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Zustimmungsregel: "Ich wurde von Frauen vergewaltigt"

Leon* hatte Sex – ohne, dass er dazu einwilligte. Mit der "Nur Ja heißt Ja"-Lösung würden seine Erlebnisse als sexuelle Übergriffe gelten.

20 Minuten
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    Leon* wurde zwei Mal von verschiedenen Frauen vergewaltigt. (Symbolfoto)
    Leon* wurde zwei Mal von verschiedenen Frauen vergewaltigt. (Symbolfoto)
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    Das Schweizer Sexualstrafrecht befindet sich zurzeit in Revision. Am Montag endete das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf, welcher breite Kritik auslöste. Betroffene, linke Parteien und Frauenorganisationen drängen auf die Einführung einer "Nur Ja heißt Ja"-Lösung. Damit würden jegliche sexuelle Handlungen, die ohne konkrete Zustimmung erfolgen, als sexuelle Übergriffe gelten. Außerdem fordert die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF) eine neue Definition für den Tatbestand Vergewaltigung, wie sie in ihrer Vernehmlassungsantwort schreibt. Nach der EFK sollen auch die anale, orale sowie Penetration durch Nicht-Geschlechtsorgane wie Finger, Sextoys und Gegenstände als Vergewaltigung gelten.

    Diese Änderungen sollen nicht nur Frauen, sondern auch Männer schützen. "20 Minuten"-Leser Leon* etwa ärgert sich über das veraltete Sexualstrafrecht: "Die Eingrenzung auf vaginale Penetration ist unangebracht, denn auch Männer werden sexuell missbraucht. So wie ich. Ich wurde zweimal von verschiedenen Frauen vergewaltigt. Ich nenne es bewusst so, auch wenn es laut Strafrecht nicht der Fall sein kann, da keine Penetration stattgefunden hat."

    "Weil ich ein Mann bin, werde ich nicht ernstgenommen"

    Leon: "Ich kann keiner der beiden Frauen etwas vorwerfen, weil ich nicht glaube, dass sie mir mit Absicht schaden wollten. Sie haben nicht überlegt, sondern sind einfach davon ausgegangen, dass ich das auch möchte. Beide Male war ich so schockiert, dass ich wie gelähmt war. Ich konnte weder weglaufen, noch Nein sagen." Nur eine Ja-heißt-Ja-Lösung könne deshalb die Lösung sein, so Leon. Bis heute leide er an psychischen Problemen: "Mich belastet vor allem die Hilflosigkeit und dass ich, weil ich ein Mann bin, weder von meinem Freundeskreis noch von meinen Psychologen ernst genommen werde."

    Die Vorfälle hätten ihn verändert, berichtet der 33-Jährige. "Ich habe angefangen, mich von meinem Umfeld zu distanzieren, ich kann kaum mit Frauen zusammenarbeiten. Sobald eine Mitarbeiterin in ihrem Verhalten in irgendeiner Weise einer meiner Vergewaltigerinnen ähnelt, bin ich weg. Auch ans Daten oder eine Beziehung ist momentan nicht zu denken. Ich hoffe, dass ich es irgendwann hinkriege, wieder Menschen an mich heran zu lassen – physisch, aber auch emotional. Wie oder wann das passieren soll, weiß ich nicht. Aber ich verliere die Hoffnung nicht."

    "Er drohte mir, also ließ ich ihn machen"

    Ähnlich sieht es Max* (24). Auch er hat schon sexuelle Gewalt am eigenen Körper erlebt: "Ich begrüße diese Zustimmungs-Lösung sehr und hoffe, dass sie durchkommt. Ich weiß, wie es ist, sich hilflos zu fühlen. Dreimal wurde ich vergewaltigt. Jedes Mal gab es eine Penetration ohne Einwilligung – und doch gilt es laut Gesetz nicht als Vergewaltigung. Das ist erschreckend. 2017 wurde ich im Alter von 20 Jahren das erste Mal vergewaltigt. Es war ein Bekannter. Zunächst war der Sex einvernehmlich. Als es dann aber anfing zu schmerzen, sagte ich ihm, dass er aufhören solle. Ich war klar, ruhig und bestimmt, habe darauf geachtet, dass meine Bitte hörbar ist. Trotzdem hat er mich mit seinem vollen Gewicht aufs Bett gedrückt. Ich wusste: Er hat mich gehört, will aber einfach nicht aufhören.

    Zwei Jahre später fand ich mich in einer ähnlichen Situation wieder, nur dieses Mal war es mein damaliger Freund, der mich vergewaltigte. Ich habe es einfach passieren lassen. Ich weiß, ich hätte mich wehren sollen, aber ich konnte es einfach nicht – er war mein Freund und ich liebte ihn. Beim dritten Mal wurde ich von einem Studienkollegen erpresst. Er wollte mich oral befriedigen. Sollte ich mich weigern, würde er mich öffentlich bloßstellen. Ich ließ ihn machen. Mittlerweile ist es ein Jahr her und ich bereue, mich in keinem der drei Fälle gewehrt zu haben. Zu jedem Zeitpunkt wusste ich, dass eine Grenze überschritten wurde."

    "Ein Raser darf nicht härter bestraft werden als ein Vergewaltiger"

    Doch es gibt auch harsche Kritik an der "Nur Ja heißt Ja"-Lösung: "Das ist weltfremd. Welche Frau geht vor dem Geschlechtsverkehr eine Unterschrift einholen?", findet SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann gegenüber "20 Minuten". Bei einer rein mündlichen Zustimmung sieht Steinemann dagegen ein späteres Beweisproblem auf die Staatsanwaltschaft zukommen.

    Auch in der "20 Minuten"-Community gibt es neben viel Zuspruch für die Zustimmungsregel einige Skeptiker*innen. So auch Leser R. B.* (35): "Ich bin sonst eigentlich nie der Meinung der SVP, aber hier voll und ganz. Statt geltende Gesetze konsequent umzusetzen, werden laufend neue geschaffen, die wieder nicht umgesetzt werden. Es ist total realitätsfern. Ein Großteil der Frauen geht nicht oder erst viel zu spät zur Polizei – da sollte man ansetzen. Und natürlich sollte das geringe Strafmaß nach oben korrigiert werden. Es darf nicht sein, dass ein Vergewaltiger oder ein Schänder weniger hart bestraft wird als ein Raser oder ein Steuerhinterzieher."

    Ebenfalls gegen den Vorschlag ist User J.M.*: "Man kann alles übertreiben. Auch Männer haben Rechte und nicht alle sind Vergewaltiger! Die heutige Rechtslage ist schon restriktiv genug und benachteiligt die Männer."

    "Ich habe Angst – die Beweislast liegt dann bei den Opfern"

    Leser T.B.* (44), Vater einer sechsjährigen Tochter, graut es vor der Annahme der "Nur Ja heißt Ja"-Lösung: "Ich habe Angst! 'Ja heißt Ja' ist eine Beweislastumkehr im Strafrecht. Wie soll der Staatsanwalt beweisen, dass der*die Betroffene nicht Ja gesagt hat? Die 'Nichtexistenz einer Aussage' lässt sich de facto nicht beweisen. Die Beweislast würde also zusätzlich bei den Opfern liegen."

    T.B. beklagt, dass in der Debatte um die Zustimmungsregel das Wichtigste vergessen gehe: "Die Strafe. Diese muss der Tat angemessen sein. Dafür müssen wir eine im täglichen Zusammenleben funktionierende Lösung finden." Alle müssten umdenken, ein Gesetz reiche dazu nicht, so der Leser weiter. "Das muss jeder Mann, jede Frau, jeder Vater, jede Mutter, jede Tochter und auch jeder Sohn schon selber tun!"

    *Name geändert

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