Österreich

"Flüchtlinge gehören jetzt zum Kahlenbergerdorf"

Heute Redaktion
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Seit 2016 wohnen Flüchtlingsfamilien in der ehemaligen Feuerwache, jetzt haben die gut integrierten Familien Angst: Das Quartier soll geschlossen werden.

Wer in das Kahlenbergerdorf in Döbling kommt, lässt die laute, schnelle Großstadt ein Stück hinter sich. Umgeben von Heurigen und Weinbergen ist das Dorf eine kleine, abgeschlossene Welt für sich. Wer zweimal ums Eck biegt, steht vor der ehemaligen Feuerwache in der Wigandgasse. Blumen am Fenster empfangen die Besucher. Doch von der früheren Feuerwache aus werden nicht mehr Brände gelöscht. Seit 2016 wohnen hier Flüchtlinge, derzeit sind es noch 15 Menschen, die hier wohnen. Und: Die Familien haben sich gut integriert, zwei Kinder wurden hier in Wien geboren und sind "echte" Dörfler. Jetzt haben die Familien Angst, dass ihre gut funktionierende WG bald zerbrechen könnte. "Das Haus soll geschlossen werden. Dabei sind die Familien hier zu Hause, hier funktioniert Integration", so Christine Fröhlich, die die Familien von Anfang an unterstützt hat.

"Rendez-Vous" im Feuerwehrhaus

Engagierte "Dörfler" kümmern sich von Beginn an um die neuen Dorfbewohner, vier große Feste wurden gemeinsam gefeiert. Einen kleinen Einblick bekam "Heute" beim Besuch der Feuerwache. Wer durch die Garage geht, gelangt in einen kleinen, durch ein Tuch abgetrennten, Raum – und steht plötzlich in einem Musikstudio! "Ich habe lange gespart und mir das Studio selbst eingerichtet", erzählt Karrar (21). Mit Spenden und dem Erlös aus den Festen entstand das Studio. Der junge Musiker hat eine eigene Band – "Moneka", spielt Keyboard, Percussions und singt. "Außerdem lerne ich jetzt Saxofon", erzählt Karrar. Sogar für ein Theaterstück, das im Nestroyhof aufgeführt wurde, hat Karrar schon die Musik geschrieben. Ein kleines Konzert bekommt "Heute" beim Besuch auch: Mit "Dörflerin" Christine Fröhlich an der Ziehharmonika singt Karrar den Song "Rendez-Vous".

(Video: heute.at/Sabine Hertel)

Vier Sprachen in einem Haus

Im oberen Stock werden Besucher im Wohnzimmer – das sich die Familien teilen – freundlich bewirtet, mit selbst gebackenen Keksen und Tee. Im Wohnzimmer hängt ein Plakat: Auf Persisch, Arabisch, Kurdisch und Deutsch steht darauf: "Guten Appetit". Karrars Schwester Hawraa (17) erzählt stolz: "Ich habe den Pflichtschulabschluss geschafft." Außerdem hat die junge Frau im Deutschen schon das Level "B1", startet im Herbst den "B2"-Kurs. Was sie gerne machen möchte? "Ich will eine Ausbildung als pharmazeutische Assistentin machen. Das darf ich aber derzeit nicht." Denn: Hawraa und ihre Familie haben noch keinen positiven Asylbescheid.

Mutter flüchtete allein mit vier Kindern aus dem Irak

Auch die anderen Familien, die in der Feuerwache wohnen, sind in derselben Situation. Mutig: Hawraas und Karrars junge Mutter Nadia (37) hat sich vor zwei Jahren allein mit ihren vier Kindern auf den Weg von Bagdad (Irak) nach Wien gemacht – ohne ihren Mann. "Im Irak konnte ich nicht arbeiten. Hier würde ich gerne Friseurin werden", erzählt Nadia, die im Alter von 13 Jahren verheiratet wurde. Für Frauen sei das Leben im Irak sehr schwierig, erzählt die 17-jährige Hawraa: "Zwei meiner Freundinnen sind einfach aus der Schule verschwunden – von einem Tag auf den anderen." Was sie sich wünscht? "Falls wir hier ausziehen müssen, würden wir gerne bei einer Wiener Familie leben, um weiter deutsch zu lernen."

Wienerisch nach zwei Jahren in der Stadt

Der 17-Jährige Amin spricht wienerisch – obwohl er erst seit zwei Jahren da ist. "Ich gehe ins Gymnasium. Am Anfang war es schwierig, mittlerweile habe ich viele Freunde gefunden", erzählt er. Seine Familie kommt aus dem Iran, der kleine Bruder Daniel (2) ist in Österreich geboren. Gemeinsam mit dem älteren, gehörlosen Bruder Amir (24) und seinen Eltern, Mutter Shahrbanou (44) und Vater Ahmad (53) ist er aus dem Iran nach Österreich gekommen. Die Mutter war im Iran Schneiderin. "Wir würden gern weiter hier wohnen", erzählt Amin. Zermürbend: Seit Monaten warten sie auf einen Bescheid, leben im Ungewissen. Ahmad war im Iran Verkäufer für Fernseher und Radiogeräte. In Wien darf er derzeit nicht arbeiten, im Garten hinter der Feuerwache hat er viel gepflanzt.

Nachwuchs im Kahlenbergerdörfl

Am liebsten spielt Daniel mit der kleinen Lina, die auch hier geboren ist. Linas Vater Soran (36) und ihre Mutter Lana (33) sind aus der kurdischen Stadt Sulaymaniya im Irak nach Österreich geflüchtet. In der Feuerwache teilt sich die Jungfamilie ein Zimmer. Vater Soran ist Mechaniker, hilft häufig den Nachbarn im "Kahlenbergerdörfl". Lina hat früher in einer Bank gearbeitet, würd in Wien gern in einem Restaurant arbeiten.

"Hier haben die Flüchtlingsfamilien mehr Selbstvertrauen bekommen", sagt Irmi Ebner. "Wir wollen das Beste für die Familien." Die Logopädin schaut einmal in der Woche vorbei und gibt den Flüchtlingen Deutschunterricht. Insgesamt gibt es in der ehemaligen Feuerwache dreimal pro Woche Deutschunterricht durch Dörflerinnen.

FSW: Vereinbarung läuft Ende 2018 aus

Tatsächlich scheinen die Tage der Flüchtlingsfamilien in der Feuerwache gezählt. "Viele der Einrichtungen, die 2015 und 2016 eröffnet wurden, sind mittlerweile wieder geschlossen oder werden geschlossen. Der Grund dafür ist, dass die Asylantragszahlen sinken und damit immer weniger geflüchtete Menschen in der Grundversorgung sind. 2016 wurde das temporäre Quartier in der ehemaligen Feuerwache eröffnet. Dass die Flüchtlingseinrichtung nicht von Dauer sein wird, wurde von Beginn an kommuniziert und vertraglich festgelegt", heißt es vom Fonds Soziales Wien. Und: Die Vereinbarung laufe fix mit Ende 2018 aus.

Unterstützerin Christine: "Wollen das Haus erhalten"

Die Dörfler kämpfen weiter für die Flüchtlinge. "Hier sind die Familien alle eingebunden", sagt Anrainerin und Unterstützerin Christine Fröhlich. Die engagierten Dörfler und Dörflerinnen sind entschlossen: "Wir werden versuchen, das Haus zu erhalten, bis alle einen Asylbescheid haben."