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Wird Deutschland jetzt von Jamaika regiert?
Nach dem Absturz von CDU und SPD bei der Bundestagswahl scheint es nur eine Möglichkeit einer Regierung zu geben – und die wäre höchst ungewöhnlich.
Minus 8,6 Prozent für Angela Merkel und ihre CDU, minus 5,2 Prozent für den Regierungspartner und Herausforderer SPD. Mit 32,9 bzw. 20,5 Prozent würde sich zwar rechnerisch eine Neuauflage der Großen Koalition ausgehen, doch was die Wähler davon halten, war am Sonntag recht deutlich.
SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz, der historisch das schlechteste Ergebnis seiner Partei einfuhr, trat sofort die Flucht nach vorne an: Man werde in Opposition gehen. Als stärkste Kraft außerhalb der Regierung darf man im Bundestag traditionell den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, der als der wichtigste gilt, stellen. Und man bekommt immer viel Redezeit um der Regierung zu antworten.
Da alle Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen, sich Rot-Rot-Grün (SPD, Linke und Grüne) rechnerisch nicht ausgeht und eine Minderheitsregierung der CDU in der Praxis unrealistisch ist, bleibt nur eine Option offen – Jamaika. So wird in Deutschland ein Bündnis aus CDU-FDP-Grüne genannt, denn deren Farbkombination schwarz-gelb-grün kommt sonst nur auf der jamaikanischen Flagge vor.
In Schleswig-Holstein gibt es diese Koalition bereits auf Landesebene, doch bundesweit wäre dies ein noch gewagteres Experiment als 1998 Rot-Grün.
Gegensätzliche Positionen
Grundsätzlich ist niemand einer Regierungsbeteiligung abgeneigt, doch die Positionen liegen teilweise meilenweit auseinander. Für die CSU, der konservativen bayrischen Schwesterpartei, wäre eine Koalition mit den Grünen kaum vorstellbar. Die hatte in ihrem Heimatbundesland stolze 10,5 Prozent verloren und ihr Vorsitzender Horst Seehofer stellte nun öffentlich zur Debatte, ob man weiter eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU bilden solle.
Außerdem haben die Grünen nicht nur mit der CDU (und besonders der CSU) gegensätzliche Ansichten, sondern auch mit der FDP. Dies betrifft besonders ökologische (Klimaschutz) und soziale Fragen.
Schreckgespenst Neuwahlen
Das Thema Einwanderung ist hier natürlich ebenfalls ein riesiger Knackpunkt: Die Wähler straften Merkel vor allem für ihre Politik der offenen Grenzen ab und liefen zur AfD über. Doch die Grünen bekennen sich eindeutig zu mehr Zuwanderung und Flüchtlingsaufnahme.
Angela Merkel hat keine Alternative zu Jamaika, doch ob dieses Bündnis wirklich funktionieren wird, ist mehr als ungewiss. Doch ohne Einigung stünden bald wieder Neuwahlen an – und die würden der AfD mit Sicherheit noch weitere Stimmen bringen.
In jedem Fall haben aber Grüne und FDP bereits angekündigt, dass sie ihre Parteibasis über eine mögliche Jamaika-Koalition abstimmen lassen wollen.