fand sie Anfang September die Kündigung ihres unbefristeten Mietvertrages vor, sie sollte bis zum 31. Oktober ausziehen. Begründung: Ihr Lebensmittelpunkt sei nicht in Wien, sondern in Deutschland.

"Ich lebe hier seit 44 Jahren, bin tief verwurzelt. Wenn ich die Wohnung verlasse, dann nur mit den Füßen voran", meint die gesundheitlich angeschlagene Wienerin. Das sieht der Eigentümer des Hauses, ein bekannter Investor, anders – er schaltete sogar einen Detektiv ein: "Frau K. ist im Juli 2018 aus der Wohnung ausgezogen. Sie hat ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegt. Wir haben daher den Mietvertrag zu den vorgesehenen Fristen gekündigt." Gemeinsam mit Sohn Bruno hat Erika K. einen Anwalt engagiert und Einspruch erhoben, am 24. November findet die erste Verhandlung am Bezirksgericht statt. Denn laut Bruno K. war seine Mutter "nie mehr als sechs Monate weg."

Anwesenheits-Fristen gesetzlich nicht klar geregelt 

Und ihre Chancen stehen gut: "Wenn Frau K. nachweisen kann, dass ihr Lebensmittelpunkt hier ist – auch, wenn sie länger im Ausland war – hat der Vermieter keine Chance", so MieterHilfe-Chef Christian Bartok. Egal, ob es aus privaten oder jobtechnischen Gründen ins Ausland geht: "Wichtig ist, dass man beweisen kann, dass man nicht dauerhaft weg ist und eine klare Rückkehrabsicht vorliegt." Bartok rät zudem bei einer längeren Abwesenheit zur Einrichtung eines Nachsendeauftrages. Gesetzlich gibt es keine festgelegten Fristen, der Mieter sollte aber "mehrheitlich die Zeit am Hauptwohnsitz verbringen". Kommt es dennoch zu einem Gerichtsstreit wird fallbezogen entschieden.

Interessanter Hintergrund zu der Causa: Das Haus, in dem Frau K. wohnt, gehört zu einer Liegenschaft auf der Landstraßer Hauptstraße, in dem das ehemalige Hotel "Roter Hahn" untergebracht war – dieses steht seit 20 Jahren leer. Gerüchten zufolge plant der Eigentümer den Abbriss der Gebäude und die Errichtung von Luxus-Wohnungen, was dieser jedoch vehement abstreitet: "Ein möglicher Abbruch und eine Neubebauung ist auf Jahre nicht in Sicht."

Das ehemalige Hotel "Roter Hahn" steht seit dem Jahr 2000 leer.
Das ehemalige Hotel "Roter Hahn" steht seit dem Jahr 2000 leer.
Helmut Graf
"Der Abbruch kann erst erfolgen, wenn das Haus mietrechtlich frei ist" - Rudolf Zabrana, ehemaliger Bezirksvorsteher-Stellvertreter des 3. Bezirks

Fakt ist: Unbefristete Mietverträge würden einen möglichen Abriss erschweren: "Denn der Abbruch kann erst erfolgen, wenn das Haus mietrechtlich frei ist", erklärt der ehemalige Bezirksvorsteher-Stellvertreter, Rudolf Zabrana, der jahrelang mit der Angelegenheit beschäftigt war. Und derzeit sind laut Eigentümer noch etwa sieben bis acht unbefristete Mietverhältnisse aufrecht.

Stadt Wien und der Eigentümer lieferten sich einen jahrelangen Gerichtsstreit über die Abbruchreife des Hauses in der Ungargasse, da dieses in einer Schutzzone steht. Laut Zabrana stellte der Eigentümer 2015 ein Ansuchen, dass das Haus in der Ungargasse abgerissen wird – die Baupolizei (MA 37) lehnte jedoch ab. Der Eigentümer zog dagegen vor Gericht und bekam Recht, woraufhin die Baupolizei wiederum Berufung einlegte: "Feststeht, dass der Straßentrakt vom ehemaligen 'Roten Hahn' bestehen bleiben muss, die Seitenflügel dürfen abgerissen werden. Beim Gebäude in der Ungargasse gibt es meines Wissens nach noch keinen Entscheid vom Landesverwaltungsgericht", so Zabrana.