Als kurz nach dem Grenzübergang zu Brasilien ein Schnellboot mit bis an die Zähne bewaffneten jungen Männern an ihm vorbeifährt, hat er genug. Janick Jaussi (27) sucht Schutz in einem kleinem Dörfchen am Ufer des Amazonas. Dort erzählt ihm jemand, dass er erst vor drei Tagen ein Familienmitglied verloren hat. Der Mann sei nur ein wenig ausserhalb des Dorfes am Fischen gewesen und wurde dort von einer Bande Krimineller erschossen.
Die Polizei sei auf dem Fluss quasi nicht präsent, die Banden haben freie Hand, zu töten, wen sie wollen. Auch für Kleinstbeträge. Denn Konsequenzen haben sie im abgelegenen Dschungel nicht zu befürchten. «Die Menschen sprechen hier von einem Kriegsgebiet», sagt Jaussi zu 20 Minuten.
Für Jaussi ist der Tag, an dem er sich zum Abbruch seiner Reise entscheidet, sehr intensiv. Ein Besuch der Grenzpolizei auf seinem Boot lässt ihn mutlos zurück. «Sie haben mir gesagt: ‹Wenn du weiterfährst, wirst du wahrscheinlich getötet›», sagt Jaussi. Er entscheidet sich, sein Leben nicht riskieren zu wollen und beendet sein Abenteuer konsterniert.
"Ich fühlte mich in dem Moment egoistisch", sagt Jaussi, der mit seiner Fahrt Geld für einen guten Zweck sammelt – für ein Naturschutzprojekt in Peru, wo er bereits selber mitgearbeitet hat. "Terrific Hate" nennt er sein Unterfangen. Am 20. Mai ist er auf seinem selbst zusammengebauten Katamaran losgefahren, Anfang Juli passierte er die 1000-Kilometer-Marke. Insgesamt hätten es bis etwa im November 5.000 Kilometer werden sollen.
Doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er es nicht einmal lebend bis Manaus schafft. Denn die hohe Kriminalität wird durch den tiefen Wasserstand begünstigt. "Es ist schwierig, Verstecke zu finden und somit ist die Gefahr, in der Nacht von kriminellen Banden entdeckt zu werden, größer", so Jaussi.
"Es ist im Moment schwierig zu akzeptieren. Das braucht wohl noch etwas Zeit", sagt Jaussi. "Aber ich glaube tief in mir, dass es die richtige Entscheidung war, um noch weiter für Tier und Natur kämpfen zu können."
Aber weshalb ist der Amazonas derzeit so gefährlich? Die Menschenrechts-Organisation Human Rights Watch (HRW) warnt bereits seit Jahren vor der Situation im brasilianischen Amazonasgebiet. Die Abholzung der Regenwälder gehe größtenteils auf das Konto von kriminellen Netzwerken. "Alle, die sich ihnen in den Weg stellen, werden attackiert oder eingeschüchtert. Die Regierung wiederum schützt weder die Aktivisten noch den Regenwald", schrieb HRW bereits 2019.
Zu den Opfern der Banden gehören nicht nur Aktivistinnen und Aktivisten, sondern auch Mitglieder von indigenen Gemeinschaften und andere Bewohnerinnen und Bewohner des Regenwaldes. Laut HRW werden Verantwortliche für Gewalttaten kaum zur Rechenschaft gezogen. Bei mehr als 300 dokumentierten Tötungen kam es nur in 14 Fällen zu einem Gerichtsverfahren.
Wie Amazonas-Experte Hugo Loss zur "Zeit" sagt, sind die Kriminellen im Amazonasgebiet "aggressiv und fühlen sich auch sehr mächtig. Sie haben einige Indigenenschutzgebiete in Schlachtfelder verwandelt, wo sie regelrecht Territorien erobern."