Kurz vor Weihnachten präsentierte die österreichische Bundesregierung ihren Corona-Aufarbeitungsbericht. Um die Bevölkerung einzubinden, wurden 319 Bürger zu einer Dialogveranstaltung geladen, um über die Erfahrungen der Corona-Pandemie zu diskutieren. Dabei wurden unter anderem Empfehlungen ausgearbeitet, die als Richtschnur für künftige Krisensituationen dienen sollen.
Der Ministerrat hatte am 4. Mai auf Anregung von Bundeskanzler Karl Nehammer die Durchführung eines Prozesses zur Aufarbeitung der Corona-Zeit beschlossen. Das federführend von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) betreute Projekt umfasst dabei zwei wesentliche Teile: Zum einen wurden in insgesamt 5 sozialwissenschaftlichen Fallstudien wesentliche Kernaspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit der Pandemie untersucht, zum anderen wurde ein Dialogprozess aufgesetzt, um die Bevölkerung in repräsentativer Weise in die Aufarbeitung einzubinden.
Fünf Projektteams mit institutionellen Wurzeln an der ÖAW, dem Zentrum für Soziale Innovation (ZSI), dem Medienhaus Wien und der Universität Wien führten die Untersuchungen im Zeitraum von April bis November 2023 durch. Die Festlegung der Themenstellungen, die Zusammenstellung des Projektteams, die Auswahl der Methoden, die Erhebung und Auswertung der Daten, also der gesamte wissenschaftliche Prozess verlief völlig unabhängig von der Politik.
Auf Basis dieser Empfehlungen hat die Bundesregierung Ableitungen getroffen, die der Ministerrat am Donnerstag, per Umlaufbeschluss beschlossen hat. Mit der Umsetzung einiger dieser Maßnahmen wurde bereits begonnen. " Die Generelle Leitlinie aller diesbezüglichen Erkenntnisse ist es, die Sicherheit und Resilienz Österreichs zu erhöhen, die Bevölkerung vor den Folgen allfälliger Krisen besser zu schützen und transparente und nachvollziehbare Maßnahmen zu setzen, die bei der Bevölkerung auch eine hohe Akzeptanz haben", heißt es aus dem Bundeskanzleramt.
Bundeskanzler Karl Nehammer: "Es ging uns allen gleich: Die Pandemie war für die Menschen in Österreich eine große Belastung. Unser oberstes Ziel war es immer, Menschenleben zu retten und einen Zusammenbruch der Versorgungssysteme zu verhindern. Ich habe immer gesagt: In einer Zeit wie dieser sind sicherlich auch Fehler passiert, diese werden in der Aufarbeitung nun benannt. Wichtig ist, aus Fehlern die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen. Denn eines ist auch klar: Nur wer nichts arbeitet, kann keine Fehler machen. Mit dem Wissen von heute würden wir einiges anders machen. Wichtig ist jetzt, die richtigen Ableitungen zu treffen, die Lehren zu ziehen allen voran, dass alles daran zu setzen ist, einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken."
Alexander Bogner, Projektleiter und Soziologe an der ÖAW, ergänzt: "In der Corona-Krise war das Vertrauen der Bevölkerung in Medien, Wissenschaft und Regierung zunächst hoch. Vertrauensverluste drohen, wenn breite, ergebnisoffene Debatten fehlen, politische Maßnahmen nicht gut kommuniziert werden und Medien, Wissenschaft und Politik den Eindruck erwecken, in Symbiose zu leben."
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler: "Corona war ein Stresstest für Demokratie und Rechtsstaat. Für diese Aufgabe gab es kein Drehbuch und keine Glaskugel. Gerade auch die Impfpflicht war eine Maßnahme, die stark polarisiert hat. Mit dem Wissen von heute wäre die Entscheidung zur Impfpflicht anders verlaufen. Wir mussten sie, Gott sei dank, nie scharf stellen. Was wir aber heute anders machen würden: mehr zuhören und einbinden, präziser kommunizieren und umfassender erklären. Corona war auch ein Stresstest für die Europäische Union. Die Pandemie hat uns gezeigt, was es bedeutet, wieder geschlossene Grenzen in der EU, uneinheitliche Einreiseregelungen und damit Trennung von Freunden und Familien erleben zu müssen. Corona hat eine düstere Vision geboten, wie ein Europa ohne EU aussehen würde. Dennoch hat die Pandemie uns auch vor Augen geführt, was wir als Europäische Union gemeinsam auf die Beine stellen können: von der gemeinsamen Erforschung eines Impfstoffs über die gemeinsame Beschaffung von medizinischen Gütern bis zum wirtschaftlichen Wiederaufbauplan. Ich danke der ÖAW und allen Bürgerinnen und Bürgern, die Teil des Aufarbeitungsprozesses waren."
Gesundheitsminister Johannes Rauch: "Die Corona-Pandemie war eine Ausnahmesituation, für unser Gesundheitssystem und unsere Gesellschaft gleichermaßen. Wir sehen, dass diese Krise die Gesellschaft in einem dramatischen Ausmaß gespalten hat. Wir sehen aber auch: Der Sozialstaat trägt, das Gesundheitssystem hat auch diese Krise mit enormem Engagement aller Mitarbeiter:innen bewältigt. Klar ist: Wir müssen uns für künftige Krisen gut aufstellen. Wir haben einen Pandemieplan erstellt, arbeiten gerade an einem neuen Epidemiegesetz. Die Gesundheitsreform und die Pflegereform werden das Gesundheitsheits- und Pflegesystem resilienter machen und die Situation der Mitarbeiter:innen verbessern. Damit setzen wir wichtige Empfehlungen des vorliegenden Berichts bereits um. Ich bin überzeugt, dass die vielen Maßnahmen der Regierung, Armut zu bekämpfen und die Krisen zu bewältigen, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken."
Bildungsminister Martin Polaschek: "Die Schulschließungen waren zweifellos eine große Belastung für Schüler/innen, Eltern und Lehrer/innen. Unser wichtigstes Ziel war es, Menschenleben zu schützen. Mit dem Wissen von heute würden wir mehr Zeit investieren, um diese Schließungen besser und verständlicher zu erklären und könnten durch die Erfahrungen besser beurteilen, ob und wie lange sie notwendig sind. Mit der neuen Krisenkommunikation, die wir etablieren werden, setzen wir genau hier an. Ein wichtiges Ergebnis der Studien ist auch, dass wir konsequent gegen Wissenschaftsskepsis ankämpfen müssen, in allen Altersgruppen. Ich habe als zuständiger Minister dahingehend schon mehrere Maßnahmen gesetzt, weitere werden folgen."