Wintersport

"Wofür lebe ich?" Ski-Star packt über Depression aus

Das Schweizer Top-Skitalent Camille Rast spricht offen über ihre psychischen Probleme. Die 22-Jährige erzählt ihre bewegende Geschichte.

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Camille Rast im Weltcup-Riesenslalom von Lenzerheide.
Camille Rast im Weltcup-Riesenslalom von Lenzerheide.
IMAGO Images

Polysportiv, athletisch, talentiert: Camille Rast bringt eigentlich das ideale Paket, um es als Skifahrerin ganz nach oben zu schaffen. Eigentlich. Denn mit erst 22 Jahren hat die Walliserin bereits erfahren, wie nahe Förderung und Überforderung beieinanderliegen. Im intimen Gespräch mit dem Magazin "Sportlerin" erklärt Rast, wie das Pfeiffersche Drüsenfieber schwere Depressionen ausgelöst hat – und weshalb sie mit dem Gedanken spielte, mit einem fabrizierten Sturz eine Auszeit zu erzwingen.

Der Reihe nach: Spätestens mit 14 sagt man der bewegungssüchtigen Rast Wunderdinge voraus, 2016 – im zarten Alter von 17 Jahren – steht sie bereits im Kader von Swiss Ski, kurz darauf gewinnt sie an der Junioren-WM Slalom-Gold. Es folgten ein Sieg im Europacup-Slalom und die weitverbreitete Erwartungshaltung: Diese Rast wird die nächste ganz große Schweizer Skifahrerin. Doch zum Ende jener Saison wird das Eis unter Rasts Füßen dünner: Knieschmerzen nisten sich ein – eine ausgiebige Pause liegt nicht drin.

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    Überbelasteter Körper

    "Ich war müde am Ende der Saison", sagt Camille Rast. "Aber ich musste Schulstoff nachholen, eine geregelte Pause gab es für mich nicht." Rund um ihren 18. Geburtstag im Juli 2017 ist so das erste Mal die Luft draußen. Die Konsequenz: kleinere Verletzungen hier, überpowertes Training dort. Und: immer wieder dieses Schwächegefühl. "Ich fühlte mich, als hätte ich eine schwere Grippe, war den ganzen Tag müde und hätte am liebsten nur noch geschlafen", schildert Rast. Die Symptome sind Fieber, Schmerzen an Kopf, Hals und Bauch.

    Die Gewissheit wenig später: Die Athletin aus Vétroz VS ist am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt. "Für mich brach damals eine Welt zusammen", sagt sie. "Alle schönen Pläne waren im Eimer." Anstatt Angriff im Weltcup und an Olympia 2018 in Pyeongchang ist Rast monatelang außer Gefecht. Rast: "Niemals hätte ich gedacht, dass es einem so schlecht gehen kann." Dennoch geht es darum, sich schnellstmöglich für die kommende Saison fit zu machen. Rast will niemanden enttäuschen, trainiert wie verrückt. "Jede Einheit war eine unglaubliche Belastung für den Körper. Aber auch für den Kopf", erklärt sie im Gespräch mit "Sportlerin".

    Mentale Folgen

    Ärzte mahnen zur Vorsicht, die sportlichen Betreuer und Betreuerinnen verlangen mehr Leistung. So gerät Rast in eine gefährliche Mühle zwischen widersprüchlichen Bedürfnissen und Erwartungen. Die eigentlich so lebensfrohe Sportlerin mag zu jener Zeit kaum mehr aus dem Bett steigen. Trotzdem ab in den Europacup – das erste Rennen im November 2017. Das Resultat in Norwegen (Top 15) spricht zwar für die hohe sportliche Erwartungshaltung der Trainer, doch Rast stellt fest: Da läuft etwas schief.

    Sie hätte sogar daran gedacht, einen Sturz zu fabrizieren, um die Saison beenden zu können. "Keinen schlimmen, aber einen kleinen." Schlicht zu groß seien die Strapazen gewesen. Doch Rast macht weiter. Beschämt von den eigenen dunklen Gedanken getraut sie sich nicht, diese mit jemandem zu teilen. "Alle reden beim Pfeifferschen Drüsenfieber immer davon, dass es lange gehen könne, bis man körperlich wieder fit sei. Niemand aber redet von den mentalen Aspekten, von Depressionen, die einen befallen", so Rast. Ihr Leben zu diesem Zeitpunkt: ein einziges Müssen.

    Der 18. Februar 2018

    Dennoch macht sie weiter: Europacup und Weltcup, Junioren-WM, Olympische Spiele, Schweizer Meisterschaften. So gerät Rast tiefer in die Negativspirale. Noch mehr Belastung, noch mehr dunkle Gedanken und schließlich der Totalkollaps. Es ist der 18. Februar 2018, Rast fühlt sich "innerlich tot", wie sie sagt. Nach dem Europacup-Nachtslalom in Bad Wiessee fragt sie sich alleine in einem Hotelzimmer: "Warum lebe ich? Wofür lebe ich? Was soll ich auf dieser Welt eigentlich machen? Und: Braucht es mich überhaupt hier?" Sie bricht die Saison ab und entscheidet, nach Hause zu reisen.

    "Ich fühlte mich nutzlos. Ich hatte keine Energie. Es war ein schrecklicher Zustand, den ich nicht mehr aushielt", so Rast. Bereits einen Tag später ist sie wieder im Wallis und beginnt mit intensiver psychologischer Betreuung. Es ist der Anfang eines langen Weges zurück: Therapien, Psychopharmaka und viel Zeit auf dem Mountainbike. 2019 folgte schließlich die Rückkehr in den Weltcup, seither geht es für Rast wieder steil aufwärts. Ihr Talent stellte sie in der abgelaufenen Saison mit vier Mal Weltcup-Top 10 und Rang sieben in der Olympia-Abfahrt diskussionslos unter Beweis. Auch polysportiv und athletisch ist sie weiterhin – mit einer einschneidenden Erfahrung mehr im Gepäck.

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