Wien

Wiens Kinder-Krisenzentren jeden zweiten Tag überbelegt

Wenn Kinder zu Hause gefährdet sind, bleiben oft nur mehr die Krisenzentren. Wie ein Stadtrechnungshofbericht zeigt, platzen diese aus allen Nähten.

Claus Kramsl
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Krisenzentren fangen gefährdete Kinder und Jugendliche auf.
Krisenzentren fangen gefährdete Kinder und Jugendliche auf.
iStock/Symbolfoto

Vernachlässigung (56 %), psychische (26 %) und physische (17 %) sowie sexuelle Gewalt (1 %): In 10.714 Fällen rückten 2019 Mitarbeiter der MA11 (Kinder- und Jugendhilfe) in Wien zur Abklärung der häuslichen Umstände aus. 913 Kinder und Jugendliche wurden daraufhin in Krisenzentren der Stadt untergebracht, 167 Kinder (0 – 3) kamen zu Kriseneltern.

Krisenunterbringung bedeutet in Wien, dass Kinder oder Jugendliche bis 15 Jahre, die zuhause gefährdet sind, für 6 Wochen in eines der "Krisenzentren" der MAG ELF kommen. Für Jugendliche ab 16 Jahren gibt es nach Geschlechtern getrennt Zentren für Burschen oder Mädchen. Dort leben sie mit anderen Kindern und Sozialpädagogen, die sie betreuen, zusammen. In dieser Zeit versuchen die Mitarbeiter der "Regionalstellen – Soziale Arbeit mit Familien", also die Jugendamts-Sozialarbeiter, herauszufinden, welche Unterstützung Eltern und Kinder brauchen.

Die Auslastung der zehn Wiener Krisenzentren
Die Auslastung der zehn Wiener Krisenzentren
Stadtrechnungshof

140 solcher Krisenzentrums-Plätze stehen in Wien in 16 Einrichtungen zur Verfügung. Offenbar zu wenige: Wie die Zahlen zeigen (siehe Grafik), liegt die Belegung in vier Krisenzentren übers Jahr gesehen bei deutlich über 100 Prozent. Sechs Einrichtungen bewegen sich demnach permanent am Auslastungslimit. Dazu kommen große Schwankungen im Jahresverlauf. Die Prüfer stellten besonders hohe Auslastung im zweiten Quartal und eine vergleichsweise niedrigere Belegung in den Monaten August und September fest. Dies erklärten die Mitarbeitenden der Magistratsabteilung 11 mit einer Zunahme von Gefährdungsmeldungen und Maßnahmensetzungen gegen Ende des Schuljahres und einer ebenfalls im Schuljahresverlauf begründeten Entspannung der Situation im Spätsommer, heißt es im Bericht des Stadtrechnungshofs.

2.539 Mal kam es zu einer Überschreitung der genehmigten Gruppengröße

Die Prüfer kommen zu dem Schluss, dass in manchen Krisenzentren Überbelegung "bereits eine Alltagsrealität" sei. Die Auswertungen der Tagesbelegungen gaben Aufschluss darüber, dass an 364 Tagen des Jahres 2019 eine Überbelegung in mindestens einem Krisenzentrum gegeben war und durchschnittlich rund 16 Minderjährige auf nicht genehmigten Plätzen betreut wurden. Am Tag mit der höchsten Überbelegungsrate waren dies wienweit 36 Kinder. "Im gesamten Jahresverlauf und über alle Krisenzentren betrachtet, kam es 2.539 Mal zu einer Überschreitung der genehmigten Gruppengröße, was bedeutet, dass die einzelnen Einrichtungen an durchschnittlich 43,5% aller Tage überbelegt waren", so der Stadtrechnungshof.

<div>Auslastung der Krisenzentren Rösslergasse und Am Fuchsenfeld</div>
Auslastung der Krisenzentren Rösslergasse und Am Fuchsenfeld
Stadtrechnungshof

Belegungsverteilung am Beispiel zweier Krisenzentren

Die Abbildung oben zeigt, dass das Krisenzentrum Rösslergasse mit Werten zwischen 57,1% und 97,9% im Monatsdurchschnitt keine Überbelegungen aufwies. Die Monatsauslastungen des Krisenzentrums Am Fuchsenfeld waren hingegen mit Werten von 100% bis 149,6% durchwegs sehr hoch. Im August 2019 wurde dieses Krisenzentrum aufgrund von personellen Engpässen gesperrt und mit dem zweiten Krisenzentrum der Region (welches folglich eine Auslastung von 153,6% verzeichnete) temporär zusammengelegt.

Stark überbelegte Krisenzentren stellen nach Ansicht des Stadtrechnungshofes Wien "keine optimalen Bedingungen für die Betreuung von Minderjährigen dar, die sich in einer hoch belasteten Situation" befinden. Diese Einschätzung wird von den Mitarbeitern der Magistratsabteilung 11 geteilt, da die sehr hohen Belagszahlen eine konstruktive Krisenarbeit sehr erschweren würden.

Betreuer schieben 50-Stunden-Schichten

Die Überbelegung und knappe Personalsituation führt weiters für die Betreuer zu Mehrstunden in riesigem Ausmaß: "So versah eine Mitarbeiterin in einem Monat u.a. drei Dienste im Ausmaß von 48 Stunden bis 50 Stunden, die als geplant und geleistet eingetragen waren. Zu bemerken war, dass bei diesen langen Diensten zusätzlich nächtliche Befassungen vermerkt waren, daher ,Nachtdienste ohne Schlaferlaubnis' vorlagen. Das führte dazu, dass die Mitarbeitende laut Aufzeichnungen z.B. von 9.00 Uhr bis 11.00 Uhr des übernächsten Tages ihre Tätigkeiten versah", heißt es in dem aktuellen Bericht. In Bezug auf die Anforderungen der Tätigkeit in den Krisenzentren und die Verantwortung während der Dienstverrichtung seien diese Zustände "äußerst kritisch".

2019 fielen doppelt so viele Überstunden (1.900) an, wie in den beiden Vorjahren.

Der Bericht forderte aber auch mangelhafte Zeit- und Dienstaufzeichnungen zu Tage. In manchen Fällen sei die erbrachte Stundenleistung nicht nachvollziehbar, Dienstpläne stimmten mit den tatsächlich geleisteten Diensten nicht überein. Auch seien Dienste "teilweise individuell und ohne Rücksprache mit der Leitung mehrfach verändert worden". Hier sei die interne Revision der MAG ELF bereits von sich aus tätig geworden.

Aufstellung von Kosten und Belegung der Wiener Krisenzentren
Aufstellung von Kosten und Belegung der Wiener Krisenzentren
Stadtrechnungshof

So reagiert Kinder- und Jugendstadtrat Christoph Wiederkehr

2021 werden wesentliche neue Impulse für die derzeit 16 Wiener Krisenzentren gesetzt, verspricht der zuständige Stadtrat und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos): "Ich danke auch dem Stadtrechnungshof für den genauen und durchaus kritischen Bericht, der mich in meinen Reformbestrebungen bestärkt. Vieles wurde bereits auf den Weg gebracht und wird noch heuer zu einer wesentlichen Verbesserung der Situation beitragen." Die zuständige MA11 habe hier "hervorragende Arbeit geleistet und die Probleme erkannt, sodass wir jetzt rasch in die Umsetzung gehen und den betroffenen Jugendlichen noch besser helfen können", so Wiederkehr.

Neos-Wien Parteiobmann Christoph Wiederkehr ist seit 24. November Kinder- und Jugendstadtrat.
Neos-Wien Parteiobmann Christoph Wiederkehr ist seit 24. November Kinder- und Jugendstadtrat.
Herbert Neubauer

Folgende Maßnahmen sind für 2021 geplant:

- Es wird ein neues Spezial-Krisenzentrum errichtet, das verhaltensauffälligen 11- bis 15-jährigen Burschen und Mädchen Platz bieten wird. Damit wird Wien dann 17 solcher Krisenzentren haben.

- Die sozialtherapeutischen und sozialpsychiatrischen Wohngemeinschaften werden ebenfalls weiter ausgebaut, sodass die Wartezeiten in den Krisenzentren auf Nachfolgeplätze weiter verkürzt werden können.

- Der weitere Ausbau der ambulanten, elternunterstützenden Angebote wird dafür sorgen, dass in Zukunft weniger Kinder in Krisenzentren überstellt werden müssen.

- Die Zahl der Sozialarbeiter in den 18 Regionalstellen "Soziale Arbeit mit Familien" wird erhöht, damit die Krisenarbeit mit den betroffenen Familien weiter verstärkt werden kann.

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