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"Der feuchte Traum aller Überwachungs-Anhänger"

Mit künstlicher Intelligenz und Gesichtserkennung will China jeden jederzeit überwachen. Ein Pekinger Start-up spielt eine zentrale Rolle.

Heute Redaktion
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SenseTime ist im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) das zurzeit wertvollste Start-up der Welt. Der Wert der chinesischen Firma hat sich innerhalb von drei Jahren auf drei Milliarden US-Dollar erhöht, wie das Wirtschaftsmagazin "Bloomberg" berichtet.

Die Software der Firma läuft auf mehr als 100 Millionen chinesischen Smartphones. Weiter betreibt das Start-up einen Supercomputer, der mit mehr als 8.000 Grafikkarten bestückt ist. Nach Angaben der Firma sei man führend bei KI-Plattformen und Algorithmen. SenseTime steuert auch zum chinesischen Überwachungsapparat bei, wie es im Artikel von Bloomberg weiter heißt.

Eine Zentrale für die Überwachung

Unter dem Codenamen Viper wird ein System entwickelt, mit dem in Zukunft Live-Feeds gesammelt werden. So sollen Daten von Büros, Kameras an Bankomaten und Verkehrskameras zentral zusammenlaufen. Ziel sei es, 100.000 Feeds zur gleichen Zeit zu analysieren, zu verarbeiten und abzulegen. Behörden sollen das System nutzen können, um Verdächtige zu finden, aber auch um Unfälle automatisch zu erkennen. Eine Zusammenarbeit mit mehr als 40 lokalen Behörden sei auf Schiene, heißt es.

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SenseTime demonstriert an einer Konferenz in Tokio Anfang April 2018, wie die Gesichtserkennung funktioniert. (Foto: Reuters)

Bereits wurden Vorwürfe laut, weil das System missbraucht werden könnte. Li Xu, CEO von SenseTime, winkt ab: "Es wird die Privatsphäre nicht beeinträchtigen, da nur autorisierte Personen zugreifen können", sagt er. Diese Auffassung teilen nicht alle. Auf Twitter spricht der deutsche Unternehmer

: "Die Gesichtserkennung mit KI ist der feuchte Traum von Massenüberwachungs-Aficionados."

Interview mit Hernâni Marques, Vorstandsmitglied des Chaos Computer Club Schweiz.

Wieso setzt China so stark auf Gesichtserkennung?

Mittels Gesichtserkennung durch Videoüberwachung an jeder Ecke, durch jedes Mobilgerät hindurch, mit Videobrillen für Polizisten und Drohnen für wenig besiedelte Gebiete kann jeder überall im Land durch Abgleich mit einer zentralen Datenbank identifiziert werden. China will die gewünschten Normen und die Realität eins werden lassen: Die lückenlose Totalüberwachung ist nötig, um Bürger und damit die Gesellschaft als Ganzes zentral zu steuern.

Ist ein zentralisiertes System zur Maßenüberwachung auch in Europa denkbar?

Absolut. Schon vor den Snowden-Enthüllungen wurde in der EU im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms (FP-7) am Projekt Indect gearbeitet: Dieses sieht vor, alle Kommunikation und alle Daten von Videoüberwachungsanlagen auf einer zentralen Plattform zusammenzuführen.

Welche Auswirkungen hätte es, wenn China Weltmarktführer im KI-Bereich wäre?

Da praktisch unsere gesamte Hardware in China gefertigt wird, bedeutet eine Weltmarktführung von China auch eine prinzipielle Kontrollmöglichkeit aller Geräte durch die Volksrepublik. Die Gefahren liegen auf der Hand: China wird in Zukunft nicht nur die chinesische, sondern auch andere Gesellschaften überwachen können. Die Kontrolle anderer Völker erfolgt in Zukunft nicht über militärische Vorherrschaft, sondern über jene im digitalen Raum. Diesem Einfluss kann nur entkommen werden, wenn die EU und die Schweiz endlich aufwachen und merken, dass wir unsere Informations- und Kommunikationstechnik-Grundlagen in den Griff kriegen müssen: Dafür müssen Systeme her, deren Funktionsweise bekannt sind – offene Hardware und freie Software. (tob)

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