Coronavirus

"Es kommen wohl täglich Tausende Long-Covid-Fälle dazu"

Die hohe Anzahl Covid-Infizierter bereitet Experten Sorgen. Tausende Long-Covid-Fälle werden befürchtet.

11.01.2022, 09:43
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Nicht nur die persönlichen, sondern auch die gesamtwirtschaftlichen Folgen von Long Covid könnten verheerend sein.
Getty Images

In Österreich sind aktuell rund 85.000 Personen mit dem Coronavirus infiziert, im Nachbarland Schweiz ist die Lage etwas dramatischer. Seit Heiligabend haben sich dort  239.616 Personen angesteckt. Die Schweiz verzeichnet die höchsten Fallzahlen seit Beginn der Pandemie – weitere Maßnahmen gab es bisher jedoch nicht. Dies wohl auch, da der Krankheitsverlauf von Omikron als "mild" eingestuft wird.

Klar ist: Die Zahl der Hospitalisierungen geht zurzeit leicht zurück. Trotzdem bereitet ein anderer Faktor Sorgen – Long Covid. In einem Tweet warnt Neurowissenschaftler Dominique de Quervain: "Wenn Omikron in gleicher Häufigkeit Long Covid verursacht wie die früheren Varianten, kommen derzeit jeden Tag Tausende von Menschen hinzu, die an lang anhaltenden Symptomen wie Fatigue, Kopfschmerzen, Gedächtnisproblemen oder Atemschwierigkeiten leiden werden."

"Eine Katastrophe"

Chantal Britt ist Präsidentin der Patientenorganisation Long Covid Schweiz. "Wenn wir nur die Hospitalisierungsrate und die Belegung der Intensivstationen betrachten, ignorieren wir bewusst oder unbewusst die Langzeitfolgen bei Erwachsenen und Kindern. Häufigkeit, Ausmaß und Schwere dieser Folgen können wir immer noch nicht richtig abschätzen", sagt sie. Britt leidet selbst seit März 2020 an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung.

Die hohen Ansteckungszahlen bereiten ihr Sorge: "Tausende von Menschen, darunter Erwachsene und Kinder, sind bereits erkrankt und werden möglicherweise nie wieder gesund. Das ist eine Katastrophe für die einzelnen Personen, ihre Familien und natürlich auch für die Wirtschaft", betont Britt. Und: Man dürfe nicht vergessen, dass ein Großteil der Menschen, die in den ersten zwei Wellen an Long Covid erkrankt sind, immer noch nicht vollständig genesen seien.

"Aus diesem Grund sind wir klar für eine Verschärfung der Maßnahmen, damit die Durchseuchung gestoppt wird, bis wir verstehen, welche Langzeitfolgen das Virus bei Erwachsenen und Kindern hat", so Britt.

    Geschwächter Allgemeinzustand
    Getty Images/iStockphoto

    20 Prozent entwickeln Long Covid

    Für Milo Puhan, Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention an der Universität Zürich, sind die hohen Fallzahlen noch kein Grund zur Panik – die Möglichkeit vieler Long-Covid-Fälle dürfe man weder über- noch unterschätzen, aber man müsse sie sehr ernst nehmen. "In unserer Literaturübersicht und der eigenen bevölkerungsbasierten Studie aus Zürich ist ersichtlich, dass etwa 20 Prozent aller Infizierten Long-Covid-Symptome entwickelt hatten", erklärt Puhan.

    Nach einem Jahr werden noch nicht alle geheilt sein, die Zahl sicher noch nicht auf null zurückgehen, sondern dann noch etwa 10 bis 15 Prozent betragen, so Puhan. Die Daten der meisten Studien basieren aber noch auf den früheren Wildtyp- und Alpha-Varianten – Delta dürfte sich aber in etwa ähnlich verhalten, schätzt der Epidemiologe. Was die Zukunft betrifft, ist vieles noch ungewiss: "Wir müssen mindestens drei Monate warten, bis wir wissen, inwiefern Omikron Long Covid auslöst. Dafür müsste demnächst wieder eine Studie aufgesetzt werden." Die Hoffnung für die Omikron-Variante sei, dass die milderen Krankheitsverläufe auch zu weniger Long Covid führen.

    Arbeitskraft

    Auch, was die wirtschaftlichen Folgen von Long Covid betrifft, ist laut Puhan vieles noch unsicher: "Fakt ist aber, dass schon jetzt viele Personen aufgrund von Long Covid ihren Job wechseln oder aufgeben mussten – es könnte also beträchtlich viel Arbeitskraft verloren gehen."

    Lassen sich die vielen möglichen Long-Covid-Fälle denn überhaupt verhindern? "Omikron lässt sich nicht aufhalten. Wenn wir Maßnahmen einführen, werden wir die Ansteckungen verzögern – das hat aber nur wenig Einfluss auf mögliche Long-Covid-Fälle."

    Finnlands Regierung warnt vor Long Covid

    In der Schweiz ist Long Covid in der Politik bisher noch kaum Thema. In anderen Ländern aber wird das Thema aufgrund von Omikron immer aktueller: "Es besteht die Gefahr, dass in Finnland die grösste oder eine der grössten neuen Gruppen chronischer Krankheiten entsteht und dass nicht nur zu viele Erwachsene, sondern schlimmstenfalls auch Kinder langfristig an Covid-19 leiden werden", sagte etwa die finnische Ministerin für Familienangelegenheiten und soziale Dienste Krista Kiuru in einer Medienkonferenz am Freitag, wie Reuters schreibt. Das finnische Expertengremium analysierte mehr als 4000 Studien und kam zum Schluss, dass bei jedem zweiten Erwachsenen und bei zwei Prozent der Kinder länger anhaltende Symptome im Zusammenhang mit Covid-19 auftreten könnten."Das Virus dringt nachweislich über die Nase in das Gehirn ein und die Auswirkungen lassen sich auch in der Magnetresonanztomographie erkennen", erklärte Risto Roine, Professor für Neurologie und Vorsitzender des Expertengremiums, an derselben Pressekonferenz. "Bei etwa 20 Prozent kommt es zu langfristigen kognitiven Beeinträchtigungen", fügte Roine hinzu und warnte, dass die Häufigkeit neurologischer Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson nach einer Covid-19-Infektion stark ansteigen könnte. Finnland verzeichnet mit ihren 5,5 Millionen Einwohnern seit Beginn der Pandemie 305’522 Corona-Fälle.