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"Erica" im Test: Das Spiel, das nicht speichern lässt

Heute Redaktion
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Bereits 2017 angekündigt, ist das ehrgeizige Film-Spiel-Project "Erica" jetzt für Playstation 4 erschienen. Und passt in so gar keine Schublade.

Das Konzept von "Erica" aus dem Hause Flavourworks ist eigentlich ein einfaches: Das Spiel wurde komplett als herkömmlicher Film gedreht und je nach Entscheidung des Spielers zwischen den Szenen folgt die Geschichte unterschiedlichen Verläufen. In der Praxis streut "Erica" aber schlaue Elemente ein, die das einfache Handlungs-Auswählen zu einer spannenden Sache machen.

Doch Spannung verspricht auch schon die Geschichte, die sich je Durchgang in Spielfilmlänge präsentiert. Der Spieler lernt Erica kennen, eine junge Frau, die von Albträumen über die Ermordung ihres Vaters in ihrer Kindheit geplagt wird. Als Erica über ein Paket mit einer Hand eines Toten und dem Symbol, das auch ihrem Vater in die Haut geschnitten wurde, erhält, ist auf einmal nichts mehr so wie es schien.

Das Besondere an der Geschichte: Anders als in ähnlichen Story-getriebenen Spielen mit Entscheidungen ändert sich nicht nur die folgendes Szene etwas, sondern massiv – und es gibt nicht eine, sondern mehrere mögliche Handlungsbögen, so dass man auch beim mehrmaligen Durchspielen komplett neue Szenen und Elemente entdeckt. Der Wiederspielwert ist enorm groß.

Handlungsbogen funktioniert nur zum Teil

Anders macht "Erica" aber auch, dass dafür ein Preis gezahlt werden muss. So bleiben bei jedem Durchgang besonders zu Ende hin viele Fragen offen und es macht den Anschein, als überspringe die Handlung einfach ein paar Punkte, die man gerne gesehen hätte. So gibt es fünf Hauptenden, jedes Ende zeigt aber kein Geschehniss der anderen vier Enden in Bezug auf die Gesamtgeschichte und die Lösung des Mordfalls.

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Das klingt verwirrend, lässt sich aber anhand eines herkömmlichen Films beschreiben: Nehmen wir an, der Held eines Films tötet am Ende den Bösewicht und rettet die Geiseln. Der Film allerdings zeigt nur, dass der Bösewicht stirbt, aber nicht wie, durch wen und was mit den Geiseln geschieht. So erlebt man auch die Enden von "Erica": Sie beleuchten jeweils nur einen Aspekt der Gesamtgeschichte. Was bei einem Film aber gar nicht funktionieren würde, funktioniert hier zumindest zum Teil, auch wenn sich das Gefühl einstellt, dass bei der Handlung etwas fehlt.

Gefällt uns: Kein Speichern möglich

Gut umgesetzt wiederum ist, dass "Erica" beim Spielen nicht speichern lässt. Die Entwickler begründen das damit, dass der Spieler mit seinen getroffenen Entscheidungen bis zum Ende der Handlung leben soll. Das klingt anfangs abschreckend für jene, die bei gewissen Szenen erst speichern und dann schauen wollten, was die Geschichte bei der Wahl der jeweils anderen Entscheidung passiert wäre. Dann aber wäre "Erica" zum reinen Speicher- und Lademarathon verkommen und der Reiz des Endgültigen verloren gegangen.

Dass "Erica" durchaus zu immer neuen Durchgängen einlädt liegt daran, dass es so gut wie alle paar Sekunden eine Entscheidung zu treffen gibt, die drastischere Auswirkungen hat, als wir es bisher bei solchen Spielen erleben durften. So gibt es bereits zu Beginn des rund zweistündigen Abenteuers so verschiedene Szenen, dass man tatsächlich eine ganz neue Geschichte – oder eben die bekannte Handlung aus einem ganz neuen Blickwinkel sieht. Beispiel: An der Rezeption steht eine Klingel, die man einmal drücken oder ungeduldig hämmern kann. Je nach Wahl fällt die folgend Szene grundverschieden aus.

Solide Steuerung, keine Interaktion in Szenen

Schade aber ist, dass manchmal bei den Wahl-Möglichkeiten nicht klar herauskommt, was Erica genau sagen oder tun wird, ob etwa Sarkasmus oder Wut oder doch nur Sachlichkeit in einer Antwort mitschwingt. Die Steuerung des Titels ist umso besser gelungen: Gespielt wird entweder über das Touchpad des PS4-Controllers, oder – weil es sich auch um einen Smartphone-gesteuerten Playlink-Titel handelt – über eine speziell für das Spiel entwickelte App. Die App-Variante zeigt sich etwas bedienfreundlicher, da das Handydisplay meist größer als das Controller-Touchpad ist. Bis auf das gibt es aber auch bei der Touchpad-Steuerung nichts zu beklagen.

Die Steuerung erklärt sich auch quasi von selbst. Meist wischt man mit einem Finger auf die gewünschte Option und wählt diese per Touchpad-Loslassen aus. In den Szenen selbst gibt es keinerlei Interaktionsmöglichkeiten, dazwischen können aber auch Objekte untersucht und bedient werden. In die Tiefe geht "Erica" dabei aber nicht, denn meistens stellen auch die Objekte – wie die zuvor erwähnte Klingel – Handlunsgverläufe dar und sind nicht Hundertfach als reine Entdeckungsitems in der Spielwelt zu finden.

Weit weg von Perfektion, aber überaus spannend

Von einem perfekten Film-Spiel-Erlebnis ist "Erica" weit entfernt. Am augenscheinlichsten wird das, wenn Szenen etwas zu hart aufeinander geschnitten zu sein scheinen. Oft passen Emotionen und Gesprächston in den folgenden Szenen nicht zur vorher getroffenen Auswahl, oder aber der Ort der Geschehnisse wechselt mit einem Schnitt urplötzlich ganz woanders hin. Hier wird deutlich, dass zwar drei Jahre Vorbereitung in das Spiel geflossen sind, die Entwickler die Drehzeit aber mit nur 45 Tagen angeben. Offenbar deswegen gibt es auch sehr viele starre Kameraperspektiven, mit Schwenks, Fahrten und Co. wird zeitweise sehr sparsam umgegangen.

Trotz der Kritik ist "Erica" aber eines der spannendsten Spiel-Projekte der Gegenwart. Betrachtet man "Erica" von Filmseite her, sind Bildqualität und Sound beinahe kinoreif, die Handlung ist fesselnd und die schauspielerische Leistung streckenweise grandios. Auf Spielseite bekommt man pro Durchgang rund zwei gruselig-atmosphärische Stunden, die man aber durch mehrere Durchgänge ohne Langeweile 20 bis 30 Stunden zocken kann. Im Genre der interaktiven "Spielfilme" legt "Erica" die Latte mit den unglaublich verzweigten Handlungssträngen deutlich höher, als es bisherige Genre-Vertreter konnten. (rfi)