Wien

Stadt schickt Kinderpsychiater auf Hausbesuche

Im neuen "Home Treatment" werden Kinder und Jugendliche durch multidisziplinäre Experten im vertrauten Umfeld betreut. Das Projekt startet am 1. März. 

04.02.2021, 17:01
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Die Coronakrise setzt Kindern und Jungendlichen immer mehr psychisch zu. Depressionen, Angstzustände oder Essstörungen steigen. Der Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner setzt nun auf ein Pilotprojekt, bei dem Therapeuten die jungen Patienten in deren vertrauten Umfeld behandeln.
Denise Auer

Depressionen, Ess- und Angststörungen: Die anhaltende Coronakrise samt Lockdown, sozialem Distanzhalten und Home Schooling setzt vielen Kindern und Jugendlichen immer stärker zu. So sehr, dass auch die Kinderpsychiatrie am AKH (Alsergrund) an ihre Grenzen stößt, wir haben berichtet

Doch bereits vor der Pandemie trat der Mangel an fachärztlicher Versorgung im niedergelassenen Bereich für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen deutlich zu Tage. Gleichzeitig stellen stationäre Behandlungen und dazu gehörende Wartezeiten insbesondere für junge Menschen in manchen Fällen zu hochschwellige Angebote dar, die sie aus ihrem direkten Umfeld reißen und dadurch wiederum negative Auswirkungen haben können.

Hausbesuche als Schnittstelle zwischen Hausarzt und Klinik

Daher startet die Stadt nun ein neues Projekt, das den Kindern und Jugendlichen die bestmögliche Betreuung für Kinder und Jugendliche in ihrem Familien- und Betreuungsumfeld garantieren soll. Heute, Donnerstag, wurde es vom Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, dem Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Georg Psota vorgestellt. Unterstützt wurde sie dabei von der Koordinatorin des Home-Treatment Team, Sidonie Seywald, dem Ärztlicher Leiter des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Ambulatoriums des PSD Wien, Patrick Frottier sowie Paul Plener, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien.

"Das Home-Treatment wird in der psychischen und psychosozialen Versorgung unserer Stadt eine wichtige Schnittstelle zwischen ambulanten und stationären sowie tagesklinischen und niedergelassenen Leistungen bilden und ist damit ein wichtiger Teil im Ausbau der psychosozialen Versorgung in Wien", erklärt Psota.

Die mobilen Therapeuten-Teams kommen also dann zum Einsatz, wenn der Hausarzt nicht mehr weiterhelfen kann, in den psychiatrischen Ambulanzen oder Kliniken aber kein Termin frei ist. "Mit dem neuen Vorreiter-Projekt stellen wir die niederschwellige, schnelle und individuelle Behandlung für Kinder und Jugendliche und ihre Familien sicher", betont Lochner. Er lädt die Österreichische Gesundheitskasse ein, sich "an diesem innovativen Ausbau der Versorgungsleistung zu beteiligen. Gemeinsam werden wir nicht nur eine positive, sondern auch eine dauerhafte Unterstützung für viele junge Menschen in unserer Stadt schaffen", so Lochner.  

Psychische Betreuung zuhause mit selbem Effekt wie in Klinik, aber ohne "sozialen Abbruch"

Ab 1. März 2021 wird ein neues Angebot geschaffen, das junge Menschen mit psychischen Erkrankungen und ihre Familien in ihrem alltäglichen Lebensumfeld – bei sich zu Hause – begleitet. Das Pilotprojekt, das zunächst auf eine Laufzeit von zwei Jahren anberaumt ist, und dabei eine vergleichbare Intensität, wie eine stationäre oder tagesklinische Behandlung bietet. Durch die Arbeit vor Ort wird der Lebensalltag der Kinder und Jugendlichen aber in die Behandlung miteinbezogen und es kommt zu keinen Abbrüchen von wichtigen sozialen Beziehungen in Familie, Schule oder Betreuungsumfeld.

Pilotprojekt soll überlaufene Kliniken und Ambulanzen entlasten

Das Home-Treatment durch multiprofessionelle Teams stellt außerdem eine massive Ausweitung der Versorgung im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich in Wien dar. Mit diesem Vorreiter-Projekt der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie (Medizinische Universität Wien/AKH) und der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD) kommt es nicht nur zur Entlastung von stationären Angeboten, sondern es eröffnet sich auch die Möglichkeit schnell und ohne Wartezeiten auf entstehende Krisen und Notsituationen zu reagieren.

Auf Basis des individuellen Bedarfs werden, wenn nötig, nahtlose Übergänge zwischen verschiedenen Behandlungsformen geschaffen. Die Teams des Home -Treatments stellen dabei die Schnittstelle zwischen stationärem und ambulantem Bereich sowie auch niedergelassenen Versorgungsstrukturen dar. Im Rahmen des Psychiatrischen und Psychosomatischen Versorgungsplans der Stadt Wien (PPV) soll auf diesem Weg die Kontinuität der Betreuung mit dem Ziel, die beste und sicherste Betreuung für Kinder und Jugendliche in psychosozialen Notlagen zu erreichen, gewährleistet werden.

So läuft das Home Treatment ab:

Das Vorreiter-Projekt des Home-Treatments wird gemeinsam von den Psychosozialen Diensten der Stadt Wien (PSD) und der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie (MedUni Wien/AKH) getragen. Es startet am 1. März 2021 und ist auf zwei Jahre angesetzt.

- Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. Behandelt werden vorrangig Depressionen und Angstzustände. Die Anmeldung läuft über das Kinder- und Jugendpsychiatrisches Ambulatorium mit Tagesklinik – Extended Soulspace. Die Hausbesuche sind für die Patienten kostenlos, die Wartzeiten sollen möglichst kurz sein.

-  Zwei multi-professionelle Teams des Home-Treatments sind im Projektzeitraum tätig. Insgesamt sind elf Experten aus unterschiedlichen Berufsgruppen (Kinder- und Jugendpsychiater, Sozialarbeiter, Psychologen, pädagogisches und Pflegepersonal sowie Ergotherapeuten) im Rahmen der Home-Treatment Teams im Einsatz.

-  Kinder und Jugendliche werden dabei im Rahmen ihrer Familien für einen längeren Behandlungszeitraum (3 bis 6 Monate) in ihrem direkten Lebensumfeld betreut. Im Zuge der zweijährigen Pilotphase soll das Home-Treatment mindestens 50 Wiener Kinder und Jugendliche gemeinsam mit ihren Familien betreuen.

-  Entsprechend dem Standard der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind die Home Treatment-Teams multidisziplinär aufgebaut und setzen sich aus Expertinnen und Experten verschiedenster Bereiche zusammen und bieten damit eine wichtige Therapievielfalt.

- Im Rahmen des PPV bietet das Home-Treatment Versorgungskontinuität und bildet eine Schnittstelle zur stationären und ambulanten Versorgung sowie zu niedergelassenen Versorgungsstrukturen. Organisiert werden im Anlassfall optimale Übergänge zwischen verschiedenen Behandlungs-Settings – im Fall akuter krisenhafter Verläufe sind damit rasche Interventionsmöglichkeiten garantiert.

-  Im Zuge der Pilot-Phase greift das Home-Treatment sowohl auf bestehende Ressourcen als auch auf neu geschaffene Stellen zurück. Das Ziel ist die individualisierte Anpassung therapeutischer Maßnahmen für die jeweilige Lebenssituation der jungen Patientinnen und Patienten.

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