Österreich

ZiB-Reporterin klagt ORF: "Fühle mich missbraucht"

Sonja Sagmeister weigerte sich, ein politisch "bestelltes" Interview zu machen und wurde versetzt: "Ich fühlte mich journalistisch missbraucht." 

Christine Ziechert
Sonja Sagmeister wehrte sich gegen eine politische Intervention – und wurde ins "Todes-Archiv" versetzt.
Sonja Sagmeister wehrte sich gegen eine politische Intervention – und wurde ins "Todes-Archiv" versetzt.
Ferrigato Roland / VGN Medien Holding / picturedesk.com, zVg

An mehreren Fronten kämpft derzeit der ORF vor Gericht: So klagte etwa Managerin Ingrid F. (Name geändert), die nach der Meldung von sexuellen Belästigungen durch einen Vorgesetzten (er soll ihr einen Dreier angeboten haben, Anm.) auf einen anderen Posten "abgeschoben" wurde. 

Wie berichtet, klagte auch ZiB-Redakteurin Sonja Sagmeister (48) ihren Arbeitgeber. Die renommierte Wirtschafts-Journalistin, die seit 29 Jahren für den ORF tätig ist, sollte im vergangenen Oktober ein Interview mit Wirtschaftsminister Martin Kocher führen – auf Anordnung ihrer Vorgesetzten ausschließlich zum Thema Arbeitsmarkt-Budget. Auch die Ausstrahlung war noch vor dem Interview per Sperrfrist für den kommenden Sonntag fixiert. 

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    "Interventions-Versuche gab es natürlich immer wieder. Aber in den fast 30 Jahren Journalismus habe ich so etwas noch nie erlebt" - Sonja Sagmeister

    Grund für das "Bestell-Interview" war offenbar eine Abmachung mit der Presse-Sprecherin des Ministers: "Interventions-Versuche gab es natürlich immer wieder. Aber in den fast 30 Jahren Journalismus habe ich so etwas noch nie erlebt. Was Journalisten-Freiheit betrifft, waren ZiB-Redakteure standhaft. Ich habe immer objektiv versucht, aktuelle Themen anzusprechen – sonst wäre es reiner PR-Journalismus. Ich bin ja kein Mikrofonständer", meint Sagmeister im Gespräch mit "Heute".

    Im Gegensatz zu der langjährigen Journalisten, die etwa als Auslandskorrespondentin und Moderatorin der ORF-Pressestunde fungierte, sollen junge Kolleg/Innen sehr wohl öfter Druck ausgesetzt worden sein, so Sagmeister.

    Sagmeister wehrte sich gegen politische Intervention

    Als die 48-Jährige dann beim Interview den "Deal nicht mitmachen wollte", pochte Kochers Presse-Sprecherin auf die Abmachung mit Sagmeisters Vorgesetzten. Es entstand eine Diskussion über Pressefreiheit und Redakteursrechte. Als die ORF-Journalistin die Sprecherin fragte, wo man denn so eine Art von Presse-Arbeit lerne, war ihre Antwort: "In der ÖVP-Parteizentrale vor 2020 (Ära Kurz/Fleischmann, Anm.)."

    Auszug aus Sagmeisters Interventions-Protokoll
    Auszug aus Sagmeisters Interventions-Protokoll
    zVg

    Sagmeister ließ sich jedoch nicht beirren und führte das Interview – wie sie es geplant hatte – gewohnt professionell durch. Neben dem Arbeitsmarkt-Budget befragte sie Kocher auch zum Inflationsrekord in Österreich und zum damals aktuellen Thema Gehaltsverhandlungen – der Minister konnte alles beantworten. Nach dem Interview musste Sagmeister ihre Vorgesetzte anrufen. Im Telefonat erklärte diese dann, dass sich Sagmeister "daneben benommen und Grenzen überschritten habe."

    E-Mail von Sagmeister an ihre Vorgesetzte.
    E-Mail von Sagmeister an ihre Vorgesetzte.
    zVg
    "Ich habe mich journalistisch missbraucht gefühlt. Dass man nicht einmal mehr 'Nein' sagen kann, das waren für mich ganz neue Dimensionen" - Sonja Sagmeister

    "Ich habe mich journalistisch missbraucht gefühlt. Dass man nicht einmal mehr 'Nein' sagen kann, das waren für mich ganz neue Dimensionen", berichtet Sagmeister. Doch die Abmahnung ihrer Vorgesetzten war erst der Anfang. Nachdem die Journalistin ein Protokoll der Vorkommnisse verfasst hatte – indem sie nochmals klarstellte, dass sie für "Auftrag-Interviews nicht zur Verfügung" stehen würde –, und dieses per E-Mail u.a. an Generaldirektor Roland Weißmann schickte, ging die Schikane los.

    Zuerst wurde Sagmeister aufgefordert, im November und Dezember ihren Resturlaub zu verbrauchen. Dann tauchte sie plötzlich im Dienstplan nicht mehr auf. Als die Redakteurin nachfragte, wurde ihr mitgeteilt, dass sie jeden Tag um 16.30 Uhr im ORF-Intranet nachschauen müsse, ob sie benötigt werde.

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      Polizisten mussten das ORF-Zentrum abriegeln.
      Polizisten mussten das ORF-Zentrum abriegeln.
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      "Ich habe vollkommen unterschätzt, welche Strukturen im ORF herrschen – das ist struktureller Machtmissbrauch. Du hast keine Chance gegen dieses System" - Sonja Sagmeister

      Im Jänner 2023 kam es dann zu einer Krisensitzung, bei der auch eine Vertreterin von "Reporter ohne Grenzen" anwesend war. Statt Sagmeister zu unterstützen, wurde sie allerdings von Kollegen und Vorgesetzten attackiert. So empfahl ihr etwa die Chefredakteurin eine "Cool-Off"-Phase: "Ich bekam zwar den Dienstplan retour, wurde aber zur Buh-Frau", erzählt die Wienerin.

      Auch die erwartete Hilfe vom zuständigen Redakteursrat blieb aus: "Kollegen haben mich gewarnt: 'Pass auf Sonja', aber ich habe vollkommen unterschätzt, welche Strukturen im ORF herrschen. Du hast keine Chance gegen dieses System, es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Und plötzlich stehst du allein da", so Sagmeister.

      Versetzung ins "Todes-Archiv"

      Sämtliche Berichts- und Recherche-Vorschläge von Sagmeister wurden abgelehnt. Eine Reportage rund um Personalmangel im Tourismus wurde von einer Sendung angenommen, aber nach erfolgtem Dreh wurde der Schnitt vom Ressort kurzfristig storniert. Vorschläge zu OPEC und Ölpreisen oder Inflation wurden ignoriert, so Sagmeister. Immer wieder beschwerte sich die 48-Jährige – ohne Erfolg. In ihrer Verzweiflung schickte sie schließlich ihre Erfahrungen in einem Mail an die Journalistenkollegen im Newsroom aus. Das Resultat: Sagmeister wurde im Februar ins sogenannte "Todes-Archiv" (Nekrothek) versetzt.

      Auf Anweisung ihrer Vorgesetzten musste die Wienerin dort ausschließlich mit Archivmaterial Nachrufe auf noch lebende Personen verfassen. Die Durchführung eigenständiger Recherchen wurde blockiert, dem Verfassen von Nachrufen kam Sagmeister unter Protest nach.

      "Ich fühlte mich im 'Todes-Archiv' wie lebendig begraben. Ohne Arbeiterkammer wäre ich dort still und leise journalistisch verstorben" - Sonja Sagmeister

      Als ein Anwaltsbrief im April 2023 nichts an der Situation änderte, schaltete die 48-Jährige die Arbeiterkammer (AK) ein: "Ich fühlte mich im 'Todes-Archiv' wie lebendig begraben. Ohne Arbeiterkammer wäre ich dort still und leise journalistisch verstorben. Die haben mich gefragt: 'Warum lassen Sie sich das gefallen?'", meint Sagmeister, die kurz nach Eintreffen eines AK-Schreibens an den ORF einen Nachruf auf Ex-AK-Präsident Rudolf Kaske aufsetzen durfte. Im Personalbüro erklärte man ihr nach dem AK- Brief, man werde sie nun vor den hausinternen "Ethikrat" bringen.

      Mail der Vorgesetzten an Sonja Sagmeister.
      Mail der Vorgesetzten an Sonja Sagmeister.
      zVg

      Ende Juli reichte Sagmeister Klage beim Arbeits- und Sozialgericht wegen "Feststellung der Unwirksamkeit einer Versetzung" ein. Kurz vor der Verhandlung am 27. September wurde die langjährige ZiB-Redakteurin vom ORF gekündigt – auch gegen diese "Motiv-Kündigung" geht Sagmeister (Anwaltskanzlei Haider-Obereder-Pilz) gerichtlich vor. Der ORF will aufgrund der laufenden Verfahren zu den Vorwürfen keine Stellungnahme abgeben.

      Klage am Arbeitsgericht läuft

      Zusätzlich prüft die Regulierungsbehörde KommAustria derzeit eine Beschwerde wegen Rechtsverletzung gegen das ORF-Gesetz. Vertreten wird Sagmeister von Pia Kern von der renommierten Kanzlei Gheneff - Rami - Sommer. Am 17. November geht die "Causa Sagmeister" dann vor dem Arbeitsgericht weiter – am gleichen Tag wird auch der Fall von ORF-Managerin Ingrid F. verhandelt. Auch in dieser zweiten ORF-Causa stehen Vorwürfe wegen einer verschlechternden Versetzung und Machtmissbrauch im Raum.