Politik

"Arbeitsregime, Verräter": So brutal tagte Parlament

Die von der Regierung anvisierte Arbeitszeitflexibilisierung ließ auch bei der Sondersitzung des Nationalrats am Freitag die Wogen hochgehen.

Heute Redaktion
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Schon eine Anfrage der SPÖ an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte Zündstoff im Titel: "12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche - in wessen Auftrag, Herr Bundeskanzler?" wurde da gefragt. Josef Muchitsch (SPÖ) sprach von "Lohnraub", "Gesundheitsraub" und "Freizeitraub", klar sei dem Sozialsprecher der SPÖ jedenfalls, dass mit dem 12-Stunden-Tag eine zentrale Forderung eines der Großspender der ÖVP umgesetzt wurde. Nicht minder angriffig SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek, die die ÖVP-FPÖ-Regierung als "Arbeitsregime" bezeichnete.

Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP), der Bundeskanzler Sebastian Kurz zunächst vertrat, sah im Antrag der Regierungsparteien eine Reaktion auf die geänderte Arbeitswelt, betonte aber, der Achtstundentag und die 40-Stunden-Woche würden nach wie vor der Regelfall bleiben. Er verwies zudem darauf, dass die "Freiwilligkeit" in das Gesetz soll, ebenso dass die Arbeitnehmer im Fall der Ablehnung von Überstunden vor negativen Folgen geschützt werden sollen.

ÖVP beruft sich auf Kerns "Plan A"

Der Initiativantrag von ÖVP und FPÖ enthalte keine einzige Verbesserung für die Beschäftigten, sondern ausschließlich Verschlechterungen, konterte Muchitsch. So werde die Jahresarbeitszeit um zusätzliche 96 Stunden erhöht, für gleiche Arbeit gebe es nun weniger Einkommen. Die Freiwilligkeit sei zudem sinnlos, denn kaum ein Arbeitnehmer werde in der Praxis einfach "Nein" sagen können.

Ungewöhnlich ein Zugeständnis der ÖVP: Blümel erklärte, dass man mit der Arbeitszeitflexibilisierung auch wesentliche Teile des "Plans A" von SPÖ-Chef Christian Kern umsetze. Ziel ist nach den Worten Blümels in erster Linie die Vereinfachung des bisher komplizierten Überstundenregimes, wobei man, anders etwa als in Schweden, unter den möglichen 13 Stunden geblieben ist. Die nunmehr im Gesetz verankerte Freiwilligkeitsgarantie ermögliche den Beschäftigten, die 11. und 12. Stunde jederzeit ohne Angabe von Gründen abzulehnen.

"Panikmache"

Die Auswirkungen der Änderungen des Arbeitszeitgesetzes treffen mehr als dreieinhalb Millionen Arbeitnehmer und alle Familien, so SPÖ-Klubobmann Christian Kern. Der "Plan A" habe mit dem Vorschlag der Regierung nichts gemeinsam, denn was man jetzt plane, bringe nur Vorteile für die Arbeitgeberseite und ausschließlich Nachteile für die Arbeitnehmerseite. Die Freiwilligkeit, von der die Koalition im Antrag spreche, sei nur ein "Placebo". Statt eines sehr schlechten plane man nun einen schlechten Gesetzesentwurf. Die Menschen in diesem Land hätten sich anderes verdient, so Kern.

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Johann Gudenus (FPÖ) rief die Gewerkschaft dazu auf, die "Panikmache" zu beenden und warf SPÖ-nahen Organisationen vor, sie würden mit Geldgeschenken Demonstranten motivieren, nach Wien zu reisen, was Muchitsch umgehend berichtigte – es gebe keine Geldgeschneke. Wieder die FPÖ: Der generelle Zwölfstundentag sei nicht geplant, die SPÖ trete gegen eine Chimäre auf, so Gudenus.

"Anschlag auf Freizeit und Gesundheit"

Neben dem Schlagabtausch zwischen ÖVP-FPÖ und SPÖ mischten auch die übrigen Parteien mit. Gerald Loacker (NEOS) bezweifelte die Umsetzbarkeit der Freiwilligkeit, welche die Koalition verspreche. Bei der Umsetzung habe sich die Regierung für eine "Dampfwalze" entschieden, statt eine Regierungsvorlage oder einen Initiativantrag mit ausreichend langer Begutachtungsfrist einzubringen.

Daniela Holzinger-Vogtenhuber von der Liste Pilz kritisierte, dass bei der Debatte des Nationalrats weder Bundeskanzler, der später eintraf, noch Sozialministerin anwesend seien. Der Antrag zum Arbeitszeitgesetz sei ein "Anschlag auf Freizeit und Gesundheit der Arbeitnehmer". Die angekündigte Freiwilligkeit sei das Papier nicht wert, auf dem sie stehe, denn die betriebliche Praxis sehe anders aus, so Holzinger-Vogtenhuber.

Und der Kanzler kam doch

Kurz, der verspätet aus Brüssel ins Parlament kam, verteidigte auch aus seiner Sicht die geplanten Maßnahmen und wies darauf hin, in wie vielen Bereichen Arbeitszeiten bis zu zwölf Stunden bereits heute schon möglich seien. Er versuchte zu beruhigen und meinte, die Reform sei keine allzu große, weshalb man die Menschen nicht verunsichern solle. Es sei aber auch für Jubelchöre kein Anlass.

Von einem "Konzernkanzler Kurz" und einem "Arbeitnehmerverräter Strache" sprach der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Es werde keinen Eingriff in bestehende Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen geben, versicherte wiederum Kurz. Auch bleibe man grundsätzlich bei der 40-Stunden-Woche. Kurz glaubt, dass Beruhigung einkehren wird, wenn sich in der Praxis herausstellt, dass die heraufbeschworenen negativen Szenarien nicht eintreten.

"Selbstverständliches Recht"

Auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) meldete sich in der Debatte zu Wort. Ein verpflichtender 12-Stunden-Tag und ein 12-Stunden-Tag ohne Überstundenzuschläge wären in der Tat unsozial, meinte er, weder das eine noch das andere sei aber geplant. Es werde im Gesetz eine Freiwilligkeitsgarantie geben mit einem "selbstverständlichen Recht von Arbeitnehmern, die 11. und 12. Arbeitsstunde abzulehnen". Es gehe grundsätzlich nicht um längere, sondern um flexiblere Arbeitszeiten. Alle Abänderungsanträge der Opposition wurden letztlich abgelehnt. (red)