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"Erdogan soll selbst zurücktreten"

Heute Redaktion
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Die türkische Opposition wirft Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor, mit dem Kabinettsumbau konspirative Ziele zu verfolgen. Erdogan wolle im Kampf um den Machterhalt eine Art Staat im Staate schaffen, so der Chef der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu.

Kilicdaroglu sprach von einem "tiefen Staat" ("Derin Devlet"), was in der Türkei ein negatives Schlagwort für den Einfluss von Drahtziehern im Hintergrund ist. Wegen des Korruptionsskandals im Umfeld des bisherigen Kabinetts hatte Erdogan insgesamt .

Gefügige Minister

Oppositionsführer Kilicdaroglu warf Erdogan vor, sich ein Kabinett aus gefügigen Ministern schaffen zu wollen. Sie seien Teil von Erdogans Machtstrukturen, mit denen er ohne demokratische Kontrolle regieren wolle. Eine zentrale Rolle darin spiele der neue Innenminister Efkan Ala. Der frühere Gouverneur der Provinz Diyarbakir ist als einziger kein Parlamentsabgeordneter, in seiner bisherigen Position als Regierungsstaatssekretär soll er sich dafür eingesetzt haben, massiv gegen die Anti-Erdogan-Proteste im Sommer vorzugehen.

Steckt das Ausland dahinter?

Bei seiner Amtseinführung deutete Ala am Donnerstag an, die Korruptionsermittlungen könnten aus dem Ausland gesteuert worden sein. Nachbarn der Türkei könnten eifersüchtig auf den Erfolg des Landes reagieren, so Ala. Die auch wirtschaftlich erstarkte Türkei strebt vor allem mit Blick auf den Nahen Osten eine zentrale Position in der internationalen Diplomatie an.

24 Menschen festgenommen

Als Innenminister folgt Ala auf Muammer Güler, dessen Sohn wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis sitzt. In der Affäre wurden bereits 24 Menschen festgenommen, darunter der Chef der staatlichen Halkbank. Am Mittwoch legten neben Innenminister Güler auch Wirtschaftsminister Zafer Caglayan und Umweltminister Erdogan Bayraktar.  Die Söhne aller drei Ressortchefs sind ins Visier der Ermittler geraten , die den Ministern selbst aber nichts vorwerfen. Erdogan reagierte auf die Affäre mit der Entlassung von Polizeichefs wegen Amtsmissbrauchs.

Autoritärer Regierungsstil

Experten sehen in dem Skandal zwar keine unmittelbare Bedrohung für die Regierung. Allerdings könnte vor der Kommunalwahl im März die Partei Erdogans an Zustimmung verlieren. Die Affäre wird aber zu einer immer größeren Herausforderung für den seit elf Jahren amtierenden Regierungschef, an dem noch gegen seinen autoritären Regierungsstil abgeprallt waren. Vor allem die Forderung aus den eigenen Reihen, auch Erdogan müsse den Hut nehmen, verschärft die Lage.

"Premier sollte gehen"

Ex-Umweltminister Bayraktar sagte im Fernsehen: "Für das Wohl des Landes glaube ich, dass der Regierungschef gehen sollte." Erdogan reagierte nicht darauf, versprach aber, seine AK Partei werde Korruption nicht dulden. Unterdessen gab es neue Proteste in Ankara, Istanbul und Izmir.

Abschwung an der Börse

Der Vorstoß der Behörden hat die politische Elite der Türkei aufgeschreckt und für Unruhe an den Finanzmärkten gesorgt. An der Börse ging es zuletzt mehr als vier Prozent bergab. Auch die Kabinettsumbildung konnte die Märkte nicht beruhigen. Die Landeswährung fiel am Donnerstag zeitweise auf ihren bisher tiefsten Stand, so dass für einen Dollar 2,1025 Lira gezahlt werden mussten. Am Mittag kostete ein Dollar noch 2,0970 Lira. Auch Staatsanleihen mussten Federn lassen, obwohl die Reaktionen durch den feiertagsbedingt ruhigen Handel an den internationalen Märkten eher noch gedämpft wurden.

Das Land ist stark vom Kapitalzufluss aus dem Ausland abhängig, obwohl die türkische Wirtschaft selbst während Erdogans dreier Amtszeiten massiv gewachsen ist. Der steigende Wohlstand vieler Türken hat den Verbrauch kräftig angekurbelt, und auch die Position des Landes auf den Exportmärkten hat sich verbessert. Erdogan hat den Einfluss des einst dominierenden Militärs zurückgedrängt. Seine Gegner werfen ihm vor, islamistische Ziele zu verfolgen.

EU-Beitritt

Ein EU-Beitritt der Türkei wird seit Jahren debattiert, die Verhandlungen zu einer Annäherung laufen auch schon seit Jahren. Es gibt aber immer wieder herbe Rückschläge. Österreichs hat zuletzt gemeint, der Beitritt sei derzeit kein Thema.