Pandemie-Aufarbeitung

"Wir gegen die" – Nehammer legt Corona-Beichte ab

Der neue Bericht "Nach Corona" zeigt die Fehler auf, die die Bundesregierung in der Pandemie gemacht hat. Kanzler Nehammer bekennt sich dazu.

Roman Palman
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    "Nach Corona" – am 21. Dezember hat die Bundesregierung den <a rel="nofollow" data-li-document-ref="120010695" href="https://www.heute.at/s/-120010695">Pandemie-Aufarbeitungsbericht präsentiert</a>. Dazu auch ein Eingeständnis: ...
    "Nach Corona" – am 21. Dezember hat die Bundesregierung den Pandemie-Aufarbeitungsbericht präsentiert. Dazu auch ein Eingeständnis: ...
    EVA MANHART / APA / picturedesk.com

    Jetzt ist er endlich da. Die Bundesregierung hat am Donnerstag den bereits im Frühjahr angekündigten Bericht zur Corona-Aufarbeitung vorgelegt. Dabei gaben die Minister und allen voran Kanzler Karl Nehammer (VP) ganz offen zu, deutliche Fehler in ihrer Pandemie-Politik gemacht zu haben. Man will sogar Lehren daraus für die Zukunft gezogen haben.

    "Ziel war es immer, das Virus zu bekämpfen. Nicht Mensch gegen Mensch, sondern wir alle gegen einen Feind. Und der war das Coronavirus, das uns alle in Geiselhaft genommen hatte", sagte Nehammer an der Seite der Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit Katharina Reich über seine Corona-Politik. 

    Ich bin mir bewusst, dass das nicht die Fehler, die passiert sind, rechtfertigt... aber es erklärt, warum sie passiert sind.
    Karl Nehammer
    Bundeskanzler

    "Als wir das erste Mal mit dem Coronavirus konfrontiert wurden, hatten wir keine Schutzausrüstung und die einzige Möglichkeit sich vor einer Ansteckung zu schützen, war Abstand halten und Handdesinfektion." Mittlerweile gebe es viele Schutzmöglichkeiten, nicht zuletzt wirksame Impfungen, doch "am Anfang der Pandemie war alles anders".

    "Was mir wichtig ist, voranzustellen: Alle Entscheidungen, die die Bundesregierung getroffen hat, alle Maßnahmen, die gesetzt worden sind – auch von den Gesundheitsbehörden – hatten eines der hehrsten Motive als Grundlage: Menschenleben zu retten", erklärte der Kanzler und fügte hinzu: "Ich bin mir bewusst, dass das [...] nicht die Fehler, die passiert sind, rechtfertigt... aber es erklärt, warum sie passiert sind."

    Fehler passiert

    Nehammer erinnerte daran, dass sich selbst die Experten und Entscheidungsträger immer nur kurzfristig von einer unsicheren Prognose zur nächsten hatten hangeln können, weil anfangs nur wenig über das Virus und seine Ausbreitung bekannt gewesen sei. Die gesetzten Maßnahmen seien immer auf Basis des aktuellen Wissensstandes getroffen worden.

    "Ich habe immer gesagt: In einer Zeit wie dieser sind sicherlich auch Fehler passiert, diese werden in der Aufarbeitung nun benannt. Wichtig ist, aus Fehlern die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen. Denn eines ist auch klar: Nur wer nichts arbeitet, kann keine Fehler machen. Mit dem Wissen von heute würden wir vieles anders machen."

    In jedem Fall sei es aber richtig gewesen, Menschenleben zu schützen und eine totale Überlastung der Intensivstationen der heimischen Kliniken zu verhindern. "Und ja, richtig war auch, alles dafür zu tun, dass kritischen Infrastruktur in unserem Land nicht zusammengebrochen ist", so Nehammer weiter. In den unterschiedlichen Phasen der Pandemie habe es immer wieder die große Gefahr gegeben, "dass das gesamte Leben des Staates gelähmt" wird. "Das ist uns gelungen, abzuwehren."

    Plötzlich ist es ein wir gegen die und die gegen uns geworden, statt wir alle gemeinsam gegen das Virus.
    Karl Nehammer
    Bundeskanzler

    Wichtig sei es jetzt, die richtigen Ableitungen aus den Fehlentscheidungen zu treffen und einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. "Als politische Verantwortliche müssen wir unsere Worte mit viel mehr Bedacht wählen, wenn wir uns an die Öffentlichkeit wenden", gab sich der Kanzler einsichtig. Er selbst hatte in der Anfangszeit der Pandemie noch als Innenminister nicht mit markigen Sprüchen gespart und etwa die Polizei als "Flex der Gesundheitsbehörde zum Durchschneiden der Infektionsketten" positioniert.

    "Im Diskurs ist dann vollkommen aus den Augen und der Argumentation verloren gegangen, dass die, die sich gegen die Maßnahmen aufgelehnt haben, plötzlich die als Feinde identifiziert haben, die die Maßnahmen beschlossen haben. Die, die für die Maßnahmen waren, nicht verstanden haben, warum sich andere nicht daran halten. Plötzlich ist es ein wir gegen die und die gegen uns geworden, statt wir alle gemeinsam gegen das Virus."

    "Beide Seiten sind in all unserem Tun mitzudenken", betonte Nehammer die gezogene Lehre. Die Bundesregierung habe dabei eine "vereinende Verpflichtung". Deshalb brauche es gerade bei einschneidenden Maßnahmen künftig ein "Höchstmaß an Transparenz" und Aufklärung über die Hintergründe, die dazu geführt haben und das Warum. 

    Jeder trägt in seiner Verantwortung dazu bei, jeder hat seine Rolle.
    Karl Nehammer
    Bundeskanzler

    "Ja, da sind mit Sicherheit aufgrund des Geschwindigkeitsdrucks, der Flexibilität des Virus Fehler passiert. Wir haben dann zu wenig darauf geachtet, die Menschen auf diesen Weg mitzunehmen und zu erklären, warum wir zum Beispiel eine Impfpflicht beschlossen haben, die dann nie in Kraft getreten ist. [...] Das sind Themenfelder, wo wir auch Verantwortung übernehmen müssen in der Zukunft, wenn wir Krisenkommunikation neu denken, Pandemiebekämpfung neu denken, dass diese Form der Transparenz notwendig ist."

    Der viele Themenbereiche umfassende Aufarbeitungsbericht zeige aber laut Nehammer vor allem eines deutlich: "Es gilt, dass wir erkennen und bekennen, dass in einer Pandemie und der Pandemiebekämpfung nur gemeinsam tatsächlich diese große Herausforderung zu stemmen ist. Jeder trägt in seiner Verantwortung dazu bei, jeder hat seine Rolle."

    Die wesentlichen Empfehlungen des Berichtes:

    • Wissenschaft: Dem Phänomen der Wissenschaftsskepsis und Desinformation soll entschieden entgegengewirkt werden. Die Leistungsfähigkeit und die Grenzen wissenschaftlicher Forschung und Lehre sollen kommuniziert werden und das Verständnis dafür schon an den Schulen geschaffen werden.
    • Politik: Der gesamtgesellschaftliche Dialog soll gefördert und politische Entscheidungen nachvollziehbar begründet werden. Entscheidungs- und Beratungsgremien sollen fachlich vielfältig besetzt, flexibel und transparent sein und ihre Erkenntnisse verständlich kommunizieren. Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufe sollen im Sinne einer vorausschauenden Krisenprävention attraktiver gemacht werden.
    • Medien: Vertrauen schaffen, positiv denken und Dialog als Grundsatz. Transparenz und Glaubwürdigkeit sollen gesteigert werden, damit das Vertrauen in die Medien wieder gestärkt wird. Konstruktiver Journalismus soll auch in Zeiten der Krise handlungs- und lösungsorientiert sein und nicht ausschließlich Extreme darstellen und Ängste schüren. Die Medien sollen eine Dialogfunktion erfüllen und verschiedene Perspektiven einbeziehen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass Medien die politische Unabhängigkeit wahren.
    • Bevölkerung: Die Bürgerinnen und Bürger sollen offen und respektvoll miteinander umgehen und in der Krise füreinander sorgen. Dazu bedarf es mehr miteinander statt übereinander reden.

    Folgende Lehren wurden gezogen:

    • Krisenresilienz erhöhen: Im Sommer 2023 wurde das Bundeskrisensicherheitsgesetz beschlossen, um die Sicherheit und Resilienz Österreichs zu erhöhen. Wesentliche Eckpfeiler dieses Gesetzes sind unter anderem das Bundes-Krisensicherheitskabinett unter der Leitung des Bundeskanzlers, das Beratungsgremium unter der Leitung der Krisensicherheitsberaterin oder des Krisensicherheitsberaters sowie die Fachgremien unter der Leitung der jeweiligen sicherheitspolitischen Expertinnen und Experten. Mit diesen Gremien soll eine gesamthafte strategische und transparente Beratung der Bundesregierung zur Krisenvorsorge sowie Krisenbewältigung sichergestellt werden.
    • Krisenkommunikation strukturiert etablieren: Resultierend aus den Empfehlungen des Berichtes wird zudem die künftige Krisensicherheitsberaterin bzw. der künftige Krisensicherheitsberater damit beauftragt, ein Konzept für eine transparente und einfach verständliche Krisenkommunikation zu erarbeiten, strukturiert abzubilden und diese sodann sicherzustellen, wobei ebenso ein Fokus auf regelmäßiger und krisenunabhängiger Kommunikation liegen soll.
    • Maßnahmen gegen Wissenschaftsskepsis: Um dem Phänomen der Wissenschaftsskepsis entgegenzutreten, sind die nun vorliegenden Fallstudien eine wichtige Grundlage. Bereits 2022 hat das Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) eine Strategie zur Stärkung des Vertrauens in Wissenschaft und Demokratie mit einem 10-Punkte-Programm initiiert. Um ein differenziertes Bild zu diesem Thema zu bekommen, wurde zudem eine Studie beauftragt, die das IHS gemeinsam mit der Universität Aarhus durchgeführt hat. Auf deren Basis werden nun weitere Maßnahmen erarbeitet. Zusätzlich zur Fortsetzung der Maßnahmen, wie Sparkling Science und den Kinder- und Jugenduniversitäten, konnten etwa bereits Maßnahmen, wie die Wissenschaftsbotschafter/innen oder eine eigene Wissenschaftswoche in den Polytechnischen Schulen, umgesetzt werden. Darüber hinaus wird das Thema stärker in den Curricula verankert und ist künftig auch Teil der Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten.
    • Attraktivierung der Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufe: Eine der zentralen Empfehlungen an die Politik ist die Stärkung der Resilienz im Gesundheitssystem und in der Pflege. Dazu gehört besonders das Attraktivieren von Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen. Die Bundesregierung hat während und nach der Corona-Pandemie bereits umfangreiche Maßnahmen gesetzt, die in den kommenden Jahren ihre Wirkung entfalten werden – etwa ein monatlicher Zuschuss für Auszubildende und Entgelterhöhungen für Mitarbeitende in Pflege- und Sozialbetreuungsberufen sowie eine Entlastungswoche und bessere Vergütungen im Nachtdienst für Pflegeberufe. Zudem wird der Pflegefonds ab 2024 mit 1,1 Mrd. Euro dotiert. Damit stehen den Bundesländern ausreichend finanzielle Mittel für die weitere Attraktivierung von Pflegeberufen und für die Ausbildung zusätzlicher Mitarbeitenden zur Verfügung. Die Einigung zum Finanzausgleich sichert diese Verbesserungen für die kommenden fünf Jahre ab.
    • Daten zur Planung nützen: Für eine treffsichere Entscheidungsfindung sind auch sichere Datenquellen unabdingbar. Die zeitnahe, regelmäßige und systematische Datenerfassung, -analyse und -interpretation ist die Grundlage für jedes Risikomanagement. Auch die Weiterentwicklung des bestehenden Dokumentations- und Informationssystems für Analysen im Gesundheitswesen zu einer vollwertigen behördlichen Datenauswerteplattform zur gemeinsamen Sekundärdatennutzung stärkt die evidenzbasierte Entscheidungsfindung. In einem ersten Schritt werden die Daten allen Systempartnern im Gesundheitswesen (Bund, Länder, Sozialversicherungsträger) zur besseren Steuerung zur Verfügung stehen. In einem zweiten Schritt soll auch die Forschung rasch Zugang zu Gesundheitsdaten erhalten. Verbesserte Datengrundlagen erlauben eine optimierte Planung und Steuerung von Strukturen im Gesundheitsbereich. Das trägt wesentlich zur Resilienz des Gesundheitssystems bei.
    Was du am Donnerstag, 21.12.2023, gelesen haben solltest
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