Österreich

WKO-Präsidentin: "Es fragt keiner nach dem Zeugnis"

Heute Redaktion
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Was läuft bei der Lehre schief? Wie schwierig ist es, eine freie Stelle zu finden? Was tun mit lernschwachen Jugendlichen? Und: Muss man sich damit abfinden, 30 Kilometer zum Job zu pendeln? Über diese Fragen und mehr diskutierte Arbeiterkammer-Präsident Hermann Haneder mit Wirtschaftskammer-Präsidentin Sonja Zwazl.

„Heute“: Jeder zweite Lehrling fürchtet um seinen Ausbildungsplatz – was läuft falsch?

Haneder: „Die Wirtschaft bildet zu wenig Lehrlinge aus. Die lernschwachen Jugendlichen werden ungern genommen.“

Kann es sich ein Betrieb leisten, lernschwache Jugendliche aufzunehmen?

Zwazl: „Unsere Betriebe machen das. Sie schaffen es auch mit jungen Menschen, die nicht so ein gutes Zeugnis haben.“

Haneder: „Wir haben auch 1200 Leute in außerbetrieblichen Lehrwerkstätten.“

Zwazl: „Die sind nicht besonders erfolgreich unterwegs. Beispiel Loosdorf: Mit Müh und Not hat man es geschafft, dass acht Leute dort sind, für 20 junge Leute war es geschaffen. Gleichzeitig haben wir Betriebe, die keine Lehrlinge finden.“

Warum ist die Lehre derzeit nicht so attraktiv?

Haneder: „Da ist die Gesellschaft schuld und auch die Eltern, die ihre Kinder drängen zu studieren. Früher war ein Facharbeiter, Maurer, Zimmermann höher angesehen. Jetzt wird das so minderwertig gesehen.“

Zwazl: „Wir brauchen Fachkräfte. Ich muss nur Talent und Fähigkeiten haben. Deshalb haben wir ein Pilotprojekt gestartet: die Potenzialanalyse. Wir bieten das in fünf Hauptschulen kostenlos an, vermitteln an Betriebe. Das funktioniert mit Jugendlichen, die in der Schule schlecht lernen. Weil sie genau in diesem Beruf engagiert sind.“

Haneder: „Ich hab’ mich bei der Jobmesse mit Jugendlichen unterhalten. Sie wissen nicht, was sie werden wollen.“

Zwazl: „Darum machen wir die Potenzialanalyse, die dann mit den Eltern besprochen wird. Es fragt nach 15 Jahren keiner mehr, ob einer ein großartiges Zeugnis gehabt hat. Es gibt aber Leute, die nicht ausbildungsfähig sind. Da müssen wir ein Pilotprojekt machen. Machen wir was mit den Praktikern.“

Haneder: „Nein. Das ist kein Beruf.“

Zwazl: „Was wollen Sie dann machen?“

Haneder: „Die Lehre verlängern.“

Zwazl: „Funktioniert nicht. Probieren wir es doch einmal mit Praktikerberufen. Wir könnten 115 junge Leute als Änderungsschneider unterbringen. Mir ist alles lieber, als ein junger Mensch hat keine Ausbildung.“

Warum stehen die Lehrwerkstätten so oft in der Kritik?

Haneder: „Die sind zu 93 Prozent erfolgreich und wichtig.“

Zwazl: „Herr Präsident, Schaun’S her, von dem kann man nicht reden. Ich hab’ das gesehen in Loosdorf. Ein Beispiel, das mir heute noch weh tut.“

Haneder: „In Ternitz sind sie gut unterwegs.“

Zwazl: „Man muss sich die Kosten ansehen. Die sind nicht gerechtfertigt mit dem Erfolg. Wir tun unserer Jugend auch nichts Gutes.“

Mehr als 1000 junge Menschen suchen eine Lehrstelle, 530 Stellen sind offen gemeldet ...

Zwazl: „Jeder weiß, dass ein Großteil der Unternehmer die offenen Stellen nicht beim Arbeitsmarktservice meldet.“

Haneder: „Die Zahlen müssten ganz anders ausschauen. Jetzt ist schon Oktober. Die jungen Leute müssten schon einen Lehrplatz haben. Wenn wir die überbetrieblichen Lehrwerkstätten nicht hätten, wären die jungen Leute auf der Straße.“

Zwazl: „Vor zwei Jahren hatten wir im September 1694 Lehrverträge, im Vorjahr waren es 1765 Lehrverträge, heuer sind es im September 2088. Das ist keine schlechte Entwicklung.“

Ihre Wünsche an die Wirtschaft?

Haneder: „Die Wirtschaft soll mehr Lehrlinge ausbilden.“

Zwazl: „Da schick’ ich Ihnen eine Liste von unseren Betrieben, die keine Lehrlinge finden und sie schicken jemanden hin.“

Haneder: „Mach’ ich glatt.“

Zwazl: „Nicht einmal die Tischler kriegen Lehrlinge.“

Haneder: „Die sind unterbezahlt. Viele müssen pendeln. 30 bis 40 Kilometer, das ist schon eine Schwierigkeit.“

Zwazl: „Früher hat man auch nicht vor der Haustüre eine Lehrstelle gefunden. Außerdem haben wir unsere Internate in den Berufsschulen aufgemacht.“

Ihr Resümee?

Haneder: „Mit den Praktikerberufen haben wir ein Problem. Das ist nicht erfolgsversprechend. Wir würden nur Leute ausbilden, die unter dem Kollektivvertrag bezahlt werden. Das kann nicht die Erfüllung sein.“

Zwazl: „ Wenn jemand Potenzial hat, soll er den vollwertigen Beruf lernen. Jene, die es nicht haben, sollen nicht ohne Ausbildung durchs Leben gehen.“

Von Elisabeth Czastka